Peter Puck, der Macher von „Rudi“, Jahrgang 1960, Schöpfer des Stuttgarter Kult- und Szene-Comics von 1985 bis 2005, Max-und-Moritz-Preisträger des Jahres 2002, steht im Schatten mancher Kollegen – wie unfair!
Denn der Blick in die im Sommer erschienene Gesamtausgabe seines „Rudi“-Oeuvres offenbart, dass er die Qualitäten der
anderen deutschen Comicsatiriker in seiner Person vereinigt: den prolligen Charme eines Brösel, die Loriotsche Situationskomik von Ralf König und die anarchische Absurdität des Walter Moers. Nicht nur inhaltlich, auch grafisch ist „Rudi“ ein Leckerbissen. Die von André Kurzawe neukolorierte Fassung erstrahlt in gekonnten Comicfarben und lässt Rudi und seinen Kumpel Freddy knallig bunt auf der Suche nach Geld, Wohnung oder Lebenspartner durchs Leben stolpern.
Was machen die beiden eigentlich?! Beruflich und so… Rudi ist ein deutscher Donald, stets mit dem Schicksal hadernd und auf keinen grünen Zweig kommend. Gerne versucht er sich in prekären Arbeitsverhältnissen, während er vom Luxus nur träumen kann. Freddy ist sein „sidekick“, der dialogisch für Fallhöhe sorgt und Rudi oftmals in die Grütze reitet. Wobei Rudi mitnichten ein Opfer ist, sondern schlimmstenfalls ein Schabernacker, der sich selber seine Grube gräbt.
Puck hat seinen Rudi als „Realisten“ tituliert – im Gegensatz zum Eindruck eines „Pessimisten“ (wie manche Leser glauben). Ich halte ihn für einen Fatalisten mit abgründigem, schwarzem Humor.
Was auch auf seinen Schöpfer zutreffen dürfte. Puck brilliert mit wundervollen Frechheiten und einer megacoolen Abgeklärtheit gegenüber den weltlichen Dingen.
Beispiel: Ein sexsatter Rudi will nicht mehr kopulieren, sondern wetteifert mit vier nackten Playgirls um Punkte bei „Stadt-Land-Fluss“ („Aaalso… Stadt: Bottrop…“).
Vielleicht ist Puck nie so populär wie Brösel-Moers-König (die Drei-Ö-Gang) gewesen, weil sein Rudi auch echte LESEARBEIT ist. Nahezu jedes Bild in Pucks Kosmos wartet mit großen, prall gefüllten Sprechblasen auf. Hier gilt kein Drüberhuschen über hübsche Kästchen, hier muss konzentriert Text
erschlossen werden! Das macht „Rudi“ ein wenig sperrig, aber reich belohnt wird der, der sich die Geduld zur Lektüre nimmt.
Formal muss man „Rudi“ wohl als „anthropomorphen
Semi-Funny“ bezeichnen. Seine Charaktere sind keine Menschen, sondern menschliche Körper mit tierhaft verfremdeten Köpfen. Es scheint sich dabei um
Hundewesen zu handeln. Der legendäre Donald-Zeichner Carl Barks hat solche als Nebenfiguren in Entenhausen auftauchen lassen. Donaldisten benennen diese Comicfigurenrasse „Kynoiden“ – und Puck gesteht freimütig, davon inspiriert zu sein.
Ebenfalls auffällig ist seine Liebe zu André Franquin, dem französischen „Spirou“- und „Marsupilami“-Zeichner. Wenn Puck Seiten als „Schattenriss“ gestaltet, wirkt er verblüffend wie Franquin (siehe dessen Spätwerk „Schwarze
Gedanken“).
Die Figuren in Rudis Welt werden mit dem, was sie
sagen, augenblicklich lebendig. Der Ton macht die Musik, und wir „hören“ sie reden – den Müsli-Hippie, den Pogo-Punk, den Aggro-Hooligan…
Puck zaubert uns einen Kosmos daher, der mit Individuen bevölkert ist. Jeder Hundekopf ist anders! Man beginnt in diesen Gesichtern zu „lesen“, so viel Persönlichkeit strahlen seine Karikaturen aus. Man kann sich kaum sattsehen an Pucks subtilen physiognomischen Darstellungen.
„Rudi – fett und komplett“ versammelt auf 370 Seiten
die sieben Rudi-Einzelalben der Jahre 1987-2005 plus einige Seiten „Zugaben“ (darunter die brandneue Geschichte „Abenteuer auf der Meta-Ebene“, in der Zeichnerkollegen „ihren“ Rudi präsentieren).
So eifrig und lückenlos sich Puck an allen Themen der vergangen Jahrzehnte abarbeitet (von Last-Minute-Urlaub
und Schnäppchenjagdfieber über „Servicewüste Deutschland“ bis hin zu Telefonterror und demografischem Wandel) wundert man sich, dass der Autor und Zeichner keine Lust mehr hat, mit Rudi weiterzumachen. Juckt es Puck nicht im Mindesten, mal
wieder den Stift zu zücken und seinen Kommentar abzulassen über „Bahnstreik“, „Smartphones“ oder „Griechenland in der Krise“? Man würde es ihm zutrauen.
Denn „Rudi – fett und komplett“ ist nicht nur ein
Augenschmaus und Lesevergnügen, sondern auch eine Chronologie deutscher Befindlichkeiten. Stichwort „deutsch“:
Dumpfer Nationalismus sickert als Feindbild durch alle Jahrgänge von Rudis Abenteuern. Der „hässliche Deutsche“ ist die meistbemühte Nebenfigur in Pucks Schöpfung – sei es als gewaltbereiter Neofaschist, eiskalter Staatsdiener oder
fremdenfeindlicher Spießbürger.
Es wäre falsch, Pucks Werk als „marginal“ abzutun. Es
ist eine hochkonzentrierte Satire, ein verdichteter Zeitspiegel, die „Mousse au Chocolat“ auf dem Büffet der Comicserien. Weder zum hastigen Verzehr noch zum üppigen Konsum gedacht. Man genieße sie häppchenweise!
Ein gelungener Bonus dieser Gesamtausgabe sind Peter
Pucks durch den Band verstreute „Audiokommentare“, in denen er zu allen Strips noch Hintergrundinfos gibt!
COMICOSKOP: Das Comicfestival München präsentierte einen kleinen, aber feinen Raum prallvoll mit göttlichen „Rudi“-Originalzeichnungen. Tolle Werbung für das Gesamtwerk. Wer hatte die Idee für die Rudi-Rückschau?
Peter Puck: Die Entdeckung, dass Rudi im
Mai 2015 30 Jahre alt wurde, ist das Verdienst meines langjährigen Lektors Horst Berner. Ich hätte das Jubiläum komplett verpennt. Die Münchner Ausstellung selbst wiederum ist allein das Verdienst des ehrenwerten Herrn Rainer Schneider, der sich das Ausstellungskonzept ausgedacht und die Deko gebastelt und sich dafür den Arsch überproportional aufgerissen
hat!! Ein Hardcore-Rudifan, der dafür seinen gerechten Lohn im Himmel erhalten wird!
COMICOSKOP: Damit einverstanden, wenn ich „Rudi“ als stilistischen Mix aus Carl Barks und André Franquin bezeichne? Sonst noch prägende Einflüsse?
Peter Puck: Nicht einverstanden! Es muss heißen: Kläglich gescheiterter Versuch, einen stilistischer Mix aus Barks und Franquins Stilen auch nur annähernd hinzukriegen! Dasselbe gilt für den dritten wichtigen Einflusszeichner: Uderzo. Und noch einige andere aus der franco-belgischen Schule.
Humor-und storytechnisch wollte ich dagegen sowas
undergroundcomicmäßiges wie Sheltons „Freak Brothers“ für die Punkecke machen, aber eben in einem 'klassischen' Zeichenstil als Kontrast.
COMICOSKOP: Im Kommentar zur Rudi-Episode „In der Service-Wüste“ offenbarst Du, dass Du als Kind TOM BERRY-Hefte gelesen hast. Noch weitere Jugendsünden?
Peter Puck: Ich hatte schon als Kind bei Comics ein ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein, vor allem was die Zeichnungenanbetrifft. Deshalb haben mich „Bessy“ & Co gelangweilt, das haben die meisten meiner Kumpels gelesen.
Der einzige Grund warum ich Tom Berry gelesen habe, obwohl mir klar war, dass das nicht sonderlich gut gemacht war: Die Hefte waren billiger als „Lucky Luke“! Aber ich habe eben auch die ganzen Qualitätscomics mitbekommen, nämlich über meine Cousins, die waren Comic-Addicts und hatten immer tonnenweise Hefte rumliegen, die ich 'ausleihen' konnte. Ich habe sie nie zurückgegeben. Die zwei waren gottseidank keine Sammler, sondern nur Einmalleser. Die haben alles gekauft,
von Donald und „Fix und Foxi“ über „Illustrierte Klassiker“ bis Marvel und DC. Ich war im Paradies!
COMICOSKOP: Hast Du eine bestimmte Stadt vor Augen, wenn Du Rudi zeichnest?
Peter Puck: Ja, Rudis Stadt ist weitgehend von den Megametropolen Tübingen und Stuttgart inspiriert! Prinzipiell gab's da eigentlich alles, was es in einer echten Großstadt gibt, nur kleiner und hochkonzentriert. Das reicht für Inspiration. Im Verhältnis zur Größe und Einwohnerzahl hatte Tübingen in den 80ern eine Zeitlang wahrscheinlich mehr Punkkonzerte als London, haha!
COMICOSKOP: In Rudis ersten Abenteuern aus dem Jahr 1986 erstaunt mich die häufige Konfrontation mit gewalttätigen Neonazis. Wo hast Du zu der Zeit gelebt? Was hast Du da wahrgenommen?
Peter Puck: Genau das war damals eben Thema. Ständig gab es Konfrontationen: Nazi-Skins vs. Punks. War wahrscheinlich auch ein bisschen Szeneparanoia. Und als Schwarzer-Humor-Katalysatoren sind Nazis eben ideal! ;)
COMICOSKOP: Wie politisch siehst Du Deine Serie? Das Vorkommen von Neonazis reißt ja im Lauf der Jahre nicht ab…
Peter Puck: Es kommen zwar viele gesellschaftspolitische Themen vor, die Serie ist aber nicht primär als politische Satire gedacht.
COMICOSKOP: Rudi wird einmal als „Popper“ bezeichnet (vergessene Jugendbewegung der frühen 1980er Jahre). Er ist ja schon immer schick angezogen und legt viel Wert auf Stil (Krawatte und Sakko). Ist er in Deinem Kopf modisch
verortet?
Peter Puck: Rudi trägt weißes Hemd, schwarze schmale Krawatte (Achtung! Nicht aus Leder!) und eine schwarze Strickjacke und megaspitze 60er-Lederschuhe. Exakt das war mein Outfit als 'Waver' in den 80ern. Hat nix mit Poppern zu tun. Und als ich noch Haare hatte, habe ich auch Rudis Robert-Schmitt-Frisur getragen. In Schwarz.
COMICOSKOP: Im Band RUDI UND SEINE FREUNDE erklärt Rudi offen: „Ich hasse Menschen!“. Wie misanthropisch ist sein Schöpfer? Kotzt sich Peter Puck auf diesen Seiten aus?
Peter Puck: Nein, eigentlich bin ich kein Misanthrop. Aber ich muss gestehen, dass ich phasenweise das brennende Verlangen verspüre, einigen Zeitgenossen ein paar Liter Heizöl mit dem Flammenwerfer zu verpassen. Aber das sind nur Phantasien. Das mache ich natürlich nicht wirklich! Weil das Verbrennen bei lebendigem Leib viel zu schnell geht und nicht genügend Zeit für unendliche Schmerzen bleibt...
COMICOSKOP: Wie kamst Du auf den Dreh mit den sexy Frauenfiguren? So um 1992 herum finden sich erste Pin-Up-Darstellungen. Thematisiert hast Du es ja auf dem „frauenfeindlichen Titelbild“ des 1995er-Albums „Keiner ist wie Rudi“. Kommt ein erfolgreicher Comic um solches „eye candy“ nicht herum? Anschlussfrage: Schon mal in Versuchung gekommen, mehr als nur Pin-Up zu zeichnen?
Peter Puck: Wie jetzt? Was meinst du mit „mehr als Pin-Up“? Autos und Düsenflieger und so? Ja klar, sex sells...außerdem macht nackige Frauen zeichnen mehr Spaß als blöde Häuser oder Autos. Ist allerdings sehr viel schwieriger! Bei Proportionen und Anatomie muss man nämlich einen Mittelweg zwischen 'Comicfigur' und Naturalismus finden.
COMICOSKOP: Letzte, dennoch ernstgemeinte Frage: Du bist DJ für orientalischen Dancefloor. Wo und wann kann man dich auflegen hören?
Peter Puck: Aaargh, da hast Du eine wunden Punkt erwischt! Zur Zeit nirgends! (Zähneknirsch) Neben dem orientalischen Programm arbeite ich seit langem auch noch an einem Set mit exotischen und ungewöhnlichen Coverversionen. Leider komme ich mir in meinem Alter zunehmend blöd vor als DJ, wenn das ganze Publikum deine Blagen sein könnten und du das älteste Gesicht im Laden bist. (Dabei sind eigentlich die älteren Djs viel kompetenter als die jungen! Die hatten nämlich in ihrem Leben mehr Zeit Musik zu hören!! Aber erzähl das mal dem jungen Kroppzeug!) Ich würde viel lieber für Leute meiner Altersklasse auflegen, aber die kommen halt nicht mehr.
COMICOSKOP fordert: Lass Peter Puck auf der Party des Comic-Salons Erlangen 2016 ein Set auflegen! Das wäre doch der Knaller! Danke für das COMICOSKOP-Exklusiv-Interview – wir geben zurück an die angeschlossenen Funkhäuser.