COMICOSKOP: Lieber Martin, Dir Alles Gute zum runden Geburtstag! Wow, 60 – und wieder mal ein bisschen weiser, auch und gerade, was Comics angeht J ... Dann lass uns zurück blicken: Wie hat das bei dir mit Comics denn angefangen…? Was waren Deine ersten Comic-Erfahrungen in Deiner Kindheit…?
Martin Frenzel: Joachim Ringelnatz hat mal gesagt: Jeder spinnt auf seine Weise - der eine laut, der andere leise... Zu Deiner Frage: Naja, das muss ca. 1970 gewesen sein. Da schenkte mir meine dänische Tante die ersten Tintin-Alben, und ich war auf Anhieb begeistert. Ich las Tim und Struppi auf Dänisch – und war sofort in den Bann der Hergéschen Ligne Claire gezogen. Der andere Comic-Förderer in meiner Kindheit war der dänische Onkel, ein waschechter 68er, der in den 70ern bei Jürgen Habermas in Frankfurt studierte. Er brachte mir immer die neuesten Asterix-Alben des Stuttgarter Ehapa Verlags auf Deutsch mit… Natürlich war ich auch ein Kind der Generation ZACK: Las mit großer Begeisterung Gigi Spinas ZACK-Heft, fieberte insbesondere den neuesten Blueberry-Fortsetzungen entgegen, aber auch Mick Tangy, Michel Vaillant, Bruno Brazil, Comanche… Ich fing an, selber Comics zu zeichnen….
COMICOSKOP: Diese Episode hat mich an mich selbst erinnert und meine 3-Panel-Cartoons zu Gymnasiums-Zeiten... Denn auch Du wolltest als Junge ursprünglich nicht Journalist und Redakteur, sondern Zeichner, Grafiker werden...?!
Martin Frenzel: Ja genau. Ich habe sogar eigene Hefte heraus gegeben, schrieb und zeichnete die Comics, versah sie mit redaktionellem Teil, fotokopiert oder auch mit Matrizen… dann heftete ich das Ganze zusammen und verkaufte die Hefte an meine Familie, zu 10 Pfennig, glaube ich….
COMICOSKOP: 1976 war für Dich ein wahres Schlüsseljahr bei deiner Comic-Sozialisation, ein Jahr der Entdeckungen in Sachen Bildergeschichte. Übrigens zwei Jahre nach meiner Comic-Nutzer-Studie an meinem früheren Gymnasium, deren Bericht leider verschollen ist… Inwiefern also bei dir, da warst gerade mal 11 Jahre alt…?
Martin Frenzel: Also, 1976 war ein Bombenjahr in Sachen Comic-Damaskus-Erlebnisse – denn Hergés Tim
und die Picaros erschien, der letzte Tintin-Band, ich bekam auch ein Comic-Sekundärbuch geschenkt, auf Dänisch „Tegneseriernes hvem-hvad-hvor“ ( Das Wer- was-wo der Comic-Kultur) – u.a. verfasst
von Dänemarks Comicforscher Nr.1, eine Art dänischem Wolfgang J. Fuchs, Anders Hjorth Jörgensen. Dann fuhren wir im Sommer 1976 nach Südengland – und da entdeckte ich die Marvel Comics von Jack
Kirby, vor allem Thor, die damals bei uns wenig bekannte, interessante englische Comic-Szene, George Herrimans Krazy Kat und nicht zuletzt Dennis Giffords Sekundärbücher über Comics…. Und George
Perrys/ Alan Aldridges Penguin Book of Comics …
COMICOSKOP: Mit gerade mal 15 hast Du 1980 angefangen, ein eigenes Comic-Fanzine zu produzieren: Das Comic-Journal, das dann im April 1981, vor 43 Jahren erschien… wie kam es dazu?
Martin Frenzel: Mein Vater brachte mir den Comics Reader des Frankfurter Versandbuchhandels und -verlags Zweitausendeins mit, der
eine Sammlung vomn Comixene-Heften enthielt. Auch die Wolfgang J. Fuchs und Reitberger Rororo-Sekundärbücher Comic-Anatomie eines Massenmediums und Comics brachte er mir mit… Beides waren
Schlüsselerlebnisse, aber besonders Wolfgang J. Fuchs war mein großes Vorbild: Ich habe dann 1980, mit 15, angefangen, an einem eigenen professioneller aufgezogenen Fanmagazin gearbeitet. Der
Name entlehnte sich nicht dem Comics Journal, das ich damals (noch) nicht kannte, sondern war eine Reverenz ans ZDF heute journal. Ich schaltete eine Kleinanzeige in der Comixene „Mitarbeiter und
Zeichner gesucht“. Daraufhin meldeten sich Zeichner wie Helmut Fiege, Steffen Murschetz (heute bekannt für U-Comix) und Andreas Marschall. Unter den redaktionellen Mitarbeitern war Bernd
Weckwert, der einen Artikel über Jim Aparo beisteuerte, heute bekannt als Comic-Journalist und für seine fulminante ZACK-Sekundär-Anthologie. Die Titelgeschichte war eine Bestandsaufnahme aus
meiner Feder übers Detektiv- und Agentengenre im Comic (Von Detektiven und Agenten) und ein Porträt über Archie Cash-Zeichner Malik. Möglich war das nur, weil meine dänische Oma, die meine
Comic-Leidenschaft sehr förderte, kurz vor ihrem Tod eine Summe Geldes für mich anlegte. Dieses Geld deckte dann die Druckkosten. Ich bin dann 1981 im Mai zum Kölner Comic-Tauschtag mit meinem
Vater gefahren, den damals Hartmut Becker organisierte, hatte dort einen kleinen Messestand. Damals hatte ich auch Tuchfühlung mit dem Kölner Buchhändler Benedikt Taschen, der damals schon
Comic-Alben im New Wave-Stil verlegte. Er verlangte einen gewaltigen Buchhändler-Rabatt, ich glaube 55% oder so etwas Aberwitziges. Kurz und gut: Ich machte gewaltig Miese… hatte mich völlig
verkalkuliert… Immerhin meldete sich ein Profi-Grafiker und Designer Klaus-Peter Fürstenau – und mit sollte das Comic-Journal richtig professionell geraten, wir fuhren auf die Frankfurter
Buchmesse, sprachen mit Leuten, hatte eine Redaktionssitzung in Mainz in Klaus-Peters Neustadt-Wohnung, an der u.a. auch ein Klaus Strzyz teilnahm. Aber dann bekam Klaus-Peter einen Job, verließ
die Stadt… und ich musste ja auch mein Abitur schaffen (das gelang, Gottseidank)…war Chefredakteur der Schülerzeitung meiner Schule, natürlich auch dort mit einem Artikel über die
Schmutz-und-Schund-Hexenjagd auf Comics in den 1950ern und 1960er...
COMICOSKOP: Von 1982 bis 1994, zwölf Jahre lang, hast Du fürs Wiener Comicfachmagazin Comic Forum gearbeitet: Kurz nach dem Ende des Comic-Journals hast Du dann einen Anruf von Wolfgang Alber erhalten, dem langjährigen Verleger und Herausgeber des Wiener Fachmagazins Comic Forum… was wollte der von Dir…?
Martin Frenzel: Der rief ca. zur Jahreswende 1981/82 an, in den Weihnachtsferien, er hatte das Comic-Journal gelesen, fand’s gut, fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, für seine Wiener Fachzeitschrift Comic Forum den Detektiv- und Agenten-Artikel in verbesserter Form zu veröffentlichen. Gesagt, getan: Von da an avancierte ich – nach dem Zweiteiler Von Detektiven und Agenten – zum festen, ständigen Mitarbeiter, war jahrelang der heimliche Chefredakteur des CF’s. Mein Traum, nach Wien zu ziehen, Studium und Comic Forum miteinander zu verbinden, zerschlug sich jedoch, leider. 1984 erschien aber mein Dossier über Jacques Tardi, damals der erste große Tardi-Artikel im deutschen Sprachbereich… auch Neal Adams konnte ich auf der Frankfurter Buchmesse interviewen…. 1994 kurz vor der Schließung des Magazins, erschien dann noch mein umfassendes Claude Auclair-Dossier, das? Alber Auclair in seiner Comicothek veröffentlichte... Für CF schrieb ich auch über internationale Comic-Festivals wie Angoulême, Grenoble, Sierrre….und natürlich Erlangen… und den kurzatmigen Hamburger Comic-Salon… Ich schrieb auch für Tobias Meineckes Comic Art, der diesen Titel später an Carlsen verkaufte, für deren Erwachsenencomic-Label, für die Fachmagazine Eselsohr und Hits für Kids und nicht zuletzt für Norbert Hethkes Sprechblase. Der rief eines Tages an und fragte mich, ob ich derjenige sei, der Wäscher-Comics für den „letzten Dreck“ halte… er wusste natürlich genau, dass ich das geschrieben hatte.. damit hatte er mich erwischt, denn ich hatte das tatsächlich so oder ähnlich im Vorwort des Comic-Journals 1981 im jugendlichen Sturm und Drang-Eifer über Wäscher-Comics geschrieben. Heute käme mir so etwas nicht mehr über die Lippen. Witzigerweise las ich später, als Melzer die Nick-Hefte neu auflegte, und Sigurd, diese Hefte mit Freude, auch wenn ich nach wie vor denke, dass Wäscher kein großer Zeichner war, eher ein Produzent von Massenzeichenware… aber ich würde heute altersmilde urteilen…seine Geschichten haben etwas, das gebe ich zu. Aber der alte Hase Hethke zeigte wahre Größe, beauftragte mich dennoch, 1988 einen Artikel über Burne Hogarths Tarzan – insbesondere seinen späten Tarzan - Tarzan of the Apes (1972) und Jungle Tales of Tarzan (1976) - - für seine SPRECHBLASE zu schreiben, was ich sehr gerne tat.
COMICOSKOP: 1984 hast Du etliche Artikel über Comics fürs Regionalblatt in Mainz geschrieben, einer alternativen Szene-Wochenzeitung – und 1984 erschien Dein erster Comic-Artikel im Feuilleton der Mainzer Allgemeinen Zeitung...
Martin Frenzel: Ja, das Regionalblatt war eine Periodikum aus dem linksalternativen Milieu… die brachten als Genossenschaftsbetrieb
meine Comic-Artikel, u.a. über Bourgeons Reisende im Wind aus der Carlsen-Comicreihe Comic Art. Ebenfalls 1984 fuhr ich das erste Mal zum allerersten Comic-Salon Erlangen, übernachtete damals auf
einem nicht mehr existierenden Erlanger Campingplatz in einem Zelt. Als Comic Forum-Redaktionsmitarbeiter nahm mich Alber mit zur Max- und-Moritz-Gala – und ich hatte die Ehre, auf Schloss
Etzelsberg den ganzen Abend neben dem Hauptpreisträger Chris Scheuer zu verbringen und mich glänzend zu unterhalten…. Überhaupt war Erlangen damals, vor 40 Jahren, viel familiärer, mit viel
fränkischem Charme…. Und es gelang mir, den konservativen Leiter des Feuilletons der Mainzer Allgemeinen Zeitung, Achim Riefenstahl, einen Mann der hochgestochenen, klassischen Hochkultur, davon
zu überzeugen, einen Festivalbericht aus meiner Feder zu veröffentlichen. Der Artikel erschien – und trug den kecken Titel: Das Ende der Comic-Askese.
COMICOSKOP: Hägar von Dik Browne war der allererste Zeitungscomic, der in Erlangen bei der Premiere den Max- und-Moritz-Preis 1984 gewann, vor 40 Jahren genau… Was verbindet ihn mit COMICOSKOP?
Martin Frenzel: Also, die erste Begegnung war in Erlangen, bei der ersten Max-und-Moritz-Gala von 1984, als Dik Brownes Sohn Chris (und späterer Nachfolger) seinen erkrankten Vater vertrat und den Preis, der damals noch von Bulls Pressedienst Frankfurt gestiftet war, entgegennahm… Und ich lobte Hägar in besagtem AZ-Artikel über den grünen Klee, mit der Folge, dass die sehr konservative Zeitungsspitze entschied, den Strip fortan ins Blatt zu hieven. Seitdem läuft Hägar ununterbrochen als Fortsetzungs-Zeitungscomic in der Mainzer AZ… Jahre später, da war COMICOSKOP schon gestartet, bot Bulls Pressedienst mir für mein Edition Comicoskop-Buchprojekt über die Geschichte des Erlanger Comic-Salons an, zwei exklusive Chris Browne Hägar-Strips zu zeichnen. Chris Browne hielt Wort – und steuerte eine wunderbare Panel-Zeichnung mit Widmung und einen herrlichen Hägar-Strip bei, in dem Hägar Max und Moritz begegnet… Beide Werke sind im Preview-Heft zum Buchprojekt ja 2014 erschienen….
COMICOSKOP: Du warst drei Jahre lang Mitglied der Erlanger Max-und-Moritz-Preisjury 1990-93 (1990, 1992, 1993), zweimal Erlangen, einmal beim Hamburger Comic-Salon…
Martin Frenzel: Ja, das stimmt. 1989 fragte mich Karl Manfred Fischer, ob ich
nicht Lust hätte, Mitglied der Max-und-Moritz-Jury zu werden. 1990 empfand ich als sehr schön und harmonisch…. Von mir kam in der Jury der Vorschlag, Calvin und Hobbes zum besten Zeitungscomic zu
küren, und Art Spiegelmans MAUS mit einem Spezialpreis zu ehren. Beide waren damals Ladenhüter – mit dem Preis änderte sich das schlagartig. Und Art Spiegelman kam nach Erlangen und hielt seine
berühmte E-Werk-Rede vor einem deutschen Katzen-Publikum, siehe seine berühmte Zeichnung dazu… in der er das Publikum lange beschimpfte, ehe er am Ende etwas Versöhnliches sagte: Er zeichne, sehr
zum Unwillen, seines Vaters, mit einem deutschen Rotring-Tuschestift…. Auch setzte ich mich stark dafür ein, Gerhard Seyfried den Hauptpreis fürs Lebenswerk zu geben, vor allem für sein Spätwerk
„Berlin“… das war nicht selbstverständlich, weil einige einflussreiche Mitstreiter in der Jury lieber einen andern bekannten Zeichner favorisierten. Die Entscheidung für Seyfried war aber
richtig: Kam angesichts der Zeitenwende 1989, Fall der Mauer, Zusammenbruch des Ostblocks, deutsche Einheit gerade richtig….Was ich allerdings unterschätzt hatte: Dass Jurys auch Haifischbecken
und Horte von Intrigen und manchmal auch Verrat sein können, diese schmerzhafte, aber auch ungemein lehrreiche Erfahrung machte ich dann 1992 und besonders 1993…Hermann Hesse hat ja mal von den
Infamitäten des Alltags gesprochen, dem ist nichts hinzuzufügen...
COMICOSKOP: Angoulême, Grenoble, Sierre, Barcelona, für mich erst noch zu erleben: Auf diesen internationalen Comic-Festivals warst Du seit 1986 als Comic-Reporter zu Gast, meist für Printmedien und Fachmagazine, einmal sogar fürs Radio (Deutschlandfunk)…. Wenn du zurück denkst – was war ein besonderes Highlight für dich aus diesen vielen Events und Begegnungen?
Martin Frenzel: In Angoulême definitiv war das die grandiose Ausstellung der Engländer in 1989… ich saß danach mit den Engländern wie Dave Gibbons im Café de la Paix, wir redeten die ganze Nacht. Die Angoulême-Macher hatten die Ausstellung als nasskalt-tropfenden Kanal angelegt, wie den echten zwischen Dover und Calais… ein echtes, bizarr eindrucksvolles Erlebnis…. Ich erinnere mich auch an eine grandiose Schuiten-, Bilal- und Little Nemo-Schau… und 1986, als ich das erste Mal, für die Berliner TAZ da war, an die Auftritte Jacques Tardis und Robert Crumbs… Der in Frankreich lebende deutsche Zeichner Andreas (Martens) präsentierte eine großartige Retrospektive in der Stadtkirche von Angoulême… 2015 war ich kurz nach dem Charlie Hebdo-Massaker Ende Januar wieder in Angoulême, um Solidarität zu zeigen und die grandiose Bill Watterson Calvin & Hobbes-Retrospektive zu sehen… ich fuhr auch zweimal in die Alpenmetropole Grenoble, zum Konkurrenzfestival, das einige Abtrünnige um Michel Greg, den großen Texter-Tausendsassa organisiert hatten, denen Angoulême zu links und zu avantgardistisch war… Und ich fuhr in die Schweizer Alpen, nach Sierre, um dort eine fantastische Tardi-Ausstellung zu sehen, die angelegt war, wie ein 1.Weltkriegs-Schüzengraben, durch den man hindurchgehen musste. Dort traf ich übrigens Karl Manfred Fischer und Lisa Puyplat…
COMICOSKOP: Auch für die Berliner TAZ hast Du von 1986 bis in die frühen 1990er über Comics geschrieben – worüber z.B.?
Martin Frenzel: Das hatte ich Riesenglück, auf den großen Comicfreund und 68er Arno Widmann zu treffen, der später zu Zeit, Vogue ging und heute bei der Frankfurter Rundschau schreibt… Er ließ mich machen… ich schrieb munter Festivalberichte aus Angoulême… über Schuiten/Peeters, Miguelanxo Prado, aber auch über Seyfried/Ziskas neue Comics….und in Grenoble interviewte ich Jean Giraud/Moebius fürr die TAZ…. Weniger schön war, dass Eckart Sackmann eine Nahrungsmittelvergiftung, erlitten auf einer Verlagsveranstaltung bei Jacques Glénat, die zu einem dramatischen Krankenhausaufenthalt führte, dazu benutzte, sich in Rhaah öffentlich über meine Malaise lustig zu machen, nicht die feine englische Art, sehr taktlos… und ohne jede Diskretion… wenn einem der Magen ausgepumpt wird, macht man keine Witze darüber, schon gar nicht öffentlich, das war unterirdisch, unter die Gürtellinie, ein Foulspiel erster Güte und üble Nachrede.
COMICOSKOP: In der Süddeutschen erschien im Feuilleton Dein Festivalbericht über die ersten Münchner Comic-Tage, 1985 im alten Gasteig, das war wohl der erste Artikel eines Comic-Botschafters, der es ins Feuilleton geschafft hat. Da gibt es ja eine schöne Anekdote, die sich in den Räumen der SZ Feuilletonredaktion damals noch in der sz. Sendlinger Str. ereignete, magst Du sie erzählen….
Martin Frenzel: Ja, das war ein Bericht über die allerersten Münchner Comic-Tage, die damals noch Wolfgang J. Fuchs organisierte,
lange vor der Ära Heiner Lünstedt. Ich hatte 1985, mit gerade mal 20, ans Feuilleton der SZ geschrieben und bot denen einen Festivalbericht an. Zu meiner Überraschung erhielt ich von dem
legendären, damaligen Feuilleton-Chef Albrecht Roeseler den Zuschlag. Ich lernte Rossi Schreiber kennen, die damals gerade den Verlag Schreiber & Leser gestartet hatte und mit Milo Manaras
Das große Abenteuer reüssierte… ich fuhr nach dem Festival mit einem CSU-wählenden Taxifahrer in die SZ-Redaktion, Abteilung Feuilleton… fing an, den Artikel in die Schreibmaschine zu hauen,
Computer gab’s damals noch keine. Auf einmal stand Roeseler neben mir und sagte, ich möge rasch kommen, in meinem grünen Reisekoffer sei offenbar eine „Bombe“… es ticke so verdächtig… ich sprang
auf, ging zum Koffer, umringt von der gesamten SZ-Kulturredaktion – und zum Vorschein kam neben meiner Wäsche ein sich selbst in Gang gesetzt habender Wecker… keine Bombe… ich konnte meinen
Artikel aber dann friedlich zu Ende schreiben, sorgte dafür, dass Milo Manaras Guiseppe Bergmann als Bildillu verwendet wurde – und der Artikel erschien tatsächlich in den geheiligten Spalten des
SZ? Feuilletons. Von da an nannte ich mich Comic-Journalist… und der Artikel löste ein Umdenken aus: Später erschienen auf einmal immer mehr Artikel über Comics in der bis dahin notorisch
comicfeindlichen SZ…
COMICOSKOP: Du warst auf dem Erlanger Comic-Salon auch Initiator und Kurator der Ausstellung 1992 Die Wikinger kommen! Comic-Eldorado Dänemark: Die Geschichte der dänischen Comic-Kultur von Storm P. bis Walhalla…
Martin Frenzel: Das ist richtig… Karl Manfred Fischer, Festivalleiter und Mentor, gab mir die Möglichkeit, den Traum einer Ausstellung übers
Comic-Eldorado meiner Kindheit und Jugend zu verwirklichen…. Ich tat mich mit dem Verleger und Comic-Redakteur Carsten Söndergaard und dem Comicforscher und -historiker Anders Hjorth Jörgensen
zusammen… was ich völlig unterschätzt hatte: Ich musste die zahlreichen Erklärtexte für die Exponate samt und sonders vom Dänischen ins Deutsche übersetzen, und das unter hohem Deadline-Druck, es
war wenige Wochen vor dem Erlanger Comic-Salon… Fischer rief an und machte mir Dampf: „In die Badewanne können Sie sich später legen….“ Das half: Die Texte wurden rechtzeitig fertig, die
Ausstellung war sehr gelungen, stieß auf sehr positive Resonanz, bekam u.a. hohes Lob von der SZ… ein Katalogheft erschien dazu… und ich organisierte ein Rahmenprogramm… etliche bekannte dänische
Zeichner kamen und gaben sich erstmals in Erlangen die Ehre: Rune Kidde, Peter Madsen, Freddy Milton… Niels Roland… Ole Comoll Christensen…. Wie der Zufall es wollte, besiegte die dänische
Fußball-Nationalelf im gleichen Sommer die Deutschen und wurde überraschend Europameister 1992… die Dänen hatten comic- und fußball-technisch gesehen in diesem Jahr einfach einen
Lauf….
COMICOSKOP: Auch mit dem Comic Almanach von Joachim Kaps 1992/93 hattest Du zu tun und mit dem Comic-Jahrbuch 2000-2006 und hast Kaps in Sachen Freddy Miltons „Gnuff“ beraten, ihm diesen Comic empfohlen… und in der Icom-Info u.a. Prado-Dossier 1991 geschrieben?
Martin Frenzel: Ja, Joachim hatte von Gerd Zimmer das ICOM-Info übernommen, begann dann mit dem Comic-Almanach… da habe ich u.a. über die Geschichte des dänischen Comics geschrieben und über Tardi… und dann fragte mich Joachim, als er mit Thomas Bleicher-Viehoff die edition b & k in Hagen betrieb, ob ich ihm Freddy Miltons Gnuff empfehlen könne. Was ich tat, wärmstens… die Folge war, dass doch tatsächlich zwei Alben auf Deutsch erschienen, aber die Zeit war wohl noch nicht reif, die Reihe verkaufte sich nicht. Mag sein, dass dies im zweiten Anlauf dank des neuerlichen Fantagraphics Rückenwinds anders wäre. Zu wünschen wäre es ja….
Vorher war ich bereits fürs Icom-Info von Gerd Zimmer tätig (der später Bürgermeister im Fränkischen wurde) – schrieb übers Comic-Festival Barcelona, wo ich Hugo Pratt, Carlos Sampayo/Jose Munoz, Prado, Daniel Torres und Art Spiegelman begegnet war… und dann kam, in der Tat, 1991 ein langes, erstmaliges Dossier über Miguelanxo Prado, das erste seiner Art.
Später, das muss ca. 1999 gewesen sein, fragte Burkhard Ihme, ob ich nicht fürs Comic-Jahrbuch des ICOMs schreibe wolle… jedenfalls erschien dann ein großer Beitrag aus meiner Feder im Comic Jahrbuch 2000 über die Neue deutsche Autorencomic-Welle der 1980er und 1990er, eine Bestandsaufnahme, für die ich viel im Frankfurter Institut für Jugendbuchforschung, in Bernd Dolle-Weinkauffs Comic-Bibliothek recherchiert hatte… auch ein Dossier über Mali & Werner gehörte zu den Highlights… und eine Rubrik über dänische Comics…. Nach dem Comic-Jahrbuch 2006 war abrupt Schluss, ich weiß bis heute nicht, warum… immerhin fast sieben Jahre Mitarbeit.
COMICOSKOP: Holocaust im Comic gehörte schon früh zu Deinen Interessen- und Forschungsgebieten… bis hin zum Diss-Projekt mit deinem Doktor-Vater Dietrich Grünewald...
Martin Frenzel:Ja, das begann schon Ende der 1980er, als ich für die Mainzer Kinder- und Jugendliteratur-Fachzeitschrift Eselsohr Comic-Rezensionen schrieb – Art Spiegelmans Maus, aber auch Gillons/Cothias’ Schrei nach Leben… 1992 organisierte ich dann die Mainzer Comic-Tage in der ganzen Stadt mit Ausstellungen, Vorträgen, Comic-Theater, Filmen… kleiner Verlagsmesse im Frankfurter Hof… und da gab es gleich zwei Ausstellungen, die das Thema Shoah / NS-Verbrechen in den Blik nahmen: Eine Ausstellung der Stiftung Lesen über den nicht unumstrittenen Hitler-Comic von Dieter Kalenbach/Friedemann Bedürftig und eine Schau von Thomas Bleicher-Viehoff über Antisemitismus im Comic… ich habe dann im Comic Jahrbuch erstmals in Deutschland eine Bestandsaufnahme der Holocaustcomics veröffentlicht. Später folgte dann Ralf Palandts Sekundärband-Anthologie Rechtsextremismus/Antisemitismus im Comic, in dem ich mit einem umfangreichen Holocaust im Comic-Dossier prominent vertreten war. Das mündete dann in einem Vortrag zum gleichen Thema in der Ev. Akademie Bad Boll. Das Thema beschäftigt mich bis heute. Die Doktorarbeit bei Dietrich Grünewald geht darüber hinaus, widmet sich dem Thema Politik im Comic, Genaueres will ich dazu aber nicht verraten…
COMICOSKOP: Calvin & Hobbes kam 1990 durch die Erlanger Max-und-Moritz-Jury, deren Mitglied Du damals warst, ebenfalls eine Auszeichnung, den Preis als bester Zeitungscomic – und das hatte einen verblüffenden Effekt… und Gerhard Seyfried bekam ja den Hauptpreis gegen Widerstände in der Jury… aber Du gehörtest zu den Seyfried-Befürwortern…
Martin Frenzel: Ja, Calvin und Hobbes, für mich eine der genialsten Zeitungscomic-Serien aller Zeiten – auch wenn Charles M. Schulz‘ Peanuts und Walt Kellys Pogio unerreicht bleiben – war damals bei Krüger ein Ladenhüter, verkaufte sich nicht. Ganz anders in anderen Ländern, zumal in Amerika. Das muss man sich mal vorstellen: Bill Watterson – „unverkäuflich“…. Unglaublich, aber wahr. In der Jury machte ich stark dafür, Calvin und Hobbes zu prämieren, Karl Manfred Fischer und Svante Setterblad, der Direktor von Bulls Pressedienst Frankfurt/Main damals und Stifter des Max-und-Moritz-Preises unterstützten das. Kaum war der Salon 1990 vorbei, stiegen die Verkaufszahlen an, Calvin und Hobbes war dank des Preises und vieler Berichte in den Feuilletons urplötzlich ein Hit… ja, und Gerhard Seyfried, man glaubt es kaum, stieß auf massive Widerstände, Affolter wollte jemand anders durchdrücken. Das wäre aber in dieser geschichtlichen Stunde, um mit Helmut Kohl zu reden, genau die falsche Entscheidung gewesen: Zum einen hatte Gerhard Seyfried angesichts seines Lebenswerks mehr als verdient, das war mehr als überfällig, zum anderen war sein hellseherisches Spätwerk Flucht aus Berlin einfach der Comic der Stunde, der wie angegossen zur Zeitenwende von 1989/90 passte… es wäre meschugge gewesen, Seyfried den Preis zu verweigern….
COMICOSKOP: Sogar als Übersetzer warst du aktiv?!
Martin Frenzel: Ja, des öfteren aus dem Dänischen, siehe die Erlanger Comic Eldorado Dänemark-Ausstellung, aber auch für dänische Comic-Zeichner wie Rune Kidde und Niels Roland, Verlagstexte für Ehapa… und auch eine Weile die frankobelgische Semifunny-Ritter-Serie Tassilo / Percevan aus dem Französischen für Ehapa-Egmont…
COMICOSKOP: Dein Comic-Idol Deiner Jugend war ja Moebius/Giraud: Mit ihm hattest Du ja einige Begegnungen, bei einem Interview auf dem Internationalen Comic-Salon Grenoble für die TAZ und Comic Forum, auf der Buchmesse, aber vor allem einmal in einem der großen Messe-Zelte des Comic-Festivals in Angoulême, Europas Comic-Mekka. Da spürtest Du plötzlich die eiserne Hand des Meisters… erzähl mal, was geschah….
Martin Frenzel: Ja, wohl wahr, die vielleicht denkwürdigste Begegnung war die mit der eiserne Hand des Meisters irgendwann in der ersten Hälfte der 1990er in Angoulême: Ich hatte ein rares Futuropolis-Album in den Händen, war gerade mit dem Messehändler überein gekommen, es zu kaufen, freute mich über diesen Fund, da spürte ich plötzlich, wie jemand dreist versuchte, mir das Album wegzustibitzen,… einen „eisernen“ Griff, eine Hand, die versuchte, mir das Album ungalant aus der Hand zu reißen… ich setzte mich zur Wehr, hielt dagegen… gewann das „Tauziehen“, schließlich war ich auch der Erste gewesen… als ich zudem Greifer aufblickte, sah ich das Idol meiner Jugend, Jean Giraud alias Moebius… der seine Missetat charmant weglächelte…
COMICOSKOP: Im April 2014, vor zehn Jahren, hast Du das COMICOSKOP gegründet, das Konzept entwickelt, die Domains gesichert (www.comicoskop.com und .de), im Juni Tillmann Courth und mich als Redaktionsmitglieder auf dem Erlanger Comic-Salon angeworben, im Dezember des gleichen Jahres 2014 ging COMICOSKOP, vor genau 10 Jahren, dann online: Hättest du gedacht, es könne so lange am Leben bleiben?
Martin Frenzel: Nein, wirklich nicht… den Namen Comicoskop hatte ich schon vor 20 Jahren erdacht, weil ich nach dem Comic Journal-Erstversuch den
Traum eines eigenen Fachmagazins nie aufgegeben hatte. Hatte den Namen gehütet wie meinen Augapfel… geheim gehalten… Allerdings dachte ich dabei an eine Print-Fachmagazin…. Dass das COMICOSKOP
dann im Netz startete, war schlichtweg Geldmangel, Mangel an Startkapital geschuldet… die Not-Lösung E-Fachmagazin im World Wide Web entpuppte sich aber als Gold wert…. Ich hoffe, COMICOSKOP
bleibt noch lange bestehen, wenn es mir vergönnt ist gerne noch weitere zehn Jahre, bis 2034, dann wäre ich 70… Ihr Beiden wart ein echter Glücksfall: Wir sind ja drei sehr verschiedene Typen,
ergänzen einander aber wunderbar, und mittlerweile ist zu uns drei „Silver Agern“ ja die nicht minder wunderbare Jessica Kikisch von der Generation Manga hinzugestoßen, die Fantastischen Vier
sozusagen.
COMICOSKOP: Charlie Hebdo und das blutige Attentat im Januar 2015, vor fast genau zehn Jahren, spielte in den ersten Wochen des COMICOSKOP-Bestehens eine Schlüsselrolle….
Martin Frenzel: Ja, das stimmt…. COMICOSKOP bestand erst wenige Woche im Netz, seit Dezember 2014, da ereignete sich das Terror-Massaker am 7. Januar 2015, vor fast genau zehn Jahren… und ich nahm sofort wahr, dass hierbei zwei Giganten der französischen Comic-Szene Cabu und Wolinski bestialisch ermordet worden waren… und auch, dass die ahnungslosen deutschen Mainstream-Medien – von ZDF heute journal Claus Kleber über SZ und Tagesspiegel und FAZ - alle fälschlich von ermordeten „Journalisten“ faselten. So waren wir im deutschsprachigen Raum die Ersten, die darauf hinwiesen, dass es sich in Wahrheit um berühmte Comic-Künstler handelte. Cabu ist ja kaum bekannt in deutschen Landen, hat aber einen ähnlichen Rang in Frankreich wie Loriot, Hape Kerkeling, Heinrich Böll und Dieter Hildebrandt in einer Person… in Frankreich kennt ihn jedes Kind, da er der Star einer bekannten französischen Kindersendung war…. Und das moralische Satire-Gewissen der Nation ….
COMICOSKOP: Ich sehe Comicoskop stark als investigatives Medium, so haben wir etwa drei Perspektiven zu Goscinnys Anleihen bei anderen gefunden.. Was waren den in den letzten 10 Jahren aus Deiner Sicht die COMICOSKOP-Highlights?
Martin Frenzel: Ja, das stimmt, Asterix war ein frühes Investigativ-Highlight… immer noch ein Klassiker ist Tillmanns Coup, Goscinny mit einem unbekannten US-Comic namens Alec the Great auf die Schliche zu kommen, wo ein flügelbehelmter US-Obelix Widersacher vermöbelt… und unser Redaktions-Schelm Tillmann hat, auf meine große Liebe Goscinny keine Rücksicht nehmend, genüsslich und gekonnt darauf rumgeritten, dass der Asterix-Altmeister ja in New York weilte – und die Timely-Geschichte womöglich gesehen hat… ja, und Du konntest ja zeigen, lieber Hanspeter, wie Don Camillo und Peppone-Rugby-Sequenzen in Asterix bei den Briten ihren Niederschlag fanden. Und ich selbst habe mir die frappierenden Ähnlichkeiten mit dem argentinischen Comic-Klassiker Patoruzú von Dante Quinterno vorgeknöpft, also jenem Argentinien, in das Goscinny mitsamt Familie exiliert war… Aber, was soll’s, alle großen Meister, auch der Bildenden Künste, sind geniale Kompilatoren, haben sich durch Ideen anderer inspirieren lassen… für mich ist und bleibt Goscinny ein Humor- und Satire-Genie, ein Jahrhundertmann, wie man ihn nur einmal im Leben erlebt….
Highlights waren sicher der Söder-Coup…als ich bei Lektüre eines unscheinbaren Artikels im Bayern-Teil der SZ auf einem Foto mit Söder in dessen Nürnberger Wahlkreisbüro im Hintergrund ein Spiderman-Plakat erspähte, und darob mutig in der Staatskanzlei bei Söders Pressesprecher nachfragte, ob denn der frisch gebackene Ministerpräsident zu einem COMICOSKOP-Exklusivinterview bereit sei, zur Frage „Sind Sie Comic-Fan, Herr Söder, oder hängt das Plakat da nur zufällig?“. Zu meiner, unserer Überraschung kam alsbald positive Antwort aus der Staatskanzlei: Söder war bereit zum Interview, und, noch überraschender, entpuppte sich als großer, leidenschaftlicher Comic-Fan, nicht nur von Marvel- und Superheldencomics, sondern querbeet…
Aber auch ein Mezieres-Dossier und der große Uderzo-Nachruf waren Highlights… das gelungene, immer noch sehr lesenswerte Interview mit meinem großen
Vorbild und leider allzu früh verstorbenen väterlichen Freund Wolfgang J. Fuchs zum 70. Geburtstag… wunderbare Dossiers von Dietrich Grünewald über Karl May-Comics, Loriot und Abstrakte Kunst im
Comic… aus dem zweiteiligen Loriot-Dossier erwuchs ja der wunderbare Loriot-Band im Bachmanns Verlag, das COMICOSKOP mal wieder als Trampolin, als Sprungbrett für Höheres… irgendwie sind wir vom
COMICOSKOP die TAZ unter den bundesdeutschen Comic-Fachpublikationen: Immer wieder, siehe Tillmanns Aufstieg zu René Lehners guter Comixene und zu Hella von Sinnens „Comic TV Talk“, stellen wir,
wie die echte TAZ gute Leute ab…. Heute, nach zehn Jahren, sind wir die Laterna Magica für Comic-Kultur im Internet...
COMICOSKOP: Du hast ja als Erster in Deutschland die Idee eines Deutschen Comic-Museums nach Vorbild Angoulême für Erlangen publik gemacht, in den 1980ern schon und dann in den Folgejahren immer wieder…
Martin Frenzel: Da war ich langer Zeit allein auf weiter Flur, Rufer in der Wüste. Schon in den 1980ern schlug ich ein Comic-Museum als feste Institution für Erlangen Karl Manfred Fischer vor – nach dem Vorbild des Centre National de la Bande Dessinée (C.N.B.D.I.) von Angoulême, auf Betreiben von Präsident Mitterand und dem legendären französischen Kulturminister Jack Lang eingeweiht…heute heißt das C.N.B.D.I. ja Cité, das, was früher das C.N.B.D.I. war, ist jetzt Vaisseau de Moebius…. Der Moebius-Bau… Habe diese Idee dann immer wieder publik gemacht, Mitte und Ende der 1980er in Comic Forum, 2000 im Comic Jahrbuch, dann auf COMICOSKOP… Mark Twain hat mal gesagt: Eine Idee gilt solange als verrückt, bis sie sich durchgesetzt hat. Das wirklich Verrückte war, dass ich wegen dieser Idee öffentlich angefeindet wurde, so kam es, dass mich ein Zeitgenosse in der Retro-CX öffentlich angriff und wahrheitswidrig behauptete, ich schlüge das nur vor, um selber dort Museumsleiter zu werden. Dieser Vorwurf war ebenso unwahr wie infam. Der Schreiberling konnte sich wohl nicht vorstellen, dass jemand etwas aus altruistischen Gründen, aus Gründen des Gemeinwohls vorschlägt, dieser Kerl hielt es nicht mal für nötig, mich dazu vorher zu befragen… Ich hatte selbst überlegt, einen Förderverein Deutsches Comic-Museum für Erlangen anzustoßen, schon mit einem potenten Geldgeber u.a. mit Sitz in Erlangen gesprochen. Aber es war einfach zeitlich zu aufwändig, zumal ich nicht in Erlangen lebe. Insofern freut es mich, dass Lisa Neun hier nun in die Bresche gesprungen ist. Wir vom COMICOSKOP haben ja mit dem investigativen Exklusiv-Interview mit Bayerns Ministerpräsidenten Söder und unserer Frage an ihn, ob das Projekt Deutsches Comic-Museum für Erlangen finanziell, organisatorisch und logistisch unterstützen würde, was er ja bei uns vollumfänglich bejahte, wesentlichen Anteil daran, dass aus dem Luftschloss nun – trotz aller Hürden und Hindernisse – ein wahrer Quantensprung werden konnte…
COMICOSKOP: Lass uns das nochmals aufgreifen und vertiefen: Ganz wesentlich für Deine Comic-Sozialisation war Deine starke dänische familiäre Prägung: Welche Comics haben Dich denn in Deiner Kindheit und Jugend auf Deutsch und auf Dänisch beeinflusst?
Martin Frenzel: Nun, ich las, verschlang geradezu Tim und Struppi auf Dänisch, von der Pike auf… Disney-Comics meist auf Dänisch, Anders And & Co statt Micky Maus… und nicht zuletzt die wunderbaren Alben des legendären dänischen Alben-Verlag Interpresse… Lucky Luke u.v.a., auch Batman, Superman…. Hugo Pratts „Südseeballlade“ auf Dänisch, viel früher erschienen als auf Deutsch. Auch Deribs wunderbares, bei uns kaum bekanntes Pythagoras-Frühwerk oder Remacles Der Kleine Nick… Die Dänen hatten alles schon in den 1970ern und frühen 1980ern aus Frankreich/Belgien übersetzt, Deutschland war eben auch und gerade in Sachen Comic eine verspätete Nation, ein Comic-Entwicklungsland… Kein Wunder, dass die beiden führenden Comic-Verlagsplayer, Carlsen und Ehapa (heute Egmont), ursprüngliche dänische Verlagsgründungen waren…..Natürlich auch die Comic-Alben aus dem Carlsen Verlag Kopenhagen, wie etwa Enki Bilal, Valerian & Veronique, Jacques Tardis Adele Blanc-Sec, die Schlümpfe von Peyo….Hugo Pratt… und den dänischen Gerhard Seyfried Claus Deleuran, dessen Comic Thorfinn, aber auch Die Reise zum Saturn, Pirelli & Firestone U.v.a.
Bedeutet: Erika Fuchs‘ Micky Maus war nicht so prägend für meine Sozialisation auf Deutsch, dafür aber Gudrun Penndorf mit Asterix und Lucky Luke… Isnogud… ich las viel Fix und Foxi, die Kauka-Sachen, Walter Neugebauers Winnetou-Album, Tom Biber, Primo… Kobra aus dem Moewig-Verlag wg. Trigan von Don Lawrence, ein wenig auch die Williams-Hefte mit den Marvel Superheldencomics, sehr gern auch Tarzan-Hefte aus dem Bildschriftenverlag von Burne Hogarth. Ich las auch die Bastei-Hefte Bessy vor allem, Buffalo Bill, Silberpfeil, eher sporadisch die Gespenstergeschichten, ich und bin eher der Westerncomic-Fan… später die Reihe Topix mit Roger Leloups Yoko Tsuno oder André Cherets Rahan, die Phantom-Heftserie bei Bastei… Marco Polo… Gregs "Albert Enzian"-Alben von Ehapa mochte ich sehr, obwohl sie in Westdeutschland nie auf den grünen Zweig kamen... Paul Gillons Jeremie im Moewig Verlag... Und eine ganz große Liebe war Hal Fosters Prinz Eisenherz, holte die Pollischansky-Alben immer bei einer unfreundlich-übelgelaunten Mainzer Kiosk-Frau Prinz Eisenherz las ich sowohl auf Deutsch als auch auf Dänisch… sie war immer übellaunig, machte mich aber, ohne es zu wissen, mit Prinz Eisenherz glücklich… später kam Flash Gordon von Alex Raymond hinzu, ebenfalls bei Pollischansky Wien… Aber die wichtigste Prägung war neben Tintin und Asterix zweifelsohne Springers Comicmagazin-Legende ZACK: Ich kam erst 1974 so richtig ins ZACK-Fieber, besorgte mir die schon erschienenen ZACK-Hefte von 1972/73 im Nachhinein, dann ab 1975 las ich ZACK im Abo bis zum Ende 1980... In den dänischen Sommerferien rannte ich immer in den Brugsen (eine Art dänischer Netto), um das neueste ZACK zu ergattern… vor allem Blueberry von Giraud/Charlier wegen, aber auch wegen Hermanns Jugurtha und Comanche und Andy Morgan, William Vances Bruno Brazil, Gratons Michel Vaillant, Dupas Cubitus und Gordon Bess‘ Häuptling Feuerauge…. U.v.a. Ich gehöre ganz sicher, von Kopf bis Fuß, zur Generation ZACK… Wenn ich krank bin, lese ich aber bis heute die alten TINTIN/Tim und Struppi-Geschichten des großen Hergé, das ist die beste Medizin, jedenfalls bei mir ist das so, hat absolut heilende Wirkung! Verrückterweise kann man die alten Tim und Struppi-Alben wieder und wieder lesen, sie bleiben absolut zeitlose, lesenswerte Evergreens!
COMICOSKOP: Das alles hat dich fürs Leben geprägt ... So hast du etwa im November 1992 die Mainzer Comic-Tage 1992 Mainz auf die Beine gestellt, mit
Ehrengast Baru, aber auch Größen wie Mezières, Julillard dabei… Robert Gernhardt, Bernd Pfarr u.v.a.
Martin Frenzel: In der Tat, das war ein ziemlich großes, an vielen Stellen der Stadt über die Bühne gehendes regionales Comic-Festival der neunten
Kunst… im Frankfurter Hof in der Mainzer Altstadt fand die Verlagsmesse statt, dazu eine große Ausstellung der kompletten Rhein Main Comic-Szene inkl. Robert Gernhardt und die Neue Frankfurter
Schule und Bernd Pfarrs… Ralf König gab die Erlaubnis, dass Schüler:innen seinen Lysistrate-Comic als Theaterstück im KUZ Mainzer Kulturzentrum aufzuführen durften – und kam leibhaftig zur
Premiere nach Mainz. Eckart Breitschuh war mit seinem Lindenstr.-Comic zugegen, Wolfgang J. Fuchs hielt einen Vortrag über Wolfgang J. Fuchs, es gab eine Schau von Carsten Laqua, dem Berliner
Händler und Sammler, „Micky unterm Hakenkreuz“ in einer Galerie, der damals noch unbekannte Baru zeichnete exklusiv das Festivalplakat mit dem Altstadt-Kirschgarten-Ambiente als Plakatmotiv, kam
als Ehrengast und hatte eine eigene Ausstellung, Bernd Pfarr stellte im Druckerladen des Mainzer Gutenbergmuseums aus, es gab im Institut Francais eine Ausstellung über französische neunte Kunst
und ebendort moderierte ich eine Podiumsrunde mit Baru, Juillard und Mezières… Ronald Putzker stellte seinen Kolumbus-Comic sogar im Weltmuseum der Druckkunst, dem Maintzer Gutenbergmuseum aus….
eröffnet wurde das Festival im Frankfurter Hof, in dem schon Ferdinand Lasalle wirkte, vom damaligen Oberbürgermeister Herman-Hartmut Weyel, dem legendären Mainzer Kulturdezernenten Anton Marisa
Keim und mir. Motto: Comic-Kultur für alle! Ein Höhepunkt war, dass das ZDF heute journal mit Wolf von Lojewski doch tatsächlich über dieses Festival live und in Farbe berichtete – vor einem
Millionenpublikum… Es gab allerdings Rückschläge: Ich fuhr nach Zürich, um Affolters Ausstellung „Mit Picasso macht man Kasso“ beim dortigen Museum für grafische Gestaltung zu entleihen, aber das
scheiterte an den irrwitzigen, unüberwindbaren Forderungen der Schweizer: Sie waren nicht bereit, fremde Mainzer LKWs als Transportmittel zu akzeptieren, bestanden auf eigenen Schweizer
Lastfahrzeugen – mit enormen Kosten! – und auf horrenden Versicherungshöhen. Das führte unweigerlich dazu, dass das Mainzer Kulturamt, mit dem wir als Förderverein Comic-Kultur
kooperierten, irgendwann die Nase voll hatte, das die Kosten in die Höhe treibende Züricher Draufsatteln zu akzeptieren… auch produzierten die Mainzer Comic-Tage am Ende ein
verhältnismäßig geringes Defizit – angesichts der enormen Größe dieses Festivals mit facettenreichem Programm und zahlreichen Veranstaltungsorten in der ganzen Stadt verteilt eher erwartbar… Aber
ich machte damals die unangenehme Erfahrung, dass dann, wenn es regnet, man plötzlich nahezu alleine dasteht… nach dem alten Motto: Geh du vor, wir geben dir Feuerschutz… wir schafften es dann
aber doch, das Mini-Defizit durch eine Benefizaktion T-Shirt-Verkauf zu tilgen, ein T-Shirt von T-Shirt-Michi (Schmitt), einem Limburger Zeichner, auf dem man King Kong mit der damaligen
Sozialdezernentin und späteren Ministerpräsidentin Malu Dreyer sah, „I want Malu“, glaube ich, stand in der Riesengorilla-Sprechblase… und daneben stand ein düpierter damaliger Oberbürgermeister
Jens Beutel….
COMICOSKOP: Und – olala! - im Februar 2005, vor 20 Jahren, gehörtest Du zu den Glorreichen Acht, die auf Initiative von Dietrich Grünewald in Koblenz die Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) aus der Taufe gehoben haben.
Martin Frenzel: Nun, mit Dietrich Grünewald verbindet mich eine enge, seit den 1980ern bestehende langjährige Freundschaft – ich mochte die Sachen, die er schrieb und schreibt schon immer sehr. Irgendwann, es war auf dem Comic-Salon Erlangen 2004, fragte er mich, ob ich nicht Lust hätte, an der Gründung eines bundesweiten Comicforschernetzwerks mitzuwirken – und das hatte ich. Das war die Geburtsstunde der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor). Wir trafen uns zu Acht auf Einladung Dietrichs in Koblenz am Rande seiner Ausstellung zur deutschen Comic-Geschichte und hoben die ComFor gemeinsam aus der Taufe, die im Februar 2025 – man glaubt es kaum – ihr 20jähriges Jubiläum feiert und heute in ganz Deutschland und Österreich weithin vertreten ist…. Dietrich wurde erster Gründungsvorsitzender – und führte die ComFor zehn Jahre lang virtuos und sehr integrativ… Inzwischen kann sich der Reigen der Themen-orientierten Herbsttagungen der ComFor wahrlich sehen lassen, ebenso wie die Comicforscher-Gelbe-Reihe im Berliner Christian Bachmann-Verlag… Nur Eckart Sackmann wollte irgendwann nicht mehr mitmachen, weil er der ComFor vorwarf, sich zu wenig um deutsche Bildergeschichten-Eigentraditionen zu kümmern, nicht national genug zu sein. Ich selbst war und bin der Ansicht, dass wir BEIDES brauchen: Den Fokus auf die eigene deutsche Bildergeschichten-Tradition UND den Blick über den Tellerrand, den internationalen, europäischen Vergleich… das dürfen wir nicht gegeneinander ausspielen… Wichtig wäre aber in der Tat, dass die ComFor auch in den nächsten 20, 30 Jahren die deutsche Bildergeschichten-Tradition von Wilhelm Busch über Erich Ohser/e.o.plauen bis Ralf König, Barbara Yelin und Isabel Kreitz heute nicht aus den Augen verliert, sich auch und gerade der deutschsprachigen langen Bildergeschichtentradition widmet. Das machen Franzosen, Niederländer, Dänen, Schweden oder US-Amerikaner schließlich ganz genauso…. Fest steht: Ohne Dietrich Grünewalds Initiative, Engagement und Integrationsfähigkeit hätte es die ComFor nie gegeben, das ist allein sein großes Verdienst – und er hat fraglos zehn Jahre lang eine beeindruckende Ära geprägt, ein Ehren-Vorsitzender im besten Sinne des Wortes, einer, der der Comicforschung alle Ehre gemacht hat!
COMICOSKOP: Schon 1990, kurz nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung warst Du ja im Auftrag des Ehapa Verlags in Ostdeutschland, in Ost-Berlin und Leipzig… worum ging es da genau….
Martin Frenzel: Mein Freund, der damalige Ehapa Comic Collection-Verlagschef Michael Walz, schickte mich auf Sondermission als Ehapa-Kurier gen
Osten, ins bitterkalte, winterliche Ost-Berlin und ins verschneite Leipzig… ich sollte sondieren, welche Zeichner es im Osten, in der gerade untergegangenen DDR es gab, mir ein Bild von der
dortigen Comic-Szene machen und einen Bericht schreiben… ich sprach mit den RENATE-Leuten, mit dem späteren STERN-Reporter Volker Handloik, es ging um Leute wie Schwarwel… Rainer Schwalme… das
Ganze hatte etwas Bizarres, denn damals waren die Häuser, Straßen, Wohnungen noch in arg marodem DDR-Zustand… ich kam mir vor wie in Orson Welles „Der dritte Mann“… Schon im Juni 1990 hatte ich
in diesem Sinne ein Podiumsgespräch moderiert… „Im Osten viel Neues“ mit Schwarwel und Co auf dem Comic-Salon Erlangen. Im Grunde ging es darum nachzuspüren, ob es neben Mosaik, Frösi und Atze,
den Digedags von Hannes Hegen, Fix und Fax und den Abrafaxen noch anderes, brachliegendes ostdeutsches Comic-Kreatvpotential gab…
COMICOSKOP: Das hat mich jetzt an meine eigenen ersten Reisen ins Ost-D der Nachwende-Zeit erinnert, damals im Brockhaus-Vertrieb – da hat sich eine Menge getan, inzwischen, erfreulicher Weise! Bleibt final die Frage: Was sind denn Deine Zukunftspläne für nah und fern?
Martin Frenzel: Träumen wir ja noch dürfen: Nun, ich möchte – wenn die Gesundheit mitspielt - COMICOSKOP noch möglichst lange Jahre weiterbetreiben, dafür sorgen, dass der Traum der 20-Jahr-Feier in 2034 wahr wird und unsere Laterna Magica unter den Fachmagazinen möglichst noch lange, lange lebt und investigativ tätig ist… Ideen habe ich genug, jede Menge davon…. meine Doktorarbeit bei Dietrich Grünewald trotz widriger stressiger beruflicher Umstände endlich vollenden, und dann ein Buch schreiben über die Geschichte des Erlanger Comic-Salons… und bei der Einweihung des Deutschen Comic-Museums Erlangen in 2030 wäre ich gern als Initiator, Ideen- und Anstoßgeber dabei – und wäre dankbar, wenn diejenigen, die dann das Museum eröffnen, sich das nicht allein auf die Fahnen schreiben, sondern meine Rolle als Initiator und Ideengeber nicht ganz unter den Tisch fallen lassen…. Comics werden auf alle Fälle mein Leben weiter eng begleiten, bis zum letzten Tag… beim nächsten Internationalen Comic-Salon Erlangen sind wir auf alle Fälle 2026 wieder mit einem kleinen, aber feinen Independent-Messestand mit dabei… und, mal sehen, vielleicht schaffen wir ja mit der COMICOSKOP-Crew das 50jährige Jubiläum des Erlanger Comic-Salons, das wäre dann 2034… dann bin ich, so Gott will, 69, fast 70… die Comic-Kultur, die Leidenschaft fürs Prinzip Bildgeschichte wird jedenfalls bis zu meinem letzten Atemzug Herzenssache bleiben!
COMICOSKOP: ...und ich dann 81, voila, schau mer mal J! Wir beide sehen einander sicher beim 2025er Comic-Festival in München... Und nun vielen Dank für das spannende COMICOSKOP-Gespräch, lieber Martin. Jetzt haben wir in einem Parforceritt dein Comic-Forscher- und Journalisten-Leben durchschritten...alles Gute nochmal zum 60., viel Glück, Gesundheit und viel Erfolg mit COMICOSKOP auch in Zukunft, auf weiter gute Zusammenarbeit....!
COMICOSKOP-Redakteur Hanspeter Reiter, nennt in unserer Redaktion das Spezialgebiet "Deutsche Comic-Kultur" sein eigen. Der Münchner, Jahrgang 1953, lebt nach vielen Berufs- und Lebensjahren in Köln, seit kurzem wieder in der Heimat, ganz nahe bei München... "HPR" schreibt auch und gerne über den deutschen Comic-Markt, die Verlage und über deutsche Comic-Geschichte (Rubrik: Comics made in Germany). Zudem gilt er als hurtigster Rezensent der COMICOSKOP-Redaktion, schreibt Besprechungen wie aus der Pistole geschossen - ähnlich flink wie "Lucky Luke"...