Wussten Sie, dass sich der Nazi-Diktator Adolf Hitler 1941 nach Afrika begab und sich dort auf dem Rücken eines Elefanten mit dem Superhelden Daredevil prügelte?! Oder dass er beinahe mithilfe des formwandelnden Dämons „The Claw“ die englische Luftwaffe ausradiert hätte?! Dass der NS-„Führer“ Nachhilfe in Sachen Grausamkeit von Attila dem Hunnen persönlich bekommen hat?!
O doch, ist alles genau so passiert! In US-Comicheften der Jahre 1941-44 können Sie es nachlesen…
Als Deutscher ist man mehr als erstaunt, wenn man in US-Comic-Heften aus den Kriegsjahren zu stöbern beginnt. Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung vom Nazi-Joch habe ich es mir den „Spaß“ gemacht, das Auftreten Hitlers als Comicfigur zu studieren. Unzählige Male tritt der Diktator als Rand- oder Hintergrundfigur auf, doch etliche Male auch ist er prominent agierender Protagonist. Aus solchen Geschichten möchte ich fürs COMICOSKOP exklusiv einige Stichproben präsentieren.
Im Sommer des Jahres 1940 hat die Wehrmacht fast ganz Europa im sogenannten „Blitzkrieg“ unter faschistische Kontrolle gebracht. Der anschließende Griff auf englisches Territorium misslingt, und im Herbst sind die Vereinigten Staaten beunruhigt genug, dass sie den allgemeinen Wehrdienst einführen. Zwar treten die USA erst über ein Jahr später (im Dezember 1941) in den Krieg ein, doch ihre moralische Mobilmachung beginnt im Winter vorher – auch in den Comicheften!
Die Redaktion bei TARGET COMICS beispielsweise lässt Uncle Sam auftreten und weist durch ihn den hauseigenen Helden Aufgaben bei der Feindabwehr zu. Meist geht es dabei um die Jagd auf Nazi-Saboteure und verdeckt arbeitende Feindagenten. Ins Visier geraten aber auch die Machenschaften der real existierenden Nazi-Unterstützerorganisation „German American Bund“.
Im Winter 1940/41 zögert man auf amerikanischer Seite noch, im Klartext Stellung gegen das „Dritte Reich“ zu beziehen. Das böse Land in Europa bekommt Decknamen wie „Vabaria“ (eine Verballhornung Bavarias), und sein Herrscher ist ein (nicht in Frontalansicht gezeigter) „Diktator“, dessen Name nicht genannt werden darf…
Dieses Tabu brechen im März 1941 lustvoll Jack Kirby und Joe Simon, die auf dem Cover der CAPTAIN AMERICA COMICS Nr. 1 Hitler persönlich auf die Glocke hauen. Mit diesem kraftvollen Motiv landet der Timely-Verlag (später: Marvel) einen Überraschungserfolg. Im Innenteil jedoch kommt Hitler nicht vor, das ist Ausgabe Nummer Zwei vorbehalten. Im April ist es dann an der Zeit, dass Captain America und sein jugendlicher „sidekick“ Bucky nach Deutschland reisen, wo sie Hitler und Göring auf die Bretter schicken.
Kinder in den Kampf gegen Nazi-Soldaten zu schicken, erscheint höchst befremdlich, ist aber kurz darauf ein ganz normaler Anblick in den Heften von Timely. Schon im Sommer 1941 folgt im Fahrwasser des „Cap“-Erfolges der Titel YOUNG ALLIES, der eine Kinderbande an die Front beordert. „Fünf Freunde vermöbeln den Führer“ könnte eine Geschichte vom Januar 1943 lauten, in der die heldenhaften Halbstarken (es sind übrigens sechs, ich hab der Alliteration halber geschummelt) eine „Schule für Spionage und Sabotage“ in Berlin unterwandern. Als der hanswurstig dargestellte Hitler dort zur Inspektion erscheint, kriegt er tüchtig Haue!
Hervorzuheben aus dem Sommer 1941 (es sei erinnert: ein halbes Jahr vor Kriegseintritt) ist jedoch ein Heft des Verlegers Lev Gleason, das als pures Propagandablatt gewertet werden kann: DAREDEVIL BATTLES HITLER erscheint im Juli und zeigt das retuschierte Foto (!) eines verängstigt starrenden Führers, der von Superhelden beharkt wird. Der findige Gleason ist um Sensationsheischerei nicht verlegen (wie er im Folgejahr mit Herausgabe des reißerischen CRIME DOES NOT PAY) beweisen wird.
Im kompletten Heft geht es den Nazigrößen an den Kragen. In der Titelgeschichte „Daredevil Battles Hitler“ verhindern Daredevil und Kollege Silver Streak eine Invasion Englands, in „Smash Goebbels‘ Spy Net“ entwenden Daredevil und Kollege Dickie Dean eine Dechiffriermaschine (wobei sie Propagandaminister Goebbels handgreiflich überwältigen), in „Wreck Goering’s Sky-Fighters“ liefern sich Daredevil und Kollege Cloud Curtis ein Luftduell mit Reichsmarschall Göring (der schändlich in einer Jauchegrube notlanden muss). Eingangs schon erwähnt wurde „Hitler and his Jungle Hordes“, worin Daredevil und Kollege Lance Hale den „Führer“ in Afrika stellen, mit Elefanten jagen und ihm sogar sein Bärtchen wegschießen (s. Abb.).
Am Beachtlichsten in diesem Heft ist jedoch eine Comic-Biographie Hitlers namens „Man of Hate“. Von seinen Versuchen als gescheiterter Künstler über seine Teilnahme am (und seine Verwundung im) Ersten Weltkrieg, von seinem Hass auf „die Engländer“ über seinen Aufstieg zum Volkstribun und die Beseitigung interner Gegner wird alles angeführt. Von der Machtübernahme nach dem Tod von Hindenburg über den brutalen „Anschluss“ Österreichs bis hin zum Kriegsrausch seiner Eroberungen – triumphal marschiert er Seite an Seite mit dem Kriegsgott Mars.
Der Lebenslauf endet bei der verlorenen „Luftschlacht um England“. Die Insel jenseits des Kanals hat dem Furor standgehalten – der Anfang vom Ende des „Führers“? Wie wird es mit Hitler weitergehen? Es KANN kein gutes Ende nehmen. Alle Diktatoren müssen scheitern. Eine klare demokratische Aussage, das ist der „spirit“ dieser Comics.
Als die USA in den Krieg eintreten, appellieren die Comicheftchen an ihre Leserschaft, die
Kriegsanstrengungen nach Kräften zu unterstützen („Buy war bonds and stamps“). Die Verlage räumen sogar ganze Seiten frei, um einen „Bittbrief“ von Finanzminister Morgenthau abzudrucken. Manche
Superhelden offerieren ihren jungen Lesern die Mitgliedschaft in patriotischen Fanclubs: „Captain America wants YOU – to be a Sentinel of Liberty“. Für zehn Cent flattert ein Mitgliedsausweis
plus Button ins Haus, der den Träger als Kämpfer für die amerikanischen Werte ausweist (und zum „Kreuzzug“ gegen Spionage und Verrat an der Heimatfront ermutigt).
Doch zurück zum Tyrannen Hitler, dem (im Comic natürlich!) die Birne öfter weichgeklopft wurde als seinerzeit Muhammed Ali. Manche Geschichten deuten an, Hitler könne mit dem Teufel höchstselbst im Bunde sein, vom Teufel besessen sein oder gar der Satan in Person sein. In dem obskuren GREAT COMICS Nr. 3 vom Januar 1942 erleben wir eine weitere Variante: Die mythisch dargestellt Schicksals-Figur „Futuro“ fängt Hitler (gewandet in eine groteske Gala-Uniform) in Berchtesgaden und transportiert ihn in die Hölle, wo er für seine Verbrechen büßen soll. Futuro erkennt jedoch bald, dass die Hölle an einen Satansbraten wie Hitler verschenkt ist, denn dieser beginnt sich mit dem Teufel zu verbünden. Also bringt er ihn zurück auf die Erde – mit dem Versprechen, ihn einer (nicht näher benannten) irdischen Gerichtsbarkeit zu überstellen.
Die Darstellung des Despoten Hitler pendelt vom ruchlosen Ultrabösewicht bis hin zum feigen Angsthasen. Als schönes Exempel für Letzteres wähle ich das Feature „Flagman“ aus den CAPTAIN AERO COMICS Nr. 9 vom November 1942. Flagman (mitsamt „sidekick“ Rusty, beides schamlose Kopien von Captain America und Bucky) überlebt ein Attentat durch Nazischergen auf amerikanischem Boden und reist nach Italien. Die Nachricht seines Kommens lässt Hitler erzittern, in Schweiß ausbrechen und reflexartig nach seinen Armeen schreien. Dass man den Eindringling in einer Kiste gefangen habe, lässt den „Führer“ im Bild darauf wieder aufatmen.
In einem Schaukampf in der römischen Arena entkommt Flagman und entlockt Hitler die Geständnisse: „Dot Flagman gifs me der jitters“ (Dieser Flagman macht mich fertig) und „Himmel! I should have stayed in Berlin!“.
Alberner kann es kaum noch werden. Gäbe es da nicht den Fawcett-Verlag, der mit seinen Heften um die MARVEL-Family (nicht mit Stan Lees Verlag zu verwechseln!) ein „big player“ auf dem Comicmarkt der 40er Jahre ist. In den MASTER COMICS Nr. 47 begegnen wir einem im „funny style“ gezeichneten Führer, der deutschen Kindern ein US-Comicheft entreißt. Die darin geschilderten Abenteuer um den jugendlichen Superhelden CAPTAIN MARVEL JR. inspirieren Hitler dazu, ebenfalls ein Superheld werden zu wollen!
Also beauftragt er die „führenden Wissenschaftler des Landes“, für ihn das Zauberwort zu entdecken, das ihn zum Supermensch transformiert (wie es Captain Marvel mit „Shazam“ besitzt). Tatsächlich gelingt es, und mit dem Ausruf „Ersatz!“ wandelt sich der „Führer“ in eine unbeholfene Superhelden-Parodie. Mit dem Fliegen hapert es, und die physischen Kräfte lassen zu wünschen übrig. Die toll begonnene Geschichte verpufft in einem kurzen Schlagabtausch mit einem amerikanischen Cop, der den Pseudo-Super-Hitler aus dem Verkehr zieht.
Hitler, ein Möchtegern-Superheld. Schöne Geschichte, aber erstaunlich leichte Lektüre für ihr Erscheinen im Februar 1944. In seiner drollig-karikaturesken Zeichenweise erweckt dieser Comic auch einige Sympathie für diesen durchgeknallten (aber offenbar harmlosen!) „Superschurken“.
Zum Schluss die Frage, die immer gestellt wird, wenn man sich mit Logik dem Thema „Superhelden gegen Hitler“ beschäftigt: Weshalb haben die Legionen von Superhelden Hitler nicht einfach beseitigt?
Erstens: Begegnen Sie, liebe Leser, Comics niemals mit Logik!
Zweitens: Es gibt eine simple Erklärung, die ich an einem Beispiel aus SPY SMASHER Nr. 10 (vom Januar 1943) erläutern möchte.
Wie Sie, liebe COMICOSKOP-Leserinnen und -Leser sehen, mangelt es nicht an Versuchen, sich des „Führers“ zu entledigen. Hier legt der Scharfschütze Spy Smasher auf Hitler an, er drückt ab – und trifft!
Obwohl er daraufhin gefangen genommen wird, kann Spy Smasher sein Glück kaum fassen. In bester Laune lässt er sich ins Hauptquartier führen. Er hat der Welt einen unschätzbaren Dienst erwiesen.
Im nächsten Moment allerdings erstarrt der Amerikaner in ungläubigem Schrecken: Hitler steht
quicklebendig vor ihm - und erklärt, dass nur ein Führer-Double erschossen wurde!
Der alte Doppelgänger-Trick! Kommt niemals aus der Mode.
Und so, liebe Kinder, hat Adolf Hitler die Superheldencomics überlebt. Und wenn er nicht gestorben ist, dann ist er noch heute ein unverzichtbarer Gast in Comics, Romanen und Hollywoodfilmen…
(tic)
Tillmann Courth ist Mitglied der COMICOSKOP-Autorenredaktion, lebt in Köln, passionierter Comichistoriker, betreibt die Webseite FIFTIES HORROR (fifties-horror.de) und hält auf Wunsch einen ausführlichen Lichtbildvortrag über Hitler als US-Comicfigur (z.B. am 30. Mai 2015 im CölnComic-Haus).