Man wird sofort in den Bann der Empathie dieses Films gezogen: Mit „L'Humour à Mort“ (2015, wörtlich: Tödlicher Humor, deutscher
Verleihtitel: Je suis Charlie) ist wunderbar geglückt, was man in der Berichterstattung deutscher Medien schmerzlich vermisste (wie den nach Mitternacht (!) laufenden ZDF-Bericht, der nahezu
völlig auf reine Terrorismus-Berichterstattung fokussierte). Dieser Film von Daniel und Emmanuel Leconte (Vater und Sohn) nimmt auf ungemein einfühlsame Weise die Opfer in den
Blick. Er zeigt Cabu & Co. als das, was sie waren: Menschen, fantastische Künstler, mit viel Herzenswärme, Sinn für bitterbösen Humor, vor allem aber für das Lachen. Der Film erzählt, wer da
eigentlich auf so bestialische Art umgebracht wurde. Holt damit nach, was gerade von bundesdeutschen Medien weit überwiegend aus Unkenntnis versäumt wurde. Fängt ihr Lebensgefühl, ihre
Philosophie, ihre Lebensfreude ein: Es ist berührend die Rückblende-Interviews mit Cabu, Charb und den Anderen zu sehen. Erst diese Empathie für die Opfer, das bewusste Einnehmen der
Opfer-Perspektive macht den ungeheuren kulturellen Verlust deutlich, den das Blutbad des 7. Januar 2015 bedeutete.
Sowohl die Interviews mit den Ermordeten, die zu zeigen nur möglich war, weil Vater Daniel Leconte bereits 2008 einen Film über den spektakulären Prozess gegen Charlie Hebdo mit den damaligen Akteuren gedreht hatte (mit Cabu-Zitat aus dessen Mohammed-Karikatur in Charlie Hebdo im Titel: C'est dur d'être aimé par les cons“, dt. Es ist hart, von den Arschlöchern geliebt zu werden), als auch die Nahaufnahmen mit den Überlebenden gelingt dieser Dokumentation eine Rekonstruktion nicht nur der Ereignisse, sondern sie lässt die Menschen wieder lebendig erscheinen – die zuweilen bitterbösen, aber zumeist liebenswerten Spaßvögel Cabu, Georges Wolinski (zwei Giganten des grafischen Erzählens, deren Verlust man nur mit Loriot, Dieter Hildebrandt und Heinrich Böll vergleichbar machen könngte) und den Leuchtturm der Zeitschrift Charlie Hebdo, Chefredakteur Charb, aber auch Honoré, Tignous und all die Anderen.
Wie Emmanuel Leconte in einem interessanten Interview der „Frankfurter Rundschau“ es sagt: „Es war uns sehr wichtig, diese Menschen lebendig zu zeigen. Einige Leute haben 'Charlie Hebdo' und die Karikaturisten erst entdeckt, als sie gestorben sind, aber wir kannten sie schon davor. Sie haben gelebt wie kaum jemand, sehr glücklich, sehr lustig. Sie waren Freunde, Künstler. Wir wollten keine Beerdigung zeigen. Wir wollten, dass das Lachen eher nachhallt als die Tränen.“
Es sind Molmente, die unter die Haut gehen, als etwa Cabu 2006 im Filminterview mit den Filmemacher erklärt, ob er denn die Zeichnung mit dem
weinenden Mohammed und dem Text „Es ist hart, von Arschlöchern geliebt zu werden!“ so noch einmal machen würde: Ja, er werde es wieder tun. Heute wissen wir: Cabu bezahlte diese Haltung mit
seinem Leben.
»Sie sind Helden«, sagt die Philosophin und Feministin Élisabeth Badinter an einer Stelle des Films über die Charlie Hebdo-Crew nach dem gewonnenen
Prozess von 2007...
Islamverbände verklagten deswegen den damaligen Chefredakteur von Charlie Hebdo, Philippe Val: Der Abdruck sei "ein vorsätzlicher Akt der
Aggression" gewesen. Am 3. März 2007 wurde der Prozess jedoch zugunsten der Meinungsfreiheit und Charlie Hebdo entschieden.
Und Charlie Hebdo-Chefredakteur und Vordenker Charb erklärt sinngemäß: Es geht mir um die Extremisten aller Religionen...
Es sind auch die Zeugenbefragungen der Entronnenen,die den Film zu einer Doku-Perle machen: So schildert die nicht gerade uneigennützig wirkende Zeichnerin Coco, wie sie auf Druck der beiden Täter den Zugangscode zur Tür des Redaktionszimmers eingab. Die Einlassungen des neuen Verlagsleiters und Zeichners Riss, der dikrekt neben dem ermordeten Charb auf dem Boden kauernd mit einer Kugel in der Schulter überlebt, und der im Nebenzimmer sich hinter seinem Schreibtisch versteckende und am Ende dort mit seinem Hund ausharrende Finanzdirektor Eric Portheault lassen zwischen den Zeilen erahnen, welch Bild des Grauens sich nach dem Massaker dem Betrachter bot.
Mustapha, der algerischstämmige (!) Lektor, ein Muslime, wird ebenfalls von den Häschern brutal hingemeuchelt.
Gérard Biard, Verlagsleiter von Charlie Hebdo, ist es, der nach dem 7. Januar 2015 öffentlich erklärt: Man möge nie wieder diejenigen, die für Charlie Hebdo arbeiteten, als fundamentalistische Säkularisten bezeichnen...
Tignous, am 7. Januar 2015 ermordeter Karikaturist und Cartoonist des Satiremagazins Charlie Hebdo sagt lächelnd vor der Kamera: "Wenn wir unsere Zeichnungen, die wir auch selbst schockierend finden, veröffentlichen, tun wir das natürlich, um eine Reaktion zu provozieren. Sonst würde es ja keinen Sinn haben. Sonst bräuchte man uns ja nicht."
Es sind Sätze wie dieser in diesem Film, die dem Zuschauer eine Gänsehaut bereiten.
Andererseits bilden die Filmemacher die nachträglichen Attacken auf das Magazin ab, die den Zeichnern obszönerweise indirekt vorwarfen, selbst schuld an ihrem Tod gewesen zu sein. So insinnuierte es etwa ein ehemaliger Charlie Hebdo-Mitarbeiter infamer Weise kurz nach dem Massaker im Polit-Magazin "Le Nouvel Obsérvateur". Da der Film im Frühjahr schon fertiggestellt war, kommen die Pariser Anschläge vom 13. November darin nicht vor.
Dem Duo Leconte gelingt Dokumentation der besonderen Art: Sie zeigen die schrecklichen Ereignisse, die Anfang 2015 in Paris die ganze Welt in Atem hielten. Das Vater-Sohn-Gespann Daniel Leconte und Emmanuel Leconte rekonstruiert den Ablauf des Anschlages auf „Charlie Hebdo“, hinterfragt auch, was Satire darf und was nicht, geht aber mit dem warmherzigen Porträt der ermordeten Macher weit über eine reine Doku hinaus. Das macht den Film so kostbar, deswegen verdient er das Prädikat "Besonders wertvoll" für diesen exzellent gemachten Dokumentarfilm. Dem Doku-Film „Je suis Charlie“ gelingt eine ebenso empathische wie wohltuend kenntnisreiche Hommage an die Opfer. Pflichtprogramm, wenn man verstehen will, was am 7. Januar 2015 wirklich geschah. Absolut sehenswert, berührend und lehrreich. Ein Film, der nicht zuletzt an die Hochschulen, Schulen und Volkshochschulen gehört.