COMICOSKOP: Lieber Wolfgang, Du wirst in wenigen Tagen einen runden Geburtstag feiern. Grund genug
für uns, vom E-Fachmagazin Comicoskop, ein paar Fragen an Dich zu stellen… Du arbeitest ja nicht nur seit Jahrzehnten als Journalist, Übersetzer, Filmexperte, sondern Du giltst ja auch und nicht zuletzt als Deutschlands erster Comic-Forscher: Kannst Du schildern, wie Du zum Comic-Enthusiasten
wurdest – welche Comics hast Du in Deiner Jugend, in den 1950ern gelesen?
WOLFGANG J. FUCHS: Comic-Enthusiast ist vielleicht etwas zu viel gesagt. Ich habe halt gerne gelesen, ob Comics oder Bücher. In den 1950ern habe ich etwa die Micky Maus, das Bunte Allerlei (Phantom, Prinz Eisenherz, Hopalong Cassidy usw.), Tom Mix und Tarzan, aber auch den Kleinen Sheriff und gelegentlich Fix und Foxi gelesen. Und Kino war auch billig: Es gab da die Fuzzy-Filme, Tarzan, Supermann, Disney-Filme, Trickfilme im aki (aktualitäten Kino)... Ach ja, mit dem US-Komiker Jack Benny könnte ich sagen, dass ich zum wiederholten Male 39 werde…
COMICOSKOP: Kannst Du kurz Deinen Werdegang schildern? Du lebst in München, stammst Du auch daher? Wie standen eigentlich Deine Eltern zu Deiner Comic-Leidenschaft?
WOLFGANG J.FUCHS: Geboren bin ich in Unterfranken in der Heimat meines Vaters. Ein Viertel Jahr später bin ich nach München, in die Heimat meiner Mutter gekommen (weshalb man mich durchaus als Münchner betrachten kann – wenn man
will). Kindergarten und 2 Jahre Volksschule in München, dann drei Jahre Internat. Anschließend Besuch der Luitpold Oberrealschule (heute Luitpold Gymnasium). Nach dem Abitur Studium – zunächst ein Semester Bauingenieur, dann
Zeitungswissenschaft mit Nebenfach Amerikanistik und Anglistik. Meine Eltern waren davon nicht immer begeistert, haben es aber geduldet. Und ich habe auch einen Zeichen- und Grafik-Fernkurs belegt.
COMICOSKOP: An Deinem 20. Geburtstag – das muss 1965
gewesen sein, ein Jahr vor dem Tod des genialen Geschäftsmanns, da hast Du Walt Disney und dessen Frau Lillian auf einer Ausstellung in München getroffen: Wie kam das, was war das für eine Schau…? Was hat Disney gesagt…?
WOLFGANG J.FUCHS: Das war 1965 bei der 1. Internationalen Verkehrsausstellung in München. Disney wollte hier die Monorail besichtigen, sowie alle möglichen technischen Modelle. Außerdem hatte er ein 360-Grad-Kino für die Ausstellung
zur Verfügung gestellt. Ich hatte am Vortag gelesen, dass Disney die IVA besuchen wird und bin dann hingegangen. Ich habe ihn dort erwartet und gleich angesprochen. Später kam dann auch seine Frau dazu und ich bin den ganzen Tag
mit und hinter ihnen her über die IVA. Näheres dazu habe ich vor langer Zeit in der "Comixene" geschrieben. Zum Abschluss wurde das Kino besucht, indem ein Rundumfilm von einem Flug über die Schweiz gezeigt wurde. Immer wenn der Heli
schräg flog, gab es Probleme an den Nähten der 8 Leinwände. Ich merkte das nach dem Film Disney gegenüber an, worauf er etwas grummelig meinte: „We know that. We’re working on it.“
COMICOSKOP: Damals, in den frühen 1970ern, war es eine unschöne Übung, den Comic von zwei Seiten in die Zange zu nehmen: Die konservativ-reaktionäre Mehrheitsgesellschaft hielt Bildgeschichten schlicht für dekadenten Schund, von links-intellektueller Seite sezierte man den Comic als „Massenzeichenware“ zu Tode… Wie kamt Ihr – Reinhold
C. Reitberger und Du, dazu, die heute als Standardwerk geltende „Anatomie eines Massenmediums“ zu schreiben? Sie erschien ja erstmals 1971, was war die Intention? Wie habt Ihr Beiden – Reinhold C. Reitberger und Du – Euch kennengelernt?
WOLFGANG J. FUCHS: Wir wollten eine mehr oder weniger unvoreingenommene Sicht auf die Comics präsentieren. Wir hatten – im Rahmen einer Reihe von Veranstaltungen
über Populärkultur am Amerikainstitut der LMU für unseren Professor ein Colloquium über Comics vorbereitet und gehalten. Anschließend meinte der Professor, wir hätten uns so viel Arbeit gemacht und sollten dafür doch einen Verleger suchen. Wir boten das Buch zunächst dem Piper Verlag an, aber Herr
Piper fand es zu ausgewogen. Doch das war ja die Absicht. Linkslastig hatte und hätte es jeder gekonnt. Reinhold und ich sind im selben Haus aufgewachsen und als ich 6 Jahre alt war, habe ich ihm Micky-Maus-Hefte vorgelesen. Später haben
wir Comics gezeichnet und sie untereinander ausgetauscht. Ich habe viele amerikanische Hörspiele auf AFN gehört. Eines Tages sagte mir Reinhold, in einem der Antiquariate gäbe es auch Lone Ranger Hefte. Tja und so führte eines zum anderen und Comics, Hörfunk, Schulunterricht und amerikanische Freunde
ergänzten sich…
COMICOSKOP: Comics.Anatomie eines Massenmediums – dieser Titel ist ja heute Kult… gehört zum Inventar der frühen deutschsprachigen Comicforschung…
WOLFGANG J: FUCHS: Tja, was soll ich dazu sagen… Eigentlich ist das ja keine Frage….
COMICOSKOP: ...es ist die Wahrheit!...
Nun, Euer Buch entwickelte sich ja dann zu einem Dauerbrenner, trug stark dazu bei,Vorurteile und Ressentiments gegen Comics zu beseitigen – erschien in verschiedenen Verlagen, Formaten und kürzeren Fassungen… und dann gab es da diese Anekdote mit dem Fauxpas „Barx“ statt „Barks“, der erst in der 2.Auflagekorrigiert wurde…?!
WOLFGANG J. FUCHS: Wir hatten zwei Quellen zu Barks. Die mit den genaueren Informationen nannte ihn Barx, die mit fehlerhaften Infos Barks. Wir wollten das noch genauer recherchieren, aber unser Verleger meinte, so viel Zeit wäre bis Drucklegung nicht mehr, doch die Analogie Marx und Barx wäre ganz nett. Deshalb wurde dann Barx daraus. Wir wussten aber schon vor Veröffentlichung, dass es Barks hätte heißen müssen. Aber das konnte nicht mehr geändert werden. Damals wurde ja mit Fotosatz gearbeitet. Wir baten dann darum, das in der zweiten Auflage zu korrigieren. Aber selbst das wurde nicht gemacht. Erst als wir (wir heißt in diesem Fall mehr ich als wir) den Text für Übersetzungen in andere Sprachen durchsahen und Korrekturen machten, wurde aus Barx endlich Barks.
COMICOSKOP: Welche Rolle spielte damals eigentlich der Verleger Abi Melzer?
WOLFGANG J.FUCHS: 1971 gar keine. Später wollte er ein Buch über Comics machen, aber seine Autoren ließen ihn sitzen. Also fragte er bei unserem Verleger an, ob er eine von uns überarbeitete Version unseres Buchesherausbringen könne.
COMICOSKOP: Was hatte es mit dem Publikationsprojekt "Panel" - auch von Euch beiden und auch von 1971 auf sich...?
WOLFGANG J. FUCHS: "Panel" war das NACHFOLGEOBJEKT der Anatomie. Es sollte eine aufwendigere Art von "Fanzine" werden und vierteljährlich erscheinen. Leider kam es nach der Nummer 1 zu Unstimmigkeiten, sodass das Projekt unsanft entschlummerte...
COMICOSKOP: Ihr wart damit so ziemlich die ersten, die einem breiteren Publikum einen wohlwollenden Blick aufs grafische Erzählen nahebrachten…die sich ernsthaft mit dem Medium des grafischen Erzählens auseinandersetzten... Es folgten dann ja 1978 das Comics-Handbuch – dann direkt für den Rowohlt Verlag in Reinbek…
WOLFGANG J. FUCHS: Ja. Unser Lektor Ludwig Moos, der Neffe von Heinz Moos, war da zu Rowohlt gegangen und wollte ein Buch, das man stärker wie ein Nachschlagewerk nutzen konnte…
COMICOSKOP: Weiß man etwas über die Gesamtauflage der Anatomie? Es gab ja auch Übersetzungen ins Ausland, zumindest weiß ich von einer holländischen Ausgabe..?!
WOLFGANG J. FUCHS: Erste Auflage: 5.000 mit Schallfolie, 2. Auflage 5.000 ohne Schallfolie, englische Ausgabe 15.000 (davon 5.000 für England, 10.000 für USA), vermutlich 5.000 oder10.000 in Holland. In Spanien erschien das Buch in
Fortsetzungen in einer Comic-Fachzeitschrift bei Buru Lan, wo zum Teil ergänzt und mehr illustriert wurde. Auflagenhöhe: keine Ahnung. Die Taschenbuchausgabe mit dem um etwa die Hälfte gekürzten Text hatte wohl 53 000 Auflage. Wie hoch
die Auflage bei Melzer genau war, weiß ich bis heute noch nicht. Angeblich wurde sie auch über einen Buchclub vertrieben.
COMICOSKOP: Du hast Dich nicht nur als Comic-Forscher allgemein verdient gemacht, sondern auch als Donaldist (ohne dabei Mitglied zu sein), Carl Barks- und Disneycomic-Kenner… So wurdest Du durch redaktionelle Beiträge bekannt, die regelmäßig etwa in den "Tollsten Geschichten von Donald Duck Sonderheft", aber auch gelegentlich im "Lustigen Taschenbuch" erscheinen. So hast Du ja regelmäßig die Beiträge "Entenhausener Geschichte(n)" und "Zeichnerporträt" im DDSH verfasst, zudem redaktionelle Beiträge aus dem Englischen übersetzt, warst an der Zusammenstellung und redaktionellen Betreuung der Reihe "Heimliche Helden" beteiligt… seit wann besteht die Zusammenarbeit mit Ehapa bzw. heute Egmont-Ehapa? Hast Du Erika Fuchs kennnengelernt? Bist Du D.O.N.A.L.D-Mitglied?
WOLFGANG J. FUCHS: Zu viele Fragen auf einmal. Anfangs habe ich ja für den bsv übersetzt und durch die Anatomie kamen auch Kontakte zu ehapa und den anderen Verlagen dazu.
Und irgendwann wollte man beim Horizont Verlag für die Disney-Klassiker-Reihe Vorworte und Übersetzungen. Auf diesem Weg kam ich dann auch zu ehapa, zunächst über das LTB, dann zum DDSH, wo ich die EGs zu schreiben anfing, als der zuständige Redakteur diese Aufgabe abgeben wollte. Das war so ungefähr vor 23 Jahren...
COMICOSKOP: Welche Comics hast Du den für den Bildschriftenverlag bsv übersetzt...?
WOLFGANG J. FUCHS: Na, das waren zum Beispiel die "Sheriff Klassiker" ab ca. 968, "Tarzan" ab 49, "Simon Templar", aber auch "Pexos Bill", "Die Spinne", "Die Fantastischen Vier (je ca bis Nr. 12...
COMICOSKOP: ... und Erika Fuchs, hast Du Sie je
getroffen...?
WOLFGANG J. FUCHS: Ja, Erika Fuchs habe ich mehrmals getroffen und auch mit ihr telefoniert. Ich glaube, ich war auch der einzige Comic-Fan, der zusammen mit zwei Ehapa-Mitarbeitern (Marion Egenberger und Michael Walz) und einem Disney Germany-Mitarbeiter bei ihrer Beerdigung (bzw. Trauerfeier) war. Ich bin kein Mitglied der D.O.N.A.L.D. Man hatte mir mal angetragen, Präsid-Ente für ein Jahr zu werden. Da ich das ablehnte, weil ich in keinem Verein sein wollte, bin ich auch nie Ehren-Donaldist geworden.
COMICOSKOP: Wolfgang, wir kennen uns nun schon seit über 30 Jahren, wohl in etwa seit dem Jahr 1984, dem Ersten Erlanger Comic-Salon, dann 1985, als ich für die "Süddeutsche" über die ersten Münchner Comic-Tage berichtete (was damals für die "SZ" einer Kulturrevolution gleichkam): Du bist bekannt für ein ungeheures Faktenwissen über Comics. Das hat mich schon damals beeindruckt. Gerade mit Blick auf Barks schöpfst Du ja aus profunden Quellen in den USA? Kannst Du das näher erzählen…
WOLFGANG J. FUCHS: Na gut, ich weiß einiges oder so manches. Ich glaube aber, das zu erläutern würde zu weit führen. Nur so viel: Ich hatte lange Jahre gute Beziehungen zum US-Fandom, habe unter anderem Zeichner für Jerry Bails‘ Index amerikanischer Heftzeichner identifiziert, ab und an für US-Fanzines geschrieben und mich halt hier und da informiert. Ein Freund in New York versorgt mich auch immer noch mit aktuellen Infos. Heute natürlich meist über Internet-Links. Und im Internet kann man ja ohnehin einiges recherchieren.
Manchmal, wenn ich dann neue Infos suche, stoße ich auf viele Details – die ich irgendwann einmal selbst recherchiert und in Artikeln verwendet hatte.
COMICOSKOP: Zusammen mit Reinhold C. Reitberger hast Du ja, was weniger bekannt ist, auch einen eigenen Comic herausgebracht, den Werbecomic "Berry der Plantagenbär" geschrieben, gezeichnet und gelettert. – Das war ja ein kostenloser Werbecomic für Kaba, der den Instant-Kakaogetränk-Packungen 1985 bis 1990 beilag. Was war Deine Rolle dabei, wie kam es zu diesem Projekt? Ist an Dir ein Comic-Zeichner verloren gegangen?
Ist Euch der Plantagenbär heute im Rückblick peinlich?
WOLFGANG J. FUCHS: Nein , Berry ist mir überhaupt nicht peinlich, im Gegenteil. Vielleicht abgesehen davon, dass wir manchmal sehr schnell arbeiten mussten.
Ich hatte ja davor schon den Werbecomic Super Kevin betreut, in dem Kevin Keegan (der Fußballer mit dem Spitznamen Mighty Mouse) die Leser im Auftrag von BP zum Energiesparen anhalten sollte. (Danach wurden 5 Werbetrickfilme
gedreht). Texte und Storyboards waren von mir, Zeichner war Themistokles Kannelakis. Und als ich eines Tages Vera Sommer, die Chefredakteurin des Evangelischen Filmbeobachters während deren Urlaub vertrat, bekam ich den Anruf
einer Werbeagentur, ob ich jemand wüsste, der einen Werbecomic machen könnte oder ob ich das vielleicht selbst machen würde.
Bei den Zeitvorstellungen, die man da hatte, war mir klar, dass das in Zweierarbeit einfacher zu machen war.
Also habe ich Reinhold mit ins Boot geholt. Wir haben die Geschichten gemeinsam ausgedacht, ich habe sie abgetippt und dann zum Approval eingereicht. Reinhold hat anschließend die Storyboards gezeichnet, die ich dann – wie etwa bei Marvel
üblich – getextet habe. Nach erneutem Approval hat Reinhold die Bleistiftzeichnungen angefertigt, dann kam ich mit dem Lettering und der Tuschzeichnung dran. Außerdem hatte ich die ganze Logistik besorgt. Später habe ich dann noch die Quenchies geschrieben und gezeichnet, und für Bavaria Comic
Verlag die Storyboards und zum Teil die Titelbilder für Quark gemacht. Ich zeichne auch immer noch, heute aber oft auch mit dem Computer.
COMICOSKOP: 1982 erschien das große Buch der Comics : Anatomie eines Massenmediums, sogar mit Schallfolie, wenn ich recht erinnere…
WOLFGANG J. FUCHS: Ja, die Schallfolie war eine Übernahme aus der 1. Auflage. Aber Melzer hat es nicht geschafft, den erklärenden Text zur Folie ins Buch zu packen – obwohl ich ihm den mindestens dreimal geschickt habe.
COMICOSKOP: 1985 Münchner Comicfest - ich war damals dort als rasender Reporter fürs geheiligte Feuilleton der Süddeutschen Zeitung unterwegs - hast Du dann im Münchner Comicfest 1985 im Gasteig, dem Kulturzentrum der Stadt, aus der Taufe gehoben – was trieb Dich an, wieso hörtest Du danach dann auf…um dann jetzt 2015 wieder in die Festivalleitung der Nachfolger, bei den Münchner Comic-Tagen, einzusteigen?
WOLFGANG J. FUCHS: Ein Sammler, der auch Comicmärkte veranstaltete – Thomas Wirsum – hatte bei mir und der Stadt München vorgefühlt. Tja und dann hat das Kulturreferat ja gesagt und damit kam elend viel Arbeit auf mich zu. Hat aber
Spaß gemacht. Meine Idee war, mit Erlangen abzuwechseln. Das wollte man in München aber nicht. Bloß gab es dann im Folgejahr das Problem, dass der Kulturetat nicht verabschiedet werden konnte und damit das 2. Comicfest flachfiel.
Ich hab’s dann noch eine Zeitlang versucht, aber das hat nix gebracht. Schließlich kam die Stadt wieder auf mich zu, aber das lief dann auch zum Teil etwas seltsam. Inzwischen bin ich aber auch (ehrenamtlich) im Beratergremium des Kulturreferats. Zum 30. Jubiläum des 1 Comicfests habe ich mich reaktivieren lassen, weil inzwischen die divergierenden Richtungen der Münchner Szene weitgehend unter einen Hut gebracht waren und das Comicfest im Wesentlichen dem ähnelte, was ich ursprünglich beabsichtigt und angestoßen hatte.
COMICOSKOP: 1972 hat der der damals comicfeindliche Rudolf Augsteinsche "Spiegel", das deutsche Nachrichtenmagazin, einen Artikel veröffentlicht, unter dem Titel „Gepeinigte Nerven“: Es war ein spiegel-typischer, ätzender Verriss Eures Buchs
"Comics. Anatomie eines Massenmediums". Darin hieß es u.a.: „Donald Duck ist ein "anthropomorpher fall guy"; Charlie Brown ist ein "sensibler Humanist, dessen gepeinigtes vegetatives Nervensystem nie zur Ruhe kommt"; Snoopy ist "der perfekte Hedonist"; hypertrophierte Heroen wie Super-, Bat- und Spider-Man "gleichen Androgynen" ohne "primäres Geschlechtsorgan". H. C. Artmanns Prophezeiung, in absehbarer Zeit werde man über Comics "tiefgründige Abhandlungen schreiben und aufs subtilste klugscheißen", hat sich erfüllt.
Der Zeitungswissenschaftler Fuchs, 26, und der Amerikanist Reitberger, 25, haben die anwachsende Zahl von Comics-Analysen um die bisher umfang- und kenntnisreichste Untersuchung bereichert. Als Materialgrundlage dieser "Anatomie" des als "system-perpetuierendes "big business""
beschriebenen Massenmediums diente ihre eigene voluminöse Privatsammlung von Comics.“ Die Spiegel-Schreiber warfen Euch, Dir und Reitberger vor, dass die deskriptive Tendenz und Detailfreudigkeit (Zeittafel, Bibliographie und Register machen das Buch zum Nachschlagewerk) die Autoren daran hindere, sozialpsychologische und ideologiekritische Ansätze weiterzuverfolgen.“ …Was habt Ihr seinerzeit empfunden, als Ihr so angegangen wurdet?
WOLFGANG J. FUCHS: Nun ja, zum einen waren gut versteckt auch einige lobende Worte darin enthalten, zum anderen gab es so viele andere zumeist positive Besprechungen, dass man zufrieden sein konnte und den Eindruck hatte, mit dem
Buch ist irgendwas bewirkt worden, was anderenfalls vielleicht nicht passiert wäre...
COMICOSKOP: Für Maurice Horns Universal-Comic-Lexikon „World Encyclopedia of Comics“ hast Du ja zahlreiche deutsche und europäische Beiträge verfasst… Wie kam es wann zu dieser besonderen Zusammenarbeit… über welche Comic-Autoren hast Du dann im Lexikon Horns geschrieben…?
WOLFGANG J. FUCHS: Ich denke, das kam über die Anatomie. Maurice hat mich eines Tages angeschrieben und sein Projekt erklärt und dass er dafür auch deutsche und europäische Beiträge wollte. Wenn ich mich recht erinnere, sollte ich 100
Beiträge schreiben. Ich habe dafür reihenweise Zeichner und Redaktionen angeschrieben oder per Telefon Interviews geführt (z.B. mit Loriot, M. Schmidt, R. Kohlsaat, F.W. Richter-Johnsen) und Fachzeitschriften aus Holland, Dänemark usw. studiert. Die Auswahl war vermutlich etwas subjektiv, weil die Vorgabe
war, es sollten möglichst historisch bedeutsame und/oder zukunftsweisende Serien und/oder Autoren beschrieben werden. Ich habe Maurice dabei unter anderem Erika Fuchs als die einzige Redakteurin/Übersetzerin als Beitrag untergejubelt. Ansonsten sind die Beiträge der Autoren mit Namenskürzeln
gekennzeichnet. Etliche Jahre später gab es übrigens eine Neuauflage…
COMICOSKOP: In der Zeit von 1973 bis 1975 las ich eine Zeitschrift namens Peanuts im Verlag gvm Gesellschaft für Verlagsmanagement, deren Chefredakteur Du warst: Dort erschienen nicht nur Charles M. Schulz Peanuts, Snoopy, Woodstock, Charlie Brown & Co, sondern auch Russel Myers „Brunhilda“ oder die Katzenjammer-Nachfolgeserie Captain and the Kids… Wie kam es zu Deinem Engagement dort?
WOLFGANG J. FUCHS: Ewald Baluch, der sämtliche Satzarbeiten für bsv und Williams gemacht hatte – weshalb ich ihn natürlich kannte – wurde eines Tages von Williams vor die Tür gesetzt. Da damals gerade die ersten Peanuts-Filme im ZDF liefen, wollte er ein tie-in machen. Das Problem war aber, dass das ZDF die
Peanuts-Specials nicht ständig zeigte, sodass der TV-Bezug allmählich wegfiel. Außerdem gab es für einen Kleinverlag wie gvm große Vertriebsprobleme. Die Zeitschrift erschien übrigens 1974/75. Das ursprüngliche Konzept entstammte der
spanischen Peanuts-Zeitschrift Carlitos. Ich habe das dann aber nach und nach geändert und Brun-Hilda mit dazu genommen. Neben dem TV-Mangel waren aber auch die Lizenzgeber das Problem. Sie wollten nämlich pro Monat im Heft nicht mehr Peanuts-Strips als in einem Monat in USA erschienen. (Und das obwohl jahrzehnteweise altes Material vorlag.) Der Käptn war eine der wenigen UFS-Serien, die man (wie bei Carlitos) als Zweitserie dazu nehmen konnte. Das war mir aber zu wenig. Da man mir keine Vorlagen für Brun-Hilda lieferte, habe ich anfangs einfach aus meinen US-Sonntagsseiten einige Folgen kopiert und die Grauwerte mit Deckweiß entfernt. Die Peanuts Strips habe ich auf A 5 Blättern montiert und mit einem 0,1 mm Rapidograph gelettert. Und weil mir die von Baluchs Agentur angefertigten Kinderspiele nicht so gefielen, habe ich dann etwa Beiträge über Baseball geschrieben und illustriert, Labyrinthe angefertigt und einmal sogar einen eigenen Comic eingebaut. Eine Fortsetzung davon hat aber UFS untersagt. Das mag hierzu genügen, obwohl man dazu noch einiges sagen könnte.
COMICOSKOP: Du hast Dich auch und gerade um Hal Fosters Prinz Eisenherz verdient gemacht: Bei Pollischansky, Carlsen und jetzt wieder bei Boccola…. Kannst Du schildern, was Dich an Fosters Ritter- und Abenteuerserie faszinierte, welche Rolle Du jeweils hattest…?
WOLFGANG J. FUCHS: Aufgrund der Anatomie hatte ich 1979 in Wien eine erste Comic-Ausstellung kuratiert und bei der Gelegenheit die Wiener Comicsammler um Pollischansky, Gerhard Förster und Wolfgang Alber kennengelernt. Pollischansky erklärte mir da, was er mit Eisenherz vorhatte und ob ich dazu Vorworte schreiben wolle. Das habe ich dann gemacht und schließlich auch Comics für Pollischansky übersetzt und für einige Eisenherzausgaben Collagen von
Schlüsselszenen angefertigt. Über Andreas Knigge ging das dann später bei Carlsen mit der Werkausgabe weiter, die inzwischen auch – was den Text angeht – die Grundlage für die Bocola-Ausgabe ist. Da man früher für Übersetzungen eigene
Verträge hatte, sind die Urheberrechte an der Übersetzung automatisch an mich zurückgefallen, weshalb ich die jetzt bei Bocola in Lizenz verwenden lassen kann (wobei ich für jeden Band meine Computerdateien noch einmal durchsehe und
gegebenenfalls Änderungen mache.)
COMICOSKOP: Soweit ich weiß, hast Du aber nicht nur Prinz Eisenherz und jede Menge Disney/Barks-Comics
ins Deutsche übertragen, sondern auch Jim Davis Garfield…?!
WOLFGANG J. FUCHS: Völlig richtig. Von 1987 bis 1994 war ich Chefredakteur der Garfield-Zeitschrift, die Kaukas Schwiegersohn Uli Pohl konzipiert hatte. Wir bastelten um die Comics herum redaktionelles Material, sodass die Zeitschrift
schließlich parallel in 7 europäischen Ländern veröffentlicht wurde. Das war eine – auch logistisch - hochinteressante Sache, der ich auch Reisen nach Tucson, Verona, Bologna, Monaco usw. verdanke. Nachdem die Zeitschrift entschlafen war, hat man die Werkausgabe bei ehapa begonnen, die ich seither übersetze und mit Vorworten versehe. Momentan wird übrigens eine holländische Ausgabe davon gemacht, in der meine Vorworte verwendet werden.
COMICOSKOP: Du hast aber immer auch über den Tellerrand der Comics hinausgeblickt, hast auch etliche Bücher und Artikel z.B. über Filme geschrieben…
WOLFGANG J. FUCHS: Richtig. Ich wollte mich nicht nur auf Comics festlegen lassen. Ich habe für den Bayerischen Rundfunk als Freier für die Kulturredaktion gearbeitet (1972 für das 3. Programm des BR Fernsehens auch eine informative
Sendung über Comics gemacht, die dann öfter wiederholt wurde.), für Filmzeitschriften Kritiken geschrieben, für medienpädagogische Zeitschriften gearbeitet, Bücher über Filmstars, deutsch-amerikanische Themen und San Francisco geschrieben und gelayoutet, Beiträge für eine englische
TV-Fachzeitschrift verfasst, für Graphis übersetzt, für den Pabel Verlag an der Zeitschrift S.F. Perry Rhodan Magazin als stellvertretender Chefredakteur gearbeitet, für Pabel Romane und Sachbücher lektoriert und zum Teil gekürzt, für den Playboy geschrieben, an Humorbüchern mitgearbeitet, National Geographic Bücher übersetzt, ebenso Comic-Klassiker wie Krazy Kat, Kin-der-Kids und Little Nemo, einen Dialekt-Asterix und, und, und… – Nachdem die Anatomie erschienen war, meinte unser Professor: beachtlich, das hätte zwei Doktorarbeiten ergeben. Ging aber nicht mehr, da schon veröffentlicht. Also ging es ohne Studienabschluss „in den Beruf“.
Obwohl es eigentlich nicht nötig gewesen wäre, habe ich dann aber 2005 doch meinen Uni-Abschluss gemacht, und zwar als Magister Artium.
COMICOSKOP: Was sind aktuelle Comic-Projekte in der Gegenwart und für die Zukunft, an denen Du gerade arbeitest?
WOLFGANG J. FUCHS: Im Wesentlichen an Eisenherz, Garfield und DDSH. Ich habe
aber auch eine Anfrage aus USA für ein oder mehrere Sachbücher Beiträge zu schreiben. Außerdem gebe ich Teile meiner Sammlungen an Bibliotheken. Ich überlege auch, ob sich ein Update oder ein
Faksimile der Anatomie oder des Comic-Handbuchs realisieren ließe. Ich denke auch über eine Chronik meiner Familie nach, über eine Kompilation meiner Interviews oder Funk-Beiträge und diverser
anderer Artikel. Mal sehen…
COMICOSKOP: 2007 hast Du in München bei einer Laudatio auf den Münchner Comic-Tagen gesagt: "Wenn in Deutschland ein Comicschaffender für sein Lebenswerk geehrt werden soll, dann gibt es keinen würdigeren Preisträger als Rolf Kauka." Worin besteht für Dich konkret das Verdienst Kaukas, dessen reaktionäre und ultrakonservative, um nicht zu sagen: deutschnationale Gesinnung – siehe „Siggi und Babbaras“ von 1965 – ja nicht vernachlässigen ist…?
WOLFGANG J. FUCHS: Ich habe bei meiner Laudatio die negativen Seiten von Kauka natürlich nicht unter den Teppich gekehrt, sondern durchaus anklingen lassen, dass es da auch dunkle Punkte gab. Zu ehren war jedoch, dass er mit Fix und Foxi einen Comic ins Leben gerufen hatte, der ganze Generationen – neben der Micky Maus - mit Comics vertraut gemacht hat. Und dass er viele Zeichner und Autoren in Europa in Lohn und Brot setzte. Im Übrigen hatte ich mit der Preisvergabe an sich nichts zu tun, sondern habe die schwierige Pflicht, eine Laudatio zu halten, übernommen.
COMICOSKOP: Wenn Du ein Resümee ziehen solltest, der letzten fast 45 Jahre Deines Wirkens: Wie hat sich die Lage des deutschsprachigen Comic-Markts und der Comicforschung im Vergleich zur Situation vor 44 Jahren, 1971, als die „Anatomie eines Massenmediums“ erschien?
WOLFGANG J. FUCHS: Du willst wissen, wie sich die Lage verändert hat? Das sieht man an jedem Kiosk. Kaum noch reguläre Comics, sondern fast nur noch größerformatige „Comics“ mit Spielzeugbeigaben, also „Kinder“-Comics, daneben die Superhelden, die hauptsächlich an Bahnhöfen zu finden sind, und die Buchausgaben, die in Buchhandlungen aufschlagen. „Die“ Comics gibt es inzwischen eigentlich nicht mehr so relativ homogen wie früher, sondern eine Vielzahl an spezifische Leseschichten gewandte Formate, seien es Klassiker- oder Humorausgaben, seien es Superhelden-Sammelbände und oder Reprints. In USA fällt mir auf, dass es neben den total umgemodelten und auf teurem Papier gedruckten Serienhelden (New 52 usw.) immer mehr Buchausgaben der „Klassiker“ gibt, dass also die einst billigen „Heftchen“ inzwischen vom reinen Sammlerobjekt zum Vorzeigeobjekt in Buchhandlungen taugen.
COMICOSKOP: Von Hause aus bist Du ja Zeitungs-wissenschaftler und Amerikanist. So lag der Akzent in Euren - Reitbergers und Deinen Büchern – naturgemäß eher auf US-amerikanischen Klassikern. Interessieren Dich auch europäische Comics, wenn ja welche? Wie denkst Du über japanische Mangas? Wie denkst Du über Graphic Novels?
WOLFGANG J. FUCHS: Nun ja, wir hatten auch ein Kapitel über europäische Comics. Und ich war jahrzehntelang Abonnent der frankobelgischen "TINTIN"-Zeitschrift und hatte mir viele Erstauflagen von Serien wie Comanche, Bruno Brazil, Blueberry usw. zugelegt. Aus Italienaufenthalten bringe ich mir immer auch TEX-Ausgaben mit, aktuelle Hefte oder Sammelbände. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten die Mangas schon ein paar Jahre eher nach Deutschland gefunden. Aber als ich in Frankfurt Mangas entdeckte und sie deutschen Verlegern empfehlen wollte, stieß ich auf taube Ohren. Graphic Novels sind eine tolle Sache. Aber nicht jede Graphic Novel ist auch wirklich gut. Das ist wie bei den „normalen“ Büchern. Sie richten sich an bestimmte Publikumssegmente und werden von diesen auch goutiert. Aber wenn eine Geschichte nur als Graphic Novel erzählt wird, weil das „jetzt gerade in ist“, aber entweder der Text oder die Zeichnungen unzulänglich sind, dann lege ich das halt weg wie ein Buch, das mich nicht interessiert. Interessant (aber auch zum Teil schwere Kost) finde ich etwa Joe Saccos Reportage-Comics. Um nur einen Titel zu nennen.
COMICOSKOP: Lesen Deine Kinder Comics?
WOLFGANG J. FUCHS: Jein. Unser Sohn und unsere Tochter haben früher viele Comics gelesen. Der Sohn schreibt inzwischen (eher literarisch, neben seiner Unitätigkeit), die Tochter zeichnet lieber (neben ihrem Studium). Wie es scheint, haben sich die Begabungen aufgeteilt.
COMICOSKOP: Seit dem 1.August 2015 gibt es in Deutschland das Erika-Fuchs-Haus – das erste Museum für Comic und Sprachkunst seiner Art, im Fichtelgebirge, in Schwarzenbach an der Saale. Geht damit ein Traum des Grauen Panthers in Erfüllung, wie denkst du darüber, bist Du schon da gewesen?
WOLFGANG J. FUCHS: Tolle Sache. Ich hatte beim Comicfest in München im Juni
ja Gelegenheit, die Leiterin, Dr. Alexandra Hentschel, vorzustellen. Ich habe die Berichte über die Eröffnung im August verfolgt, kann aber leider nicht zur offiziellen Einweihung im Oktober
kommen.
COMICOSKOP: Zum Geburtstag darf man sich etwas wünschen: Wenn Du drei Wünsche in Sachen Comic offen hättest, welche wären das?
WOLFGANG J. FUCHS: Erstens, zweitens und drittens. Hmm. Selbst wenn ich nicht wunschlos glücklich wäre, kann ich dazu nur sagen: Wünschen ist so eine Sache und das Ergebnis hängt allzu oft von der genauen Wortwahl ab (und selbst die ist keine Gewähr für ein „richtiges“ Ergebnis). Außerdem soll man seine Wünsche nicht an die große Glocke hängen. Ich lasse mir aber gerne von anderen alles Gute wünschen…
Witzigerweise bin ich an meinem Geburtstag am 16. September 2015 um 21.00 Uhr im Radio und Internet beim kleinen Hamburger Sender FSK 93,0 (FSK = Freier Sender Kombinat) zu hören, wo rund eine Dreiviertelstunde Interview zum Thema Donald Duck gesendet wird.
COMICOSKOP: Na, lieber Wolfgang, dann kann ja nichts mehr schiefgehen, vielen Dank für das Gespräch. Wenn Du Dir partout nichts wünschen willst, wünschen wir vom E-Fachmagazin COMICOSKOP Dir was: Alles erdenklich Gute zum runden Geburtstag, viel Glück, vor allem Gesundheit und auf noch viele weitere, aktive Comic-Jahre!
Martin Frenzel, Jg. 1964, Comicforscher & COMICOSKOP-Gründer, -Herausgeber und -Chefredakteur begegnete dem Vorbild Wolfgang J. Fuchs zunächst durch jugendliche Lektüre der "Anatomie" und des "Comics Handbuchs" Ende der 1970er Jahre - und vorher durchs begeisterte Lesen der von Fuchs edierten Zeitschrift "Peanuts" und der Pollischansky-Ausgabe der Serie "Prinz Eisenherz". Auch schon in den späten 1970ern las er Maurice Horns Füllhorn der "World Encyclopedia of Comics", an der Fuchs maßgeblich mitwirkte. 1984 muss es gewesen sein, dass man sich auf dem ersten Erlanger Comic-Salon erstmals persönlich begegnete; ein Jahr später, 1985, berichtete Martin Frenzel fürs Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" über die von Fuchs organisierte Premiere des Münchner Comic-Fests...1992 hielt Wolfgang J. Fuchs bei den von Martin Frenzel organisierten Mainzer Comic-Tagen einen Bildvortrag über Hal Fosters "Prinz Eisenherz"... Seither gab es immer wieder Begegnungen im Lauf der Jahre, zuletzt in Angoulême (Südwestfrankreich) auf dem dortigen Festival International de la Bande Dessinée im Januar 2015, wo Fuchs über die Geschichte der deutschen Comics nach 1945 referierte, und im Juni 2015 auf den Münchner Comic-Tagen, deren Mitorganisator er war.