Das Kölner Käthe-Kollwitz-Museum schließt mit einer sehenswerten Schau über ein wenig bekanntes Kapitel der Satireblatt-Legende Der Simplicissimus (deutsch: der Einfältigste) eine Wissenslücke: Denn die Erinnerung an die kurze, aber facettenreiche Wiederbelebungs-Zeit der Zeitschrift in der Adenauer-Nachkriegszeit Westdeutschlands war, im Gegensatz zu den Goldenen Zeiten im Kaiserreich und der der Weimarer Republik verblasst. Bis 13. November 2022 haben Interessierte Gelegenheit, diese Wissenslücke zu schließen - unser COMICOSKOP-Redakteur und langjährige Wahl-Kölner (ein Münchner in Köln!), Hanspeter Reiter, war da - und vollauf begeistert.
Der SIMPLICISSIMUS prägte eine Ära des Satirisch-Politischen, gilt als Mutter all der Magazine, die danach kamen: Pardon, Titanic im Westen, Der Eulenspiegel im Osten...
Er erschien als aufsehenerregende satirische Wochenzeitschrift vom 4. April 1896 bis 13. September 1944. Die Redaktion hatte ihren Sitz in München, ohnehin eine Hochburg der Bildsatire (von den Fliegenden Blättern bis Karl Valentin). Er nahm denn auch die wilhelminische Politik, die bürgerliche Doppel-Moral, Spießertum und Untertanengeist, aber auch die Kirchen, die Beamten, Juristen und das Militär aufs Korn... Markenzeichen: Thomas Theodor Heines berühmte rote Bulldogge....
Zu den renommiertesten Zeichnern gehörten neben Thomas Theodor Heine: Karl Arnold, Henry Bing, Josef Benedikt Engl, Olaf Gulbransson, Käthe Kollwitz, Bruno Paul, Ferdinand von Rezniček, Erich Schilling, Wilhelm Schulz, Eduard Thöny und Rudolf Wilke.
Legendärer Verleger und Gründer des Magazins war Albert Langen: Er plante anfangs eher eine illustrierte Literaturrevue nach dem französischen Vorbild, des Gil Blas Illustré.
Der Titel des Satireblatts, zu dem das Journal dann wurde, verstand sich als Hommage an den 1668 erschienenen Schelmenromans Der abenteuerliche Simplicissimus von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Dessen Maxime lautete: „Es hat mir so wollen behagen, / Mit Lachen die Wahrheit zu sagen.“ Kein Wunder, dass diese Devise folglich auch zum in der Erstausgabe zitierten Credo des ersten Simplicissimus avancierte.
In keiner Person spiegelt sich der Aufstieg und Fall des SIMPLICISSIMUS derart wieder wie im Zeichner und Illustrator Thomas Theodor Heine (1867-1948): Heine, Deutscher jüdischen Glaubens, war der wohl beste SIMPLICISSMIMUS-Zeichner aller Zeiten und prägte "sein" Blatt wie kein anderer. Nicht zuletzt war er der Erfinder der weltberühmten roten Bulldogge, dem Erkennungszeichen der Zeitschrift. Er musste als Deutscher jüdischen Glaubens vor seinen Nazi-Häschern erst zwangsweise nach Norwegen und dann, nach dem dortigen deutschen Überfall 1940, ins schwedische Exil fliehen. Mit Heines gewaltsamer Vertreibung aus seiner deutschen Heimat war die Glanzzeit des SIMPLICISSIMUS ein für allemal vorbei.
In der Redaktion gaben sich zudem namhafte Schriftsteller und Journalisten die Klinke in die Hand: Hans Erich Blaich, Walter Foitzick und Reinhold Geheeb, aber auch Korfiz Holm, Peter Scher und Franz Schoenberner, Hermann Sinsheimer und Ludwig Thoma.
Zahlreiche berühmte Dichter fanden in der Zeitschrift ein Forum: Otto Julius Bierbaum, Richard Dehmel und Bruno Frank, Hermann Hesse, Hugo von Hofmannsthal und ein Erich Kästner, aber auch Heinrich Mann, Thomas Mann, Gustav Meyrink, Georg Queri und Fanny zu Reventlow, Alexander Roda Roda, Arthur Schnitzler, Edgar Steiger, Robert Walser, Jakob Wassermann und Frank Wedekind u. v. a. Auch ausländische Autoren von Rang publizierten im Simplicissimus: Allen voran Bjørnstjerne Bjørnson, Knut Hamsun, Guy de Maupassant und Marcel Prévost.
1934/1935 erschien in Prag eine hierzulande wenig bekannte antifaschistisch-demokratische Exilausgabe, zunächst unter dem Titel Simplicus, später unter dem Titel Simpl, während sich die Nazis des Namens bemächtigten - und das einst obrigkeitskritische Blatt zu einem hörigen Propaganda.-Organ des braunen NS-Regimes umfunktionierten (1933-44). Nach der Befreiung von der Nazi-Diktatur 1945 gab es mehrere Versuche, den Simplicissimus wiederzubeleben, darunter die von Olaf Iversen begründete Neuausgabe der Adenauer, Erhard- und Kiesinger-Zeit, die von 1954 bis 1967 erschien. Die sozial-liberale Wende unter Willy Brandt und die Studentenrevolte von 1968 ff. erlebte der neue Nachkriegs-Simplicissimus indessen nicht mehr. In die Fußstapfen trat - seit 1962 - traten stattdessen Helmut A. Nikels PARDON und die Neue Frankfurter Schule. Übrigens wagten Nachgeborene 1981/82 einen Simplicissimus-Neubeginn, der aber jäh im Sande verlief, 1997 noch einmal, diesmal von Berlin und Wien aus. Aber auch dieser - bis heute allerletzte - Versuch erwies sich als Rohrkrepierer. Fazit: Eigentlich war die lange Ära des SIMPLICISSIMUS 1967 - ein Jahr vor dem Epochenjahr 1968 - vorbei. KMF / Red.
„Der Rote Hund beißt wieder zu“ – wenn er einmal losgelassen...
https://www.kollwitz.de/der-neue-simplicissimus
Eine beeindruckende Zusammenschau findet die cartoon- und comic-affine Leserschaft derzeit in Köln im Käthe-Kollwitz-Museum hoch überm Neumarkt noch bis zum 13.November 2022, Freund:innen der politischen Bildsatire kommen ohnehin voll auf ihre Kosten: „Der neue Simplicissimus – Satire für die Bonner Republik“. Was mich erinnert hat, nach meinen Simplicissimus-Sammelbände zu suchen, beim vorigen Umzug wohl verkruscht L … Doch bleiben wir bei dieser sehenswerten Ausstellung, kuratiert und vorgestellt von der neuen Leiterin Katharina Koselleck – KK für KK:
© HPR Einstiegs-Sequenz: Litfaßsäule inkl.
Aufgesattelt ist für einen Parforceritt, von den glorreichen Zeiten der Zeitschrift im Kaiserreich und in den Wirren der Weimarer Republik, weiter zum Niedergang in der Nazi-Diktatur, als das einst schärfste Satireblatt Deutschlands seinen Biss verlor, und neu dann in der westdeutschen Bonner Republik...
Im „ersten Leben“ des Simplicissimus ist dann nach knapp einem halben Jahrhundert Schluss (1896-1933, bis zur Beginn des NS-Terrorstaats, dann die Gleichschaltung zur braunen Marionette, 1933 bis kurz vor der Befreiung von der NS-Diktatur, 1944): Da, am Ende der traurigen braunen Phase des einst obrigkeitskritischen Satireblatts, gab´s schlicht & simpel kein Papier mehr.
Und nach einem halbherzigen Versuch, einen Abklatsch namens Simpl in München zu reaktivieren, folgte dann in der westdeutschen Wiederaufbau-, Wirtschafts"wunder"- und Verdrängungs- und Restaurationsrepublik der Marke Adenauer / Erhard und zuletzt Kiesinger unter der Großen Koalition von 1966 an in der Zeit von 1954 bis 1967 nochmals ein Hoch – und dieser Zeit primär ist diese sehenswerte Kölner Ausstellung gewidmet.
Thomas Theodor Heine (1867-1948): Er war der Beste
Thomas Theodor Heine galt nicht umsonst als der überragende Star-Zeichner des Simplicissimus. Seine zwei Leben spiegeln deutsche Geschichte wieder: Erst gefeierter Hauszeichner von Deutschlands wichtigstem Satireblatt, dann als Deutscher jüdischen Glaubens Opfer der Entrechtung, Verfolgung und Vertreibung. Seine große grafische Begabung zeigte sich schon sehr früh. Auch wenn ihm genau dieses grafische Talent ob seiner treffsicheren Lehrerkarikaturen einen Schulverweis im autoritären Kaiserreich einbrachte. 1884 begann Heine ein Studium der Malerei an der Düsseldorfer Akademie bei seinen Lehrmeistern Eduard von Gebhardt und Peter Janssen. In dieser Zeit war er noch stark vom Impressionismus geprägt - Claude Monet & Co. 1889 ging der gebürtige Leipziger nach München.
Der Verleger Albert Langen hatte 1893 in Paris seinen Verlag aus der Taufe gehoben, das markierte den Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit: Heine avancierte 1895 sodann als maßgeblicher Mitbegründer des "Simplicissimus" zum wichtigsten, alle überragenden Stamm-Zeichner der Satire-Zeitschrift.
Es folgen Buchillustrationen (u.a. Hugo von Hofmannsthals "Der Kaiser und die Hexe") und buchkünstlerische Arbeiten für die Zeitschrift "Die Insel" oder Thomas Manns "Wälsungenblut". Nicht minder bemerkenswert waren Heines illustratives, aber auch sein bis heute kaum bekanntes, gleichwohl umfangreiches gebrauchsgrafisches Schaffen.
Insbesondere auf dem Gebiet der Plakatkunst setzte Heine weithin Maßstäbe, etwa mit seinem Werk "11 Scharfrichter". 1922 krönte Heine sein Lebenswerk mit der Berufung zum Ordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Künste in Berlin. Heines Werk findet auch in zahlreichen Ausstellungen positive Resonanz, etwa auf der Internationale Kunstausstellung, Dresden 1926 oder bei der Mánes-Ausstellung in, Prag 1934.
Im Alter verschrieb sich der gebürtige Leipziger umständehalber der Malerei, in der Frühphase der NS-Diktatur und ob der braunen Zensur gegen Bildsatire und politische Karikaturen. Ein Gros seiner Gemälde fiel dem Bombeninferno zum Opfer, jenem Inferno, das die Deutschen zuerst auf zahlreiche europäische Städte wie Guernica, London, Coventry, Wilun, Warschau, Rotterdam, Belgrad etc. pp. niederging.
Max Liebermann adelte Thomas Theodor Heine als "den größten deutschen Zeichner".
Dank seiner zeichnerischen Vielseitigkeit und Virtuosität wirkte Heine stilbildend, prägte das Gesicht des "Simplicissimus" wie kein Zweiter.
Aber Thomas Theodor Heine war keineswegs nur ein exzellenter Zeichner, Illustrator und Maler, sondern auch ein herausragender Pionier der deutschsprachigen Bildergeschichte und ein Pionier der hiesigen, späteren Comic-Kultur.
Als Deutscher jüdischen Glaubens wurde Heine Opfer der NS-Schergen, die ihn verfolgten und gewaltsam aus seiner deutschen Heimat vertrieben: Diese gewaltsame Entwurzelung verschlug ihn zuerst wider Willen nach Prag, dann in den hohen Norden, nach Norwegens Hauptstadt Oslo. Nach dem deutschen Überfall von Wehrmacht und SS auf Norwegen 1940 floh Heine notgedrungen ins neutrale Schweden. Bis zu seinem Tod 1948 lebte und arbeitete Heine in Stockholm. Er sah seine deutsche Heimat nie wieder. KMF / Red.
Eingerahmt von vielen Covern zur ruhmreichen Vorgeschichte: Der goldenen Blütezeit im Kaiserreich, während 1.Weltkrieg, in den 1920er und frühen 1930er Jahren der Weimarer Demokratie, in der es zu wenig Demokraten gab - bis zum Niedergang unter der braunen NS-Gewaltherrschaft und des SS-Staats, im Zuge dessen sich der Simplicissimus gegenüber dem Nazi-Regime genauso obrigkeitshörig und voller Untertanengeist verhielt, wie er es in seinen besten Zeiten immer - zu Recht - scharf gegeißelt hatte.
Auch die Nähe zu Käthe Kollwitz wird ebenfalls klar, hat sie doch zeitweise für den Simplicissimus gezeichnet. Daher ist das eine fürs KK-Museum absolut passende Ausstellung, von jener der KK-Dauerausstellung reibungsfrei übergehend.
© HPR Foto KK Ensemble & Text
Die Ausstellungs-Räume
... bieten unterschiedlichen Fokus, z.B. Die Zeichner: Olaf Gulbransson war einer der besonders nennenswerten, „nebenbei“ Großvater von Disney-Zeichner Jan G. Besonders hervorzuheben Olaf Iversen, der evt. verwandt war mit dem Gründer des renommierten Werbe-Fernlehr-Instituts J. Iversen? Dazu habe ich vergebens recherchiert, für Hinweise bin ich dankbar.… Zu den „neuen Zeichnern“ siehe gleich weiter unten...
„Wie ein Phönix aus der Asche erscheint im Nachkriegsdeutschland die Wochenzeitschrift SIMPLICISSIMUS neu und liefert in Wort und Bild kritische Kommentare und vergnügliche Glossen zu Sitten und Unsitten, Hoffnungen und Ängsten der jungen Bundesrepublik. Vom 1. Juli bis 3. Oktober 2022 steht das bekannteste Satireblatt der Wirtschaftswunderjahre nun im Fokus einer Sonderausstellung. Titelblätter, Zeichnungen und Lithographien aus den Jahren 1954 bis 1967 entführen in eine noch gar nicht so lang vergangene Epoche – und weisen auf Parallelen zum heutigen Weltgeschehen.“
PR
Dieser Neuanfang des SIMPLICISSIMUS äußert sich anhand thematisch zusammengestellter Cover, die auf besondere Aspekte dieser „neuen Zeit“ fokussieren: Die Ära Adenauer * Französisch-deutsche Partnerschaft * Köpfe der Zeit (Kanzleramtsminister und NS-Täter Globke, Hundhammer, F-J Strauß, Brandt, Lübke, Churchill, Franco, Brecht, Callas – also alles, von der Kultur bis zur Politik) * Kalter Krieg und die Angst vor der Bombe * Deutschland zwischen Ost und West *Deutsches Wirtschaftswunder? [sic!] * Hautfarbe und Menschenwürde (u.a. „Die Boote kommen“ – und das schon vor über 60 Jahren …) * Pin-Ups (und das heute erkennbar arg sexistische Frauenbild) * Zensur. Ein weites Feld ist da bestellt, wie es Satire zukommt!
„In den 1950er Jahren – zur Zeit des Kalten Krieges, der deutschen Teilung und des Wirtschaftswunders – lässt eine frische Riege von Journalisten die kritische Tradition unter dem berühmten Titel wiederaufleben. Bevorzugtes Ziel: die Protagonisten des Ost-West-Konflikts und die Politik Konrad Adenauers in europäischen und in innerdeutschen Fragen. Aber auch der »deutsche Michel« selbst muss sich Schmähkritik gefallen lassen. Wiederum sind es vor allem die Zeichner, die dem Blatt ein prägnantes Gesicht verleihen – sowohl bereits bekannte Matadore wie A. Paul Weber, aber auch neue Künstler wie Hanns Erich Köhler oder H.M.-Brockmann liefern Beiträge mit Biss. Erneut heißt es Angriff! Bald schon wird die rote Dogge von Politikern und anderen Spitzen der Gesellschaft wieder gefürchtet – und von seinen Leserinnen und Lesern gefeiert.“
Karikaturen „is it‘“!
Und Cartoons und Comics sind nunmal nächst verwandt, wenn auch Texte in aller Regel unterhalb der Illustration quasi eine Bild-Unterschrift bilden statt integriert in Sprechblasen oder Kästen im Panel aufzutauchen. So finden sich Leihgaben aus dem Wilhelm Busch Museum in der Ausstellung, zu erschließen aus dem entsprechenden Dank im durchaus informativen Begleitheft, das einen Katalog ersetzt.
Schön dazu passend auch die Vitrine, die den Simplicissimus in einen Gesamt-Zusammenhang mi satirischen Zeitschriften stellt – Charlie Hebdo & MAD inklusive!
© HPR
Und die Moral von der Geschichte? Hingehen, anschauen, das ist das richt´ge! Mehr noch: Satire war in Deutschland schon immer gefährlich, der Fall der wechselvollen Geschichte der Satireblatt-Legende Simplicissimus zeigt es eindrucksvoll.... Wegen des großen Publikumserfolgs haben die Veranstalter diese Schau, die ein unbekanntes Kapitel des einstigen Satire-Flaggschiffs in deutschen Landen ausleuchtet, bis zum 13.November 2022 verlängert.
HPR