Sein Tod bedeutet auch einen großen Verlust für die Comic-Welt: Denn Umberto Eco, Jahrgang 1932, der jetzt, am 19. Februar 2016, im Alter von 84 Jahren nach schwerer Krankheit starb, weltberühmt durch historische Romane wie „Der Name der Rose“, und international renommierter Semiotik-Professor, war auch ein großer Comic-Kenner, -forscher und –theoretiker. Eco gehörte zu jenen, die früh für die kulturelle Anerkennung des Comics kämpften – zu einem Zeitpunkt, als dies nur Wenige taten. So war er bekennender Milton Caniff- und Alex Raymond- und Hugo Pratt Freund, schätzte „Flash Gordon“, Steve Canyon und Corto Maltese, Charles M. Schulz Peanuts und Charlie Brown, und analysierte die Semiotik und Serialität (den Seriencharakter) der Gattung Comic in seiner berühmt gewordenen Anthologie „Apokalyptiker und Integrierte“ (im Original 1964 erschien). Eco brach eine Lanze dafür, das Kind nicht wie die Kritische Theorie der Frankfurter Schule Adornos/Horkheimers mit dem Bade auszuschütten, nicht pauschal alles als "Massenkultur" zu verdammen, sondern sich konkret mit dem Eigensinn der jeweiligen Comics auseinanderzusetzen. Zusammen mit Frederico Fellini firmierte Eco in Italien die führende Fumetti-Instanz unter den Intellektuellen seines Landes.
Umberto Eco war bereits passionierter Comic-Liebhaber und Comicologe, da galten Comics in bürgerlichen Kreisen noch als „minderwertiger Schund“ und
triviale Massenzeichenware: Seit den frühen 1960er Jahren… So gehörte er bereits 1965 zu den Mitbegründern des legendären italienischen Comic-Magazin „Linus“, dem
Vorläufer-Journal des französischen Ablegers Charlie Hebdo, das 1969 folgte… In seinem berühmten „Peanuts“-Essay „Die Welt von Charlie Brown“ lobte Eco Charles M. Schulz‘
Mikrokosmos rund um die „Peanuts“, denn: »mit zwei Strichen im Gesicht von Charlie Brown stellt uns Schulz seine Version der Conditio humana vor«.
Und weiter schrieb Eco über den klassischen Massenauflagen erzielenden Comic: „Der Comic, ein ausgefeiltes Industrieprodukt, funktioniert gemäß den Regeln der heimlichen Verführung, setzt beim Konsumenten die Haltung der Zerstreutheit voraus, die die paternalistischen Tendenzen der Auftraggeber unmittelbar stimulieren. Und die Autoren passen sich dem an. So spiegelt der Comic in den meisten Fälle die implizite, innere Logik der Gesellschaftsordnung, und fungiert als Verstärker der herrschenden Mythen und Werte.“
Superheldencomics wie Superman sah Eco u.a. als bildliche Projektion von Neigungen, Hoffnungen und Ängsten, die ewige Wiederholung mache die Besonderheit der Comic-Ästhetik aus: Der populäre Mythos der Comics sei in sich nicht abgeschlossen, werde immer weitergesponnen…
Dagegen grenzte Eco individuelle Geniestreiche der Gattung Comic ab – etwa Pratts Corto Maltese oder frühere Klassiker wie Krazy Kat von George Herriman, aber auch Charles M. Schulz „Peanuts“ oder Jules Feiffer. Ebenfalls 1965 mischte Eco auch auf Europas erstem und ältesten Comic-Salon mit – dem Internationalen Comic-Salon im toskanischen Lucca mit.
Eine US-Zeitschrift nannte ihn einen der wichtigsten Intellektuellen der Welt. Der großen Intellektuelle und Bücher-Liebhaber Umberto Eco, 1932 in Alessandria (Piemont) unweit von Turin geboren, lebte in Mailand, verheiratet mit einer Deutschen, lehrte Semiotik an der Universität Bologna. Er verfasste zahlreiche Schriften zur Theorie und Praxis der Zeichen, der Literatur, der Kunst und nicht zuletzt der Ästhetik des Mittelalters. Dank seines Romandebüts ›Der Name der Rose‹ (dt. 1982) avancierte Eco zu Weltruhm. Ob seiner wissenschaftlichen Forscherarbeit galt er zudem als einer der wichtigsten Vertreter der Semiotik weltweit.
"Schreiben - das ist immer ein sozialer Akt", so Umberto Eco in 2015 in einem Interview mit der ARD. Und: "Ich bin unbändig neugierig." Seine
Leistungen wurden inzwischen mit nicht weniger als 17 Ehrendoktorwürden aus aller Welt geehrt. Auf Deutsch erschien – neben seinen zahlreichen
historischen Romanen – auch die Aufsatzsammlung „Lüge und Ironie“ – Untertitel: „Vier Lesarten zwischen Klassik und Comic“. In diesen Essays kam denn auch nicht
zuletzt Corto Maltese, der Kult-Comic von Hugo Pratt zum Zuge. Eco hätte fürs Thema Lüge und Ironie kein besseres Comic-Beispiel finden können als dieses. Ecos
konzisen Analysen werden bleiben - kluge Essays über Steve Canyon, Superman oder Krazy Kat, über Mao-Comics aus China, aber
auch kenntnisreich-hintergründige Vorworte für Pratts Corto Maltese-Comicroman Südseeballade, Guido Crepax‘ „Valentina“ oder Eisners Das Komplott… Ein typischer
Eco-Satz: "Wenn ich die Bibel, Homer oder Dylan Dog zum Lesen habe, langweile ich mich nie."
Auch in seinem jüngsten Roman „Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana“, die zur Geschichte seines Jahrhunderts, seiner Kindheit und Jugend
geriet, spielen die Comics seiner Jugend eine Schlüsselrolle.
Volker Weidenmann schreibt im "SPIEGEL" über Umberto Eco: "Ein Mann wie ein Lexikon: Umberto Eco wusste beinahe alles. Erinnerung an eine Begegnung in seiner Mailänder Wohnung. Er liebte Comics und antike Büsten und die "Kritik der reinen Vernunft" von Immanuel Kant."
Es war ganz typisch für ihn, den Universalgelehrten, dass er sich noch kurz vor seinem Tod mitten hinein in eine Comic-Fachbuchhandlung in Lucca setzte - umgeben von seinen heißgeliebten, aber auch kritisch-solidarisch sezierten Fumetti...
Umberto Eco war ein intellektueller Vorkämpfer für die kulturelle Anerkennung des grafischen Erzählens. Er war weder Apokalyptiker noch Integrierter, sondern, was den Comic anbelangt, immer mittenmang. Von ihm nehmen wir die Erkenntnis mit, dass es nicht schaden kann, den Comic zu lesen, ehe man über ihn urteilt. Ein Jahrhundert-Denker, dessen Hellsichtigkeit uns künftig aufs Schmerzlichste fehlen wird. KMF
So ein Zufall: Wenige Tage, nachdem das Frankfurter Museum Angewandte Kunst die begehbare, sehenswerte Schau "ZeitRaum" mit Richard McGuires "HIER" eröffnete, legt Europas führendes Comic-Festival nun nach: Bei der mit Spannung erwarteten Vergabe der "Fauve"-Preise (Wildkatzen-Preise), Europas Comic-Oskar heute Abend (30. Januar 2016), erhielt der US-Avantgardecomic "HERE" (dt. HIER, Dumont-Verlag, siehe COMICOSKOP-Rezension) die wichtigste Auszeichnung aller Sparten - die "Goldene Wildkatze" als bestes Album des Jahres. Kleine Sensation: Auch Erich Ohsers alias e.o.plauens (1903-1944) deutscher Ur-Comic, die Bildgeschichte "Vater und Sohn" ehrte die Jury mit einem Preis, den Prix de Patrimoine. Der Pantomime-Comic erschien von 1934 bis 1937 in der Berliner Illustrirten Zeitung und geriet zum Welterfolg - noch heute ist der Comic en vogue, siehe eine Neu-Adaption durch Ulf K. Die Nazis trieben Ohser in den Tod: Am 6.April 1944 erhängte sich der beliebte Künstler in seiner Gestapo-Gefängniszelle, ehe ihn Hitlers Blutrichter Roland Freisler vorm Volksgerichtshof-Tribunal zum Tode verurteilen konnte. Beide Preise sind eine faustdicke Überraschung: Normalerweise sind die Franzosen bei der Preisvergabe ganz auf "Mir san mir"-Kurs. Soviel Weltoffenheit war selten. Zudem heimste die Polit-Satire "Cher Pays de notre Enfance" (dt. etwa: Oh, du teures Land unserer Kindheit") von Benoît Collombat (Text) und Étienne Davodeau (Zeichnungen) den Prix du Public ein.
Spezialpreis der Jury 2016: Pozsla: Carrnet de Santé Foireuse" (Editions Delcourt)
Serien-Preis/Beste Reihe: Ms Marvel Bd. 1 (Panini) von Adrian Alphona und G. Willow Wilson
Prix Révélation: Pietro Scarnera: Une Etoile Tranquille - Portrait Sentimentale de Primo Levi (Ed. Rackham)
Bester Jugendcomic: Benjamin Renner: Le Grand Méchant Renard. Ed. Delcourt
Fauve polar SNCF: Marcello Quintanilha: Tungstène. Ed. Ca et la
Prix de la B.D. Alternative: Laurence 666. Mauvaise Foi Editions )eine Art frz. Pendant zu "Strapazin")
Primo Levi Graphic Novel von Pietro Scarnera: Une Etoile Tranquille - Portrait Sentimentale de Primo Levi (c) Pietro Scarnera & Ed. Rackham)
Diese Preisverleihung lief außer Plan: Auf Initiative des Herausgebers und Hauszeichners der einst von Gotlib ins Leben gerufenen Satire-Zeitschrift "Fluide Glacial", Yan Lindingre (Jg. 1969) rasch ausgelobt, um eine Scharte auszuwetzen. Hatten doch die Veranstalter des Internationalen Comic-Festivals Angoulême in einem Anfall von Kleinmut entschieden, den gerade eben vor einem Jahr gestifteten Charlie-Preis für Meinungsfreiheit (der 2014 posthum an die ermordete Charlie Hebdo-Crew um Cabu & Co ging) aus Angst vor möglichen Terroranschlägen auszusetzen (siehe auch: COMICOSKOP-Kommentar). Fluide Glacial-Macher Lindingre sprang ein, ersparte den Festival-Organisatoren damit eine Peinlichkeit. Der erstmals verliehene Independent- und Zivilcourage-Preis "Cuilles au Culs" (dt. in etwa: für "Mumm in den Eiern") ging an die tunesische Comic-Satirezeichnerin Nadia Khiari. Ihr Satirecomic um eine Respekt vor nichts und niemandem habende, Freiheit über alles liebende Comic-Wildkatze "Willis from Tunis" erschien im Fahrwasser des Arabischen Frühlings und der Jasmin-Revolution Tunesiens erstmals im Januar 2011. Sozusagen eine "Fauve" der anderen Art... Nebenbei geriet dieser unabhängige, richtungsweisende Preis auch zu einer Antwort an die Veranstalter des Festivals auf die fehlenden Comic-Frauen bei der Nominierung zum Grand Prix.