VOR GENAU EINHUNDERT JAHREN: Am 19. Januar 1921 wurde sie
geboren – und hatte ein sehr bewegtes Leben vor sich, plus ein sehr produktives Oeuvre. Patricia Highsmith (geboren als Mary Patricia Plangman) in Fort Worth,
Texas; gestorben am 4. Februar 1995 in Locarno, in ihrer Wahlheimat Schweiz) avancierte als US-amerikanische Schriftstellerin zum Weltstar, die allerdings den größten Teil ihres Lebens in Europa
verbrachte. Highsmith schrieb auch unter dem Pseudonym Claire Morgan. Sie erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u.a. für ihr Buch "The Talented Mr. Ripley" ("best novel")
1956.
Leben und Werk ist diese Biografie gewidmet, die auch eine ausführliche Antwort auf eine Frage wie diese bietet, quasi ein „Geheimnis“ lüftend: Was bitte hat eine Biografie über eine wahrlich talentierte Schriftstellerin (siehe „Zwei Fremde im Zug“ und natürlich „Der talentierte Mr. Ripley“ etc. pp., vielfach verfilmt …) bloß mit der wunderbare Comic-Welt zu tun?
Nun, eine ganze Menge: Immerhin sechs Jahre lang hat eben sie als Script-Writerin für diverse Comic-Verlage gearbeitet, 1943-1949 – fast sogar für Stan Lee: „Weder Lee noch H. sind interessiert, weshalb Spiderman… die einmalige Gelegenheit verpasst, auf Tom Ripley zu treffen“ (S. 895).
Was auch heißt, dass die Autorin für eher zweitranginge Superhelden geschrieben hat statt für Superman, wie von ihr angedeutet, wenn sie schon mal eingestand, was mit Comics gehabt zu haben. Und das durchaus ausführlich, mussten doch seinerzeit längere reine Text-Passagen zwischen Panel-Folgen geboten sein, um die (anfangs hektografierten und zusammen geklammerten!) Heftchen vergünstigt per Post an die Abonnenten liefern zu dürfen… Im Bildteil ist diese Highsmith-Autorenschaft „dokumentiert“ durch vier Cover von ihr gescripteter Ausgaben (u.a. Black Terror, Fighting Yank etc., meist für Timely Comics = dem Marvel-Vorgänger), wenn auch schwer nachweisbar – geschrieben wurde von ihr wie von den anderen Autoren mit Pseudonym.
Im Grunde wenig überraschend war dieser Comic-Einsatz (wenn auch wohl eher Zähne knirschend: Sie brauchte dringend Einnahmen), waren doch beide (leibliche) Eltern als Grafiker tätig, die Mutter konkret als Illustratorin (auch Mode-Zeichnerin). Diese Anstellung blieb übrigens ihre einzige das Leben lang, zuletzt auch nurmehr als Freie liefern. Wie sehr ihr das Arbeiten für Comics eigentlich lag, wenn auch später konsequent geleugnet, wie sehr sie davon für ihr literarisches Wirken profitierte, es beeinflusste, arbeitet Joan Schenkar exzellent und detailliert heraus: Das Kapitel „Alter Ego“ in fünf Teilen dreht sich fast komplett darum, auf immerhin 140 Seiten, wie sie dieses Wechseln bei „ihren“ Superhelden zwischen zwei Identitäten auch beim Schreiben ihrer Romane anwendet – und damit zugleich ihr eigenes Sein spiegelt: Alter Egos eben!
Dabei entwickelt Schenkar zugleich eine Historie der frühen US-Comic-Verlage, der teils dubioser Finanzierung und dem Wachsen zur führenden
Industrie gedruckter Medien, von einfachstem Auftreten à la Pulp („Pulpe“ eben, billigstes Papier) hin zu Hochglanz in Millionen-Auflagen (z.B. S. 263). Dass Scriptgirl Pat sich in die Storys
besonders gut eindenken und einfühlen konnte, mag auch an ihrem vielseitigen Talent gelegen haben: Neben dem Schreiben zeichnete sie auch, entwarf ihre Geschichten auch mithilfe von
Illustrationen, wie im Anhang mit einem „Goldener-Pfeil-Diagramm“ dokumentiert – ganz die Eltern also, leibliche wie Stiefvater…
… eben auch den starken Einfluss ihrer Arbeit mit und für Comics auch ihr Schreiben generell analysierend und präsentierend! Bereits 2009 erschienen, auf Deutsch dann 2015 bei jenem Verleger, den Pat Highsmith zum Verwalter ihres literarischen Nachlasses bestimmt hatte und der die Weltrechte hält, ist dies ein thematisch aufbereitetes Konstrukt, dennoch mit ihrem Lebens- (und damit Schaffens-)Ende schließend. Die Bio erscheint selbst als eine Art Lebens-Roman einer vielfältigen, zerrissenen Persönlichkeit, gestaltet in diesen neun Kapiteln: Wie fange ich an – Ein simpler Akt der Fälschung – La Mamma – Griechische Spiele – Alter Ego – Sozialkunde – Les Girls – Die wahre Romantik der Dinge – Der Kuchen, der aussah wie ein Sarg. So ist das „die maßgebliche Biographie über das mysteriöse Leben und die phantastische Schöpferkraft von Patricia Highsmith.
Minutiös recherchiert und außergewöhnlich vergnüglich zu lesen, mit einem Bildteil und vielen zeitgenössischen Dokumenten im Anhang. Das Standardwerk zum Ausnahmetalent unter den Kriminalschriftstellerinnen. Als Schriftstellerin ein Ausnahmetalent und weltberühmt, erscheint Patricia Highsmith umso mysteriöser und widersprüchlicher, je weiter man unter die Oberfläche der Gerüchte taucht: Nach außen verschlossen wie eine Auster, hinterließ sie Abertausende von Seiten intimster Einblicke in ihr Schlaf- und Arbeitszimmer.
Von Kind an überzeugt, im Körper eines Jungen geboren zu sein, sind ihre (meist weiblichen) Geliebten so zahlreich wie die perfiden Verbrechen ihrer (meist männlichen) Romanfiguren. Sie galt als scheu und lebte zunehmend zurückgezogen, doch sie formte den weltberühmten Tom Ripley selbstbewusst als ihr geistiges Alter Ego. Klug, humorvoll, unverblümt und in sprühender Prosa folgt Joan Schenkar dem emotionalen Auf und Ab von Patricia Highsmiths Leben wie den Windungen eines Schneckenhauses.“ Übrigens das Tier, von dem sie am meisten beeindruckt war… „Jahrelange Recherche und größtenteils unveröffentlichtes Archivmaterial sowie persönliche Gespräche mit Vertrauten setzen Stück für Stück das Bild einer Frau zusammen, der es gelang, sich in aller Öffentlichkeit zu verstecken.“ Mehr dazu in der Danksagung.
Ein toller Einblick also, auf (mit Anhängen) deutlich über 1.000 Seiten! Und eben einer Verbindung zu Comics, die hier erstmals aufgedeckt wurde:
Auch der ziemlich ausführliche Wikipedia-Artikel verschweigt dies übrigens. Zumindest in einem Nebensatz lapidar erwähnt hat das die FAS (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) in ihrer
Vorab-Hommage am 17. Januar: „… und beginnt als Comic-Texterin zu arbeiten.“ Voila!
Patricia Highsmith lebte zwischen 1942 und 1948 in New York City und Mexiko und schrieb in dieser Zeit - was lange gut gehütetes Geheimnis war - für
allerlei US-Comic-Verlage. Als sie auf eine Anzeige für "Reporter / Umschreiben" antwortete, kam sie im Büro des Comic-Verlags Ned Pines an und bekam einen Job in einem Pool aus vier Künstlern
und drei anderen Schriftstellern. Zunächst schrieb sie zwei Comic-Geschichten, erhielt dafür pro Tag 55-Dollar-Schecks pro Woche, erkannte aber bald, dass sie mehr Geld verdienen könne,
wenn sie freiberuflich für die Colmic Industry tätig wäre. Diese Situation ermöglichte es ihr, Zeit zu finden, um an ihren eigenen Kurzgeschichten zu arbeiten und auch für eine zu leben Zeit in
Mexiko. Der Comic-Drehbuchautor-Job war der einzige langfristige Job, den sie jemals hatte. Mit Nedor / Standard / Pines (1942–43) schrieb sie Sgt. Bill King Geschichten und trug maßgeblich zur
Comic-Heftreihe Black Terror bei. Für Real Fact, Real Heroes und True Comics schrieb sie Comic-Stories über Albert Einstein, Galileo und Barney Ross, aber auch über Edward Rickenbacker, Oliver
Cromwell, Sir Isaac Newton, David Livingstone und andere.
In den Jahren 1943–45 schrieb sie für Fawcett Publications und schrieb Texte für die Fawcett Comics-Figuren wie Golden Arrow, Spy Smasher, Captain Midnight, Crisco und Jasper. Sie schrieb 1945–47 für Western Comics. Highsmith schrieb auch für Timely Comics, den Vorläufer-Verlag des heutigen Marvel Comic-Konzerns, und zwar für Titel wie The Destroyer und Jap-Buster Johnson sowie für einige Romantik-Titel. Der Herausgeber Vince Fago versuchte, sie auf ein Date mit Stan Lee in Kontakt zu bringen, aber es wurde nichts daraus.
Sie arbeitete später die Namen ihrer Comic-Landsleute in ihre Romane ein, darunter die Inker Joe Sinnott-Redakteurin Dorothy Woolfolk (unter ihrem Mädchennamen Roubicek). [1] Der talentierte Mr. Ripley (1955), eines der ersten Betrugsopfer der Titelfigur, ist der Comiczeichner Frederick Reddington, eine Abschiedsgeste, die auf die frühere Karriere anspielte, ebene jene geheime Comictexterinnen-Laufbahn, die sie aufgegeben hatte: "Tom hatte eine Ahnung von Reddington. Er war ein Comic Künstler. Er wusste wahrscheinlich nicht, ob er kommt oder geht. "
Martin Frenzel