75 Jahre Wonder Woman – das Echo blieb verhalten. Kein Vergleich zu den Feiern um 75 Jahre Superman, Batman,
Donald Duck oder Donald Trump. Wie unfair! Wie typisch! Frauen stehen eben immer noch in der zweiten Reihe.
Genau deshalb war damals der verkrachte Forscher, Psychologe und feministische Theoretiker William Moulton Marston angetreten: endlich eine starke, selbstbestimmte Frau in der Öffentlichkeit zu etablieren! Autor Marston und sein Zeichner Harry G. Peter nämlich waren schon Feministen, als der Feminismus noch „Suffragettentum“ hieß. Marstons Gattin, Elizabeth "Sadie" Holloway Marston, frühe US-Feministin und Psychologin, gilt als Dritte im Bunde als Mitschöpferin der US-Ikone "Wonder Woman".
Also erfanden sie eine schöne, stolze Amazone mit beschränkten Superkräften, die (von einer mythischen Insel stammend) in die Vereinigten Staaten reist, um den Menschen dort zu helfen und zu beweisen, dass eine Frau alles kann, was auch ein Mann leistet.
WONDER WOMAN war geboren und gesellte sich im Verlag DC populär neben Superman und Batman. Zum Jahresende 1941 trat sie in ALL-STAR COMICS Nr. 8 auf, war Wochen später das Titelfeature in SENSATION COMICS (ab Nr. 1) und bekam im
Sommer 1942 ihre eigene Serie WONDER WOMAN. Die Verkaufszahlen waren prächtig, und Marston (der schreiberisch als Charles Moulton signierte) fett im Geschäft.
Zum Jahresende 2015 (passend zum 75-jährigen Jubiläum) legten Chartwell Books einen 300-Seiten-Band auf, der die
Frühzeiten des Comics dokumentiert: „Wonder Woman – The War Years 1941-1945“.
Meine Klage vom Vorjahr (angesichts einer William Moulton Marston-Biografie), es gebe keine Nachdrucke der ersten
Geschichten von Wonder Woman auf dem Markt, ist damit aufs Schönste hinfällig!
Herausgeber Roy Thomas hat für uns 20 komplette Geschichten aus den Kriegsjahren herausgepickt. Diese habe ich studiert und will mit Ihnen nun ein wenig hineinschauen…
Die Auftaktgeschichte der SENSATION COMICS Nr. 1 verrät uns, wie sich die dürftig bekleidete Kriegerin in der Stadt
der Menschen zurechtfinden muss (ältliche Damen tuscheln hinter ihrem Rücken: „Die hat ja nichts an, dieses Flittchen“). Wonder Woman vermöbelt Gangster auf der Straße und verdient Geld im Varieté, bis sie merkt, dass sie für eine
höhere Sache kämpfen möchte. Zur Tarnung nimmt sie die Kleidung und Identität der Krankenschwester Diana Prince an, auch um dem verletzten Steve Trevor nahe sein zu können. Von Anfang an hat sie ein Herz für den schnieken US-Army-Geheimdienstoffizier. Symptomatisch für die Serie ist jedoch die Umkehrung der Beschützerrolle: Trevor wird gerne mal von Feindagenten gekidnappt, und Wonder Woman paukt ihn dann raus, in Verkehrung der sonst üblichen „damsel in distress“-Schablone.
Zur Seite steht Wonder Woman schon bald die rauflustige Bagage eines Mädchenpensionats, genannt die „Holiday
Girls“. Unter Führung der untersetzten, schokoladesüchtigen Etta Candy (sic!) eilt diese Truppe auch im Folgenden oft zu Hilfe. Die jungen Damen benutzen dabei keine Waffen, sondern ringen und schubsen ihre männlichen Widersacher zu Boden. Die Männer nehmen ihre Gegnerinnen nämlich nicht ernst,
das rächt sich dann…
Marstons Wonder Woman bietet vom Start weg weibliche Identifikationsfiguren diverser Ausprägung: Eine Superweib, eine Dicke, eine Clique normaler sportlicher Frauen, selbst
Schurkinnen sind im Angebot. Zum Beispiel die Spionin Baroness von Gunther oder die geniale Wissenschaftlerin (!) Princess Maru, die auch später wieder auftaucht.
Die platonische Beziehung zu Trevor vertieft sich, als Diana seine Sekretärin im Kriegsministerium wird.
Trevor verzehrt sich nach Wonder Woman, obwohl sie ihm in Verkleidung gegenüber sitzt. Der tragikomische Aspekt der Doppelidentität wird somit bedient, ohne dass jemals sexuelle Funken sprühen. Diese Konventionen sind ihrer Zeit geschuldet, es waren schließlich Hefte für Kinder und Jugendliche. (Härtere Ware gab es ja bekanntlich in Form der „crime comics“ ab 1942 am Kiosk.)
Ein Wort zu den Superkräften von Wonder Woman. Sie ist physisch bärenstark „wie Herkules“, und mit ihren magischen Armbändern kann sie Kugeln abwehren. Das ist natürlich purer Nonsens, aber Superheldencomics SIND purer
Nonsens, liebe Kinder.
(Übrigens verliert sie ihre Stärke, sobald man Ketten an diese Armbänder schmiedet. Es wird überhaupt eine Menge angekettet und gefesselt im Wonder Woman-Kosmos. Das mag ein Hinweis auf Fetischpraktiken sein, oder aber bloß Metapher der Ohnmacht. Hier lässt sich „hineininterpretieren“, wie man so sagt, wobei jede Interpretation auf den Interpreten zurückfällt…)
Des Weiteren befleißigt sich Wonder Woman manchmal eines „magischen Lassos“, das den damit Eingefangenen zwingt,
die Wahrheit zu sagen. Ein Wahrheitsserum in Sisalform. Das Opfer äußert dabei immer die drollige Phrase „Oh, I am compelled to tell the truth“ („Huch, ich fühle mich zur Wahrheit genötigt“).
Dieses „Lasso der Wahrheit“ ist eine verklausulierte Referenz
an Marstons frühe Forschertätigkeit. Er war ganz vorn bei der
Entwicklung von Lügendetektoren mit dabei und überzeugt, jedem Menschen durch Abarbeitung eines Fragenkatalogs (und unter Beobachtung physiologischer Parameter des Probanden) die Wahrheit entlocken zu können.
Die Plots der Geschichten laufen recht schnell auf Formeln hinaus: Sabotageakte von Nazis oder Japanern ziehen Verfolgungen nach sich, die in Gefangenschaften münden, welche in Befreiungsaktionen enden. Naja, so waren die alten Superheldenstories eben: viel Gewese, viel Alarm, aber kein Tiefgang.
Bei Wonder Woman aber möchte der hier schreibende COMICOSKOP-Reporter relativieren, dass es doch einen eigenen Charme versprüht. Die oft putzig-unbeholfenen Zeichnungen von H.G. Peter fangen das Geschehen in illustrativem
„funny look“ ein (im Gegensatz zum krawalligen Artwork eines Jack Kirby und seiner Epigonen beim zeitgleich erscheinenden CAPTAIN AMERICA). Die Skripte von Marston sind nichts weniger als durch und durch NAIV. Simple Moralgeschichten vom Schönen, Wahren und Edlen, entwaffnend in ihrer
Aufrichtigkeit.
Man glaubt dem Mann, dass er nichts weiter wollte als die Eigenständigkeit der Frau zu propagieren!
Ein mehrteiliger Handlungsfaden in den „War Years“ erstreckt sich im Jahre 1942 über eine Konfrontation mit dem Kriegsgott Mars persönlich (der sinnbildlich die Welt regiert). Ein veritabler „Bossgegner“ für Wonder Woman also, ein Mann und Zerstörer!
Marstons Botschaft von der Gleichheit (wenn nicht gar Superiorität) der Frau flammt hier mit besonders „egalitärem Feuer“ auf: Kein Mensch soll über einen anderen Menschen herrschen dürfen! Wachsamkeit ist gefragt, Engagement ist verlangt.
Erwähnenswert auch die Geschichte, in der zwei Waisenkinder (ein Mädchen und ein Junge) auf Wonder Womans Heimat
Paradise Island, die Amazoneninsel, gelangen. Die weiblichen Kinderamazonen machen dem Menschenjungen schnell klar, dass ER nicht automatisch der Chef ist, bloß weil er männlich ist. Am Ende erkennen sich beide Parteien als gleichwertig an – und besiegen gemeinsam einen Stoßtrupp von Nazi-Angreifern.
Von den späteren Häutungen und Wandlungen Wonder Womans habe ich wenig Ahnung, doch sie setzten bereits zu Schöpfer Marstons Lebzeiten ein. Ruppige Redakteure interpretierten mit Fremdautoren und –Zeichnern die stolze Kämpferin zur duldsamen Assistentin um.
Eine Rolle, die sie auch ursprünglich als „Alter Ego“ Diana Prince innehatte, aber nur aus mühsam ertragener Tarnung, um dem Kriegsgeschehen aktiv nahe zu sein – wie der Band bestens belegt.
Unter Comichistorikern gibt es bis heute eine Fraktion, die Wonder Woman als „sleaze“ auslegt, als dreist
lancierte Bondage-Fantasien und BDSM-Anleitungen, clever versteckt in harmlosen Comics.
Muss man das als weiteren Versuch werten, Narrative um starke Frauen zu diskreditieren?
Letztlich hilft nur Quellenstudium. Wer mitreden will, lese
die „War Years“-Sammlung originärer Geschichten von Marston und Peter.
Erhältlich im Comicfachhandel oder über Amazon Deutschland für ca. 20 Euro.
TIC
COMICOSKOP-Redakteur Tillmann Courth, Jahrgang 1963, hat an Superhelden jeder Couleur eigentlich null Interesse, doch für die kuriose Schöpfung WONDER WOMAN hat er eine Ausnahme gemacht. Wer weiterlesenwill, sei auf den COMICOSKOP-Artikel „Männer mögen keine starken Frauen“ (über Jill Lepores Marston-Biografie) unter diesem Link verwiesen: