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COMICOSKOP - Das deutsche E-Fachmagazin für Comic-Kultur * herausgegeben und gegründet von Martin Frenzel  /  COMICOSKOP-Chefredakteur: Martin Frenzel

Deutschlands wichtigstes Festival fürs grafische Erzählen feiert Geburtstag: 40 Jahre Erlanger Comic-Salon (1984 - 2024)

COMICOSKOP-Gespräch mit Achim Schnurrer: "Wir wollten 1984 so etwas wie ein deutsches Angoulême oder Lucca wagen"

Der lange Weg vom Redoutensaal über die Heinrich Lade-Halle zum  Festival der Mega-Messezelte in der ganzen Stadt: COMICOSKOP-Exklusiv-Interview von Martin Frenzel zum 40jährigen Bestehen des Internationalen Comic-Salons Erlangen (1984 - 2024)

War maßgeblich an der Gründung des heute noch führenden Comic-Festivals in der fränkischen Hugenottenstadt Erlangen beteiligt: Achim Schnurrer, Jahrgang 1951, Comic-Kenner, -verleger, -redakteur und seit etlichen Jahren erfolgreicher Schriftsteller/Romanautor (Pseudonym: Lucas Bahl). Foto: (c) Christiane Richter

Edition Kunst der Comics: Der junge Comic-Verleger Achim Schnurrer mit Giovanna Casati / Foto: Kulturamt Erlangen

Comicoskop: Lieber Achim, kann man sagen, dass die Keimzelle des Erlanger Salons gar nicht Erlangen war, sondern eigentlich bei Lichte besehen Köln?

 

Achim Schnurrer: In gewisser Weise kann man das sagen, ja. Du spielst an auf die Gründung des ICOM (Interessenverband Comic)… Das mit der Kölner Keimzelle trifft insofern zu, als sich hier die Comic-Kreativen erstmals trafen, um den ICOM zu gründen. Von Anfang an ging es uns darum, nicht nur Zeichner und Autoren zu fördern und zu vernetzen, sondern auch die öffentliche Anerkennung des Mediums Comic an sich zu erhöhen und voranzutreiben. Insofern ging der Erlanger Comic-Salon-Premiere in der Tat Köln voraus …

Karl Manfred Fischer hat damals, 1979, die Kölner Ausstellung „Die Kinder des Fliegenden Robert“, die Du gemeinsam mit Hartmut Becker organisiert hattest, zu sehen bekommen und nach Erlangen geholt…

Ja, Hartmut und ich hatten diese Ausstellung über die Frühgeschichte der deutschen Bildgeschichten und Comics kuratiert, und der Kölner Kunstverein unter Leitung von Wulf Herzogenrath als Träger, war daran interessiert, dass die Ausstellung durch die Republik wandert… So kam denn auch das Angebot aus Erlangen, die Ausstellung dort zu zeigen. Ob Fischer die Ausstellung damals in Köln gesehen hat, weiß ich nicht mehr… auf jeden Fall wanderte sie weiter nach Erlangen, in die Städtische Galerie…

Fischer war sehr rührig, er hatte damals gerade den Organisationskreis kultureller Austausch bayerischer Städte ins Leben gerufen… und so sorgte er dafür, dass die „Kinder des Fliegenden Robert“ auch in seine Heimatstadt Ingolstadt, nach Schwäbisch Hall und andere Städte in Bayern kamen… Das brachte in der Tat einen Stein ins Rollen… diese Kölner Episode hat im Grunde dazu geführt, dass es zum Erlanger Comic-Salon 1984 kam… 1980 bin ich aus privaten Gründen, meiner damaligen Lebensgefährtin zuliebe ins Fränkische gezogen… Das Städtchen hatte mir schon vorher gut gefallen, aber, wie der Zufall es wollte, hatte meine Freundin gerade einen Studienplatz in Erlangen ergattert.…

 

Comicoskop: Kannst Du bitte schildern, wie es dann von Köln nach Erlangen ging, wie aus der Idee schließlich, vor vierzig Jahren, 1984, der erste Salon wurde? Es begann ja nach dem 1. ICOM-Treffen im Okt. 1980 und der endgültigen Konstituierung im Frühjahr 1981 des ICOM dann 1982 erstmal mit dem Vorläufer ComicCon in Erlangen… also zwei Jahre vor dem eigentlichen 1. Comic-Salon… mit keinem Geringeren als Herbert Feuerstein von MAD, der seinen Hauszeichner Ivica Astalos mitbrachte…

 

 

 

Achim Schnurrer: Ja, ganz genau, der sogenannte Comic Con von 1982 war ein Vorläufer. Schon damals war ich, Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre, ins südwestfranzösische Angoulême gefahren und ins italienische Lucca… und das hat mich angefixt. Ich dachte, Mensch, soetwas wie Angoulême und Lucca braucht es endlich in Deutschland, das ja damals ein Comic-Entwicklungsland war… diese einmalige emotionale Atmosphäre, die man trotz der schon damals erreichten Größe in Angoulême erleben konnte, das wollte ich nach Deutschland holen… Es war damals in Angoulême noch eine fantastische, familiäre Atmosphäre… Ich habe seinerzeit in einer Bar neben Morris (d.i. der Lucky Luke-Starzeichner, M.F.) gesessen und ein Bier getrunken, mich glänzend unterhalten… das war eine tolle Sache… das wollten wir, zumindest im kleinen Maßstab, in Deutschland auch verwirklichen…

 

Ich habe Karl Manfred Fischer davon erzählt, aber der wollte das erst einmal eine Nummer kleiner… nach dem Motto: Macht ihr euer Treffen, dann machen wir ein bisschen Drumherum… Ich hatte den Eindruck, dass das städtische Kulturamt sehen wollte, ob so etwas überhaupt ankommt… Er wollte sehen, ob das überhaupt Leute zieht, und nicht zuletzt, ob es zum Beispiel tatsächlich gelingen würde, einen Herbert Feuerstein, damals Chefredakteur des deutschen MAD nach Erlangen zu bekommen… Wir hatten beim ComicCon 1982 noch keine große Publikumsresonanz, blieben weitgehend unter uns… das Ganze fand im Kulturtreff in der Helmstraße statt, war darauf beschränkt. Es kamen Zeichner und Autoren, ICOM-Mitglieder des frisch gegründeten Verbands, es war ein lustiges, feucht-fröhliches Zusammentreffen, voller Begeisterung.

 

 

 

Comicoskop: Beim ComicCon gab es Ärger mit dem Namen: Peter Wiechmann drohte mit rechtlichen Schritten…

 

 

 

Achim Schnurrer: Ja, das war eine ärgerliche Petitesse, eine lächerliche Randepisode… Wiechmann hätte gut daran getan, die Verwendung des Namens ComicCon zu erlauben, es hätte seinem Unternehmen gutgetan… Also musste ein neuer Name her. Die meisten waren damals skeptisch, aber am Ende haben alle meinen Vorschlag akzeptiert, das neue Festival Internationaler Comic-Salon Erlangen zu nennen … Es gab allerdings auch keine tauglichen Gegenvorschläge, also wurde es dieser Name – bis heute …

 

Comicoskop: Was trieb Euch damals an, was war das Ziel?

 

 

 

Achim Schnurrer: Der Comic war damals ein Schmuddelkind, im bundesdeutschen Feuilleton völlig unbeachtet. Sogar in Erlangen hatte es noch wenige Jahre vor der Salon-Premiere die berüchtigten Schmutz-und-Schund-Aktionen gegeben, von wegen „Tausche gutes Jugendbuch gegen Schundcomics“ … auf Comics lastete ein Stigma. Aber die meisten, die sich in jenen Jahren etwas intensiver mit Comics beschäftigten, erkannten schon bald, dass es sich dabei um eine tolle Kunst- und Literaturform handelte, gleichberechtigt neben anderen Kunstformen wie dem Film oder dem Theater, sei es in erzählerischer oder bildnerischer Form. Der Comic war, so gesehen, eine einmalige Mischform. Ich habe es damals gemeinsam mit dem ICOM zu meinem Anliegen gemacht, dass in Deutschland mit Blick auf die Comic-Kultur ein Wertewandel stattfindet. Ich wollte PR machen für den Comic an sich, für das Ganze, und das sollte nicht zuletzt durch den Comic-Salon geschehen. Als der dann 1984 und in den Folgejahren Wirklichkeit und vor allem unerwartet erfolgreich wurde, war das auch der Grund, weshalb ich irgendwann die ketzerische Überlegung anstellte, ob es den ICOM überhaupt noch braucht…

 

 

 

Comicoskop: Der ICOM hatte in Deiner Optik seine historische Mission erfüllt?!…

 

 

 

Achim Schnurrer: Ja, das dachte ich damals tatsächlich, aber nur für kurze Zeit. Ich weiß heute, das war ein Irrtum. Aber damals war ich der Meinung, jetzt können wir uns auch auflösen, wir haben doch unser Ziel erreicht … Hinzu kam, dass ich selbst 1985 das Angebot bekam, die Leitung des Alpha Comic Verlags zu übernehmen… ich sah da einen Interessenkonflikt, hatte sozusagen auf die Gegenseite gewechselt… Ich war ja kein Autor mehr, sondern Verleger … das war auch die Zeit, als ich vom Vorsitz des ICOM zurücktrat und Gerd Zimmer mein Nachfolger wurde, der übrigens 2014 Bürgermeister der Ortschaft Hausen geworden ist … Es gab dann über den Vorschlag der Auflösung eine kurze, heftige Debatte in Erlangen … in einem schönen abgewrackten Industriegebäude … Kaum hatte ich meinen Auflösungsvorschlag gemacht, stand ein schon nicht mehr ganz nüchterner Ingo Stein auf, hielt eine flammende Rede dagegen, das gehe nicht – und damit war dieser Vorschlag ganz schnell vom Tisch. Gerd Zimmer war damals schon 2. Vorsitzender gewesen … Gerd hat ebenfalls viel zum Gelingen des ersten Comic-Salons beigetragen. Das Kulturamt stellte vor allem die Logistik zur Verfügung, half bei der Organisation, wir durften – was damals noch teuer war – das Telefon des Kulturamts benutzen, mietete die Veranstaltungsorte an und ähnliches. Wir waren weitestgehend für das Programm verantwortlich, natürlich hat uns das Kulturamt unterstützt … bei der Finanzierung und mit Hilfskräften … Auch der Max-und-Moritz-Preis war unsere Idee (Gerd Zimmer sagt, ihm sei der Name eingefallen), ich selbst habe die großenteils heute noch im Einsatz befindlichen Standsysteme kostengünstig bei der Frankfurter Buchmesse besorgt, die uns ausgemusterte Messe-Einrichtungen freundlicherweise für einen Appel und ein Ei überließen … Ich habe beim Programm z.B. Horst Berner angesprochen, der daraufhin die Ausstellung „Mythen auf Tüten“ zusammenstellte … Mit Ricardo Rinaldi, mit dem damals eine Freundschaft begann, fuhr ich nach Italien, er machte mich mit berühmten Kollegen bekannt, etwa dem Disney-Star Luciano Bottaro aus Rapallo, bei uns auch mit seiner Serie „Pepito“ bekannt oder dem Disney-Autor Carlo Chendi … Daraus erwuchs die erste große Ausstellung mit 400 Originalzeichnungen „Die Kunst der Comics“ … Wir zeigten Werke hochklassiger Vertreter der Comic-Geschichte wie Hal Foster, Burne Hogarth und Carl Barks im Original und viele andere. So eine Ausstellung bekäme man heute kaum noch versichert, höchstens in großen Museen. Es war eine Überblicksaustellung … Little Nemo von Winsor McCay war dabei, aber auch Lyonel Feiniger, und Guido Crepax – es ging darum, den kulturellen Stellenwert des Comics zu untermauern … Der Katalog erschien damals im Carlsen Verlag.

 

Comicoskop: Wie war die Resonanz auf die Schau?

 

 

 

Achim Schnurrer: Die war super … sie erlebte außer auf dem Erlanger Comic-Salon noch viele andere Stationen, u.a. im angesehenen Hannoveraner Wilhelm-Busch-Museum – und es wurde dort deren bis dato erfolgreichste Ausstellung, die sie bis dahin hatten … Nach Ausstellungsende war der kostbare Parkettboden durch die vielen Besucher derart ruiniert, dass sie den danach renovieren mussten…

 

 

 

Comicoskop: Du hast ja in jener Zeit irgendwo zwischen Comixene alt und ICOM damals neu agiert, zwischen Köln, Bergisch-Gladbach, Hannover und Erlangen… wie bist Du zum Comic gekommen, wie entwickelte sich Deine Begeisterung für das Medium, Du bist Jahrgang 1951…?

 

 

 

Achim Schnurrer: Ich war schon als Kind begeistert von Comics, musste die Hefte aber heimlich lesen, da meine Eltern strikt dagegen waren, dass ich mit so einem Schund beschäftige. Ich habe Altpapier gesammelt und beim Schrott- und Lumpenhändler verkauft, um mir vom Pfenniggroschen-Erlös damals Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre Akim-, Tibor- oder Nick-Hefte zu kaufen. Die Piccolos. Die Großbände durfte ich bei unserem Frisör lesen. Meine Eltern waren total entsetzt, als mir dieser Friseur irgendwann mal eine Sigurd-Frisur verpasste. Mein Vater ist bis auf den heutigen Tag sehr kunstbegeistert, kennt sich gut in der Kunstgeschichte aus, von der Antike, über die Renaissance bis zur klassischen Moderne. Für ihn war das mit den Comics zuerst – sagen wir so – schwierig … Ich habe dann Ende der 60er Jahren die ersten Erwachsenencomics gelesen, darunter „Lucifera“ (eine zeitweilig in Deutschland vertriebene Fumetti-Serie), Underground-Comix und natürlich „Barbarella“. Zu dieser Zeit hat mein Vater angefangen, dieses Teufelszeug mitzulesen, mit wachsendem Vergnügen. Er konnte seine Augen nicht länger davor verschließen, dass viele Comic-Zeichner einfach begnadete Künstler waren. Ich habe dann Sozialpädagogik an der Katholischen Fachhochschule in Köln studiert und meinen Professor erfolgreich überredet, meine Examensarbeit über Comics schreiben zu dürfen, die dann nach Abschluss auch als Diplomarbeit anerkannt wurde.

 

 

 

Comicoskop: Was war denn das genaue Thema Deiner Examensarbeit…?

 

 

 

Achim Schnurrer: Der Titel lautete „Der moderne Held, sein Wesen und seine Wirkung“ – das Ganze natürlich fachgemäß aus sozialpädagogischer Sicht. Ich habe Tibor, aber auch Superheldencomics wie den Silver Surfer oder die Conan-Comics von Barry Windsor-Smith und John Buscema zerlegt, ein Modell entwickelt, wie Kinder mit Comics spielerisch umgehen können, nicht zuletzt auch mit Foto-Comics. Daneben machte ich bereits kleinere Comic-Ausstellungen – damals ein Novum – u.a. für die Volkshochschule in Bergisch-Gladbach, wo ja auch der Sitz des Bastei-Lübbe Verlags war. Eine dieser kleineren Ausstellungen sah ein junger Schüler und Herausgeber eines damals weitgehend unbekannten Fanzines aus Hannover namens „Comixene“, ein gewisser Andreas C. Knigge – und war ein bisschen enttäuscht. Es war eben nur ein VHS-Ausstellung, sie war nur sehr klein und Bastei nutzte die Gelegenheit, anhand seiner Hausserie „Felix the Cat“ zu zeigen, wie ein Comic entsteht … Knigge hat dann in der jungen Comixene trotzdem darüber geschrieben, recht freundlich sogar … Später fing ich an, in der Comixene zu schreiben.

 

 

 

Comicoskop:…die andere wichtige Begegnung jener Jahre der 1970er war die mit einem gewissen Hartmut Becker…

 

 

 

Achim Schnurrer: Oh ja, der Kontakt mit Hartmut Becker lief über eine Kölner Party: Plötzlich kam einer auf mich zu und meinte „Der Typ mit den langen lockigen Haaren ist genauso ein Comic-Verrückter wie Du“. Gleichzeitig wies jemand Hartmut mit ähnlichen Worten auf mich hin. Später fuhren wir – Hartmut und ich – nach Hanover, um auszuhelfen, weil Knigge Ersatzdienst leisten musste, und wir sorgten dafür, dass die Comixene deutlich professioneller aufgezogen wurde, etwa mithilfe des Pressevertriebs Saarbach. Das steigerte die Auflage sichtlich.

 

Comicoskop: Zurück zum Comic-Salon in den 1980er Jahren: Wie beurteilst Du im Nachhinein den Streit um die Urheberschaft zwischen Fischer und dem ICOM?

 

 

 

Achim Schnurrer: Nun, eigentlich war es ein Streit zwischen Fischer und mir. Fischer war beleidigt, weil ich irgendwann in einem Interview oder in einem Vorwort in Schwermetall oder U-Comix mich als den Initiator des Comic-Salons bezeichnet hatte, ohne – wie er fand – seine Rolle bzw. die des Kulturamts gebührend zu würdigen. Das war, im Rückblick betrachtet, nicht richtig von mir. Wir hatten dann ein klärendes Gespräch, das damit endete, dass wir uns einigten zu sagen, wir seien beide Mitinitiatoren und Mitorganisatoren. Aber dieser Burgfrieden hielt nicht sehr lange. Irgendwann schrieb Lisa Puyplat in einem Salon-Programmheft, Fischer sei der alleinige Initiator und Erfinder des Salons gewesen. Das war wie im Kindergarten! Der Salon hätte ohne Karl Manfred Fischer nie stattfinden können, ganz klar, aber ganz sicher auch nicht ohne mich und auch nicht ohne den ICOM. Insofern war es grotesk, dass aus seinem Dunstkreis irgendwann die Aussage kam, ihm, Fischer, gebühre die alleinige Urheberschaft.

 

 

 

Comicoskop: Die Wahrheit lag also irgendwo in der Mitte…?

 

 

 

Achim Schnurrer: Ja, wir brauchten beide einander, beide haben letztlich den Erfolg des Comic-Salons bewirkt – und Karl Manfred Fischer war derjenige, der verdienstvoller Weise in den politischen Gremien den Kopf hinhielt, im Erlanger Kulturausschuss, gegenüber der Kommunalpolitik. Das tat er mit großem Geschick – und er war derjenige, der den Comic-Salon letztendlich bei der Stadtverwaltung durchgesetzt hat… Fakt ist, der Comic-Salon brauchte den ICOM solange als Mitveranstalter, wie der über die besseren Kontakte verfügte. Aber nachdem sich das eingespielt hatte, wurde der ICOM als Kooperationspartner immer mehr an den Rand gedrängt.

 

 

 

Comicoskop: Die Zusammenarbeit mit dem ICOM fand 1990 ihr Ende…

 

 

 

Achim Schnurrer: Ja, das muss um die Ecke 1988-90 gewesen sein. Fischer hat Bedeutendes für den Comic-Salon geleistet, indem er sich mit den Erlanger Stadträten herumgeschlagen hat, den Salon gegen heftigsten Widerstand durchbrachte, aber meine Bedeutung für den Salon dürfte auch nicht vernachlässigenswert sein.

 

 

 

Comicoskop: Von wem ging der städtische Widerstand gegen den Salon denn aus…?

 

 

 

Achim Schnurrer: Da waren damals die falschen Leute am Platz… Der damalige Oberbürgermeister Dietmar Hahlweg (SPD) war als Einziger dafür… SPD und GRÜNE als Fraktionen waren gegen den Salon eingestellt. Es gab im Stadtrat eine breite Stimmung gegen populäre Kultur. Für die Durchführung des Salons waren damals die oppositionelle CSU, die FDP und, wenn ich mich recht erinnere, Teile der Freien Wähler. Da musste eine kulturpolitische Koalition für den Comic-Salon geschmiedet werden, und das hat Karl Manfred Fischer mehrfach mit taktischem und strategischem Geschick hinbekommen.

 

 

 

Comicoskop: Wer war damals 1984, alles dabei außer Dir: Welche Rolle spielten Riccardo Rinaldi, Ingo Stein, Burkhard Ihme, Hansi Kiefersauer, Horst Berner, Eckart Sackmann, Hartmut Becker, André Roche und Gerd Zimmer?

 

 

 

Achim Schnurrer: Also, Horst Berner auf jeden Fall, mit seiner Comic- und Rock-Musik-Ausstellung, Ricardo Rinaldi, Hansi Kiefersauer, Hartmut Becker, Paul Derouet, André Roche, Abi Melzer, Piit Krisp und Dieter Kalenbach … Hörb Schröppel war damals im Kulturamt, mit ihm und Ilse Achatz habe ich später die Edition Kunst der Comics gegründet. Hörb organisierte von Anfang an die Standplanung der Messe. Der französische Austellungsdesigner Didier Moulin kam etwas später dazu, nicht zuletzt dank der Kontakte des Deutsch-Französischen Kulturinstituts und dessen damaligem Mitarbeiter Pascal Ropier … wir fuhren gemeinsam nach Paris und Angoulême, um Kontakte aufzubauen.

 

Die Fantastischen Drei (v.r.n.l.): Festivalchef-Legende Karl Manfred Fischer mit Altmeister Jean Giraud/Moebius und Fischers rechter Hand Lisa Puyplat in Erlangen 2000 / Foto: Kulturamt Erlangen

Comicoskop: Kann man nicht einfach sagen, Du warst mit dem ICOM Initiator & Impulsgeber, aber KMF war der Ermöglicher, Motor, Wegbereiter & Durchsetzer, nach dem Motto: Eine gute Idee bringt überhaupt nichts, solange es niemanden gibt, der sie auch haben will und ihr zum Durchbruch verhilft, der Idee eine Bresche schlägt…?

 

 

 

Achim Schnurrer: Ja, zweifelsohne. Klar ist aber auch, was die Rolle der Stadt bei der Entstehung des Comic-Salons angeht: Wenn der Salon 1984 gefloppt wäre, wären wir allein dafür verantwortlich gewesen. Dann hätte das an unserer Backe geklebt, der des ICOMs. Kurz vor dem Comic-Salon 1984 hatte es ja ein Science Fiction-Festival gegeben, das sich als Flop entpuppte. Es war also ein gewisses Risiko, das eindeutig bei uns, dem ICOM, lag … Ich befürchtete damals als Zweckpessimist das Schlimmste.

 

 

 

Comicoskop: So eine Art verkehrte Angst des Torwarts vorm Elfmeter…?

 

 

 

Achim Schnurrer: Ja, die Frage war, ob der Ball ins Tor geht oder nicht…

 

 

 

Comicoskop: Welche Bedeutung hat der Salon heute, nach 40 Jahren, bezogen auf die Comic-Kultur in Deutschland?

 

 

 

Achim Schnurrer: Da bin ich der Falsche, den Du fragst. Ich habe die Entwicklung der letzten Jahre nur noch als ferner Beobachter verfolgt. Ich war von 1984 bis 2000 aktiv involviert, danach nicht mehr. Aber generell gilt: Es hat auf jeden Fall einen kulturellen Paradigmenwechsel gegeben, natürlich hat sich die Haltung gegenüber der Comic-Kultur nicht zuletzt auch dank des Comic-Salons grundlegend gewandelt. Diesen Paradigmenwechsel hat der Salon mit herbeigeführt, sein Scherflein dazu beigetragen, dass sich das öffentliche Bewusstsein in Bezug auf den kulturellen Wert von Comics in deutschen Landen geändert hat.

 

 

 

Comicoskop: Kannst Du die besondere Atmosphäre des Redoutensaals, des E-Werks und im Kulturtreff, die 1984 herrschte, noch einmal Revue passieren lassen?

 

 

 

Achim Schnurrer: Es war schnell klar, dass die Räumlichkeiten zu klein waren … das platzte aus allen Nähten, aber die Atmosphäre war sehr familiär, eine wunderbare Gelegenheit, Menschen, die man nie vorher kennengelernt hatte, zu treffen. Einen Höhepunkt bildete die Max-und-Moritz-Preisverleihung im für diesen Anlass viel zu kleinen Schloss Atzelsberg. Danach, ab 1986, fand die Max-und-Moritz-Preisgala ja fortan im Markgrafentheater statt. Apropos Max-und-Moritz-Preis: Es war die Idee des Verlegers Abi Melzer, dafür als Stifter und Sponsor den Bulls Pressedienst, eine schwedische Zeitungscomic-Agentur mit Filialsitz in Frankfurt, ins Boot zu holen. Abi und ich fuhren, das war wohl im Spätsommer 1983, nach Frankfurt, trafen den damaligen Bulls-Geschäftsführer Svante Setterblad. Ricardo Rinaldi entwarf dann die Medaille, die noch heute verliehen wird. Spätestens seit meinem ersten Besuch in Angouleme wusste ich, dass – sollte es in Deutschland jemals etwas Vergleichbares geben – eine feierliche Preisverleihung neben der Messe der Kern- und Angelpunkt einer solchen Veranstaltung sein würde.

 

 

 

Comicoskop: Welche Rolle spielten damals ein Wolf-Dieter Schnetz und ein Hans-Bernhard Nordhoff?

 

 

 

Achim Schnurrer: Schnetz war ja 1973 - 2000 Kulturdezernent in Erlangen…und spielte damals nach meiner Erinnerung eher die Rolle desjenigen, der zum Jagen getragen werden musste. Der eigentliche Motor des Comic-Salons hinter den Kulissen war Karl Manfred Fischer… Nordhoff hingegen spielte als Stadtrat der SPD und Vorsitzender des Erlanger Kulturvereins eine eher positive Rolle und war neben Halhweg diesbezüglich eine Ausnahme in der SPD. Nordhoff war ja später auch ein Ermöglicher des Caricatura-Museums in Frankfurt. Der Oberbürgermeister Dietmar Hahlweg entdeckte, nachdem sich der Publikumserfolg 1984 eingestellt hatte, sehr schnell seine Liebe zum Comic-Salon.

 

 

Comicoskop: Was waren denn die Highlights für Dich in jenen 40 Jahren Salon-Jahren…?

 

 

 

Achim Schnurrer: Jeder Salon bietet Highlights. Die alle aufzuzählen, würde hier den Rahmen sprengen. Aber ein definitives Highlight war der Auftritt Ralf Königs 1992 bei der Verleihung des Max-und-Moritz-Preises. Ralf König in einem goldenen Kleid bekommt den Max-und-Moritz-Preis durch OB Dietmar Hahlweg – das war eine tolle Szene … Dann die vielen Ausstellungen, Gespräche, Freundschaften … lange Besucherschlangen an den Verlagsständen … Ein ganz persönliches Highlight war, als der extrem publikumsscheue, schüchterne, das Rampenlicht meidende Walter Moers stundenlang ohne viel Aufsehens an unserem Stand beim Alpha-Comic Verlag war und den anderen Künstlern beim Signieren zugeschaut hat. Er selbst wollte das partout nicht. Kein Mensch ahnte, wer da bei mir saß und sich mit mir unterhalten hat.

 

 

 

Comicoskop: Walter Moers inkognito auf dem Salon…

 

Achim Schnurrer: Ja, Fischer war damals not amused, weil er meinte, ich hätte ihm Moers vorstellen müssen. Aber was sollte ich machen, wenn ein Künstler seine Anonymität über alles schätzt.

 

 

 

Comicoskop: Wie fällt Deine Bilanz nach 40 Jahren Comic-Salon Erlangen aus, wo steht der Salon heute 2024, wohin geht es in Zukunft hin?

 

 

 

Achim Schnurrer: Also, wenn es nach mir geht, dann sollte der Salon nicht noch mehr „arty“ werden oder gar dem alternativen Fumetto-Festival in Luzern nacheifern. Die Salon-Macher täten meines Erachtens gut daran, die populärkulturelle Seite nicht aus den Augen zu verlieren. Man sollte immer etwas anbieten, das auch breitere Publikumsschichten anspricht statt nur kleine Nischen-Zielgruppen. Es gäbe da wahrlich genug Möglichkeiten: Beispiel Mangas. Hier hätte man schon vor über 15 Jahren deutlich mehr tun können. Alpha Comic war ja der erste deutsche Comic-Verlag, der seine Mangas direkt aus dem Japanischen übersetzen ließ und nicht so hahnebüchene Kompromisse eingegangen ist, französische Übersetzungen nochmals in eine andere Sprache zu übertragen. Derart windige verlegerische Praktiken habe ich immer als eine Missachtung der Leser angesehen. Die Edition Kunst der Comics hat kurz darauf den ersten Manga-Künstler zum Comic-Salon eingeladen: Masashi Tanaka, dessen herausragenden GON-Bücher wir verlegt haben. Auch sein Besuch war eindeutig ein Salon-Highlight.

 

Aber das sind alles nur die ganz privaten Ansichten eines Außenstehenden. Es ist jedenfalls gut, dass mit diesem Buchprojekt die Wurzeln des Comic-Salons nicht vergessen werden, das erzählt wird, wie der Erlanger Comic-Salon wurde, was er ist, wie die Weichen gestellt wurden. Es war eine lustige Zeit, eine riesengroße Party, die einfach Spaß gemacht hat.

 

 

 

Comicoskop: Nach der Insolvenz des Alpha-Comic Verlags und der Edition Kunst der Comics infolge der bundesweit aufsehenerregenden Zensur gegen Euch, Stichwort Meininger Staatsanwaltschaft, hast Du ein zweites Leben jenseits der Comics begonnen. Als Autor von Science Fiction und historischen Romanen, von Krimis und Thrillern, die unter deinem Pseudonym Lucas Bahl erscheinen, trittst du zuletzt auch noch unter einem weiteren Alias als Dr Crime in Erscheinung.

 

 

 

Achim Schnurrer: Das ist eine andere Geschichte. Wer sich dafür interessiert, findet unter DrCrime.de mehr Informationen.

 

 

 

Comicoskop: Lieber Achim, für heute: Besten Dank für dieses Jubiläums-Gespräch!

 

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