COMICOSKOP: Liebe Frau Esken, wir wollen gern mit Ihnen über Comics reden… lange Zeit war der Comic ja in Deutschland scheel angesehen, galt als Schundliteratur. Durften Sie denn Comics als Kind/Jugendlicher lesen – oder war es eher verpönt, etwas, was Sie heimlich tun mussten…? Von der Generation sind Sie ja in den 1960ern und 1970ern aufgewachsen, als die Haltung in Westdeutschland, Comics seien „Schund“, noch weitverbreitet war….Durften Sie trotzdem Comics lesen, als Jugendliche, und wenn ja, welche haben waren das denn…? Immerhin sind Sie ja nahe der Comic-Verlagshochburg Stuttgart aufgewachsen...
SASKIA ESKEN: Meine Eltern waren eher an Literatur, an Tages- und Wochenzeitungen und anderen politischen Texten orientiert. Insofern waren wenig Comics im Haus, auch wenn mein Vater die Geschichten von Wilhelm Busch liebte, auch selbst eine Neigung und Begabung zum Stricheln, Zeichnen und Malen hatte - und damit nicht nur die Publikationen des SPD-Ortsvereins, sondern auch seine Bauzeichnungen immer wieder "belebte". Obendrein hatte mein Onkel einen Freund bei Ehapa, dessen Verlagssitz sich ja damals in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart befand, und so fielen nicht nur die Bücher von Astrid Lindgren, sondern auch Disneys Lustigen Taschenbücher und die Geschichten um Asterix aus der Feder Albert Uderzos und René Goscinnys oder die Lucky Luke-Alben von Morris und Goscinny in meine Hände und verschafften mir den Zugang zur Comic-Welt. Es hat mir nicht geschadet…
COMICOSKOP: Ein Grund, weswegen wir Sie um ein Interview zum Thema Comic baten, ist auch, dass wir vor einiger Zeit die Comic-Leidenschaft des bayerischen Ministerpräsidenten Söder aufgedeckt haben. Der outete sich im COMICOSKOP-Interview mit uns als großer Comic- und insbesondere Marvel-Superheldencomic-, Stan Lee- und Spiderman-Fan. Jetzt fragten wir uns, schon der politischen Ausgewogenheit wegen, gibt es denn bekennende Comic-Freundinnen und -Freunde - außer dem Polit-Pensionär und erklärten Comicfreund Peer Steinbrück - auch beim derzeit aktiven Spitzenpersonal der SPD? Sind Sie etwa auch Comic-Fan, Frau Esken?
SASKIA ESKEN: Markus Söder hat NoWaBo (das ist Norbert Walter-Borjahns, der erste SPD-Co-Bundesvorsitzende gemeinsam mit Saskia Esken, Red.), mich und Kevin (gemeint ist Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär) einmal als "Tick, Trick und Track" bezeichnet und glaubte, uns damit lächerlich zu machen. Damit hat er mir gezeigt, dass er in der Popkultur von Entenhausen nicht wirklich zu Hause ist, denn Tick, Trick und Track sind ja wohl die schlauesten und gleichzeitig sympathischsten Charaktere, die man sich vorstellen kann. Ich habe ihn und seine Freunde dann als die Panzerknacker der Politik-Welt eingeordnet. Noch Fragen?
COMICOSKOP: Nein, keine mehr dazu... Bundeskanzler Olaf Scholz, der sich ja im August 2023 im SZ Magazin ebenfalls als ein
geneigter Comic-Leser outete, hat ja auf Söders Vorwurf, er möge nicht immer so „schlumpfig grinsen“, schlagfertig und offenbar ungemein peyo-comic-text- und bild-sicher erwidert, er sei
gern einer der schlauen blauen Schlümpfe, immerhin bekämpften die ja stets erfolgreich den bösen Zauberer und Hexenmeister Gargamel… und jeder Peyo-Fan wusste, wer hier mit Gargamel gemeint
war... So konnte nur jemand Kontra geben, der seinen Peyo in- und auswendig kennt...
SASKIA ESKEN: Ja, ganz genau, dem ist ja wohl nichts hinzufügen…
COMICOSKOP: Es gibt ja einige politische Karikaturen und Cartoons von Ihnen und Norbert Walter-Borjans und jetzt mit Lars Klingbeil, etwa von Jürgen Janson, aber könnten Sie sich auch vorstellen, Figur in einem Satire-Comic zu sein? Immerhin gab es ja mal Comic-Satiren des österreichischen Zeichners Horst Grimm in dessen Ehapa-Serie "Faustus - Neues aus dem Mittelalter" in den 1980ern, mit Erhard Eppler, der diesen als "Baron Erdäpfler" durch den Kakao zog, oder, im Fahrwasser der Satire-Zeitschrift Titanic, über Rudolf Scharping, die SPD, die das Autorenduo Greser & Lenz damals als die „Roten Strolchen“ verulkte und verhohnepipelte..?
SASKIA ESKEN: Ich hätte sicher Spaß daran ...
COMICOSKOP: Na, vielleicht lesen Greser & Lenz dieses Interview und lassen eine 2.0-Version der Roten Strolche folgen… mit Kanzler Scholz, Verteidigungsminister Pistorius, Innenministerin Nancy Faeser und Arbeitsminister Hubertus Heil, Lars Klingbeil und Ihnen von der Parteispitze… 2020 ging ja durch die Medien, dass Sie ihr Profilbild auf Twitter, heute X, durch eine simpsons-ähnliche Karikatur ihrer Person ersetzt hatten: Wie kam es dazu? Und: Sind Sie eigentlich Simpsons- und Matt Groening-Fan? Wenn ja, wie wurden Sie dazu? Was fasziniert Sie an den Simpsons, woher kommt ihr Faible für die skurrile Matt Groening-Serie?
SASKIA ESKEN: Mein Profilbild habe ich von einem Jungliberalen, der sich bei Twitter der Challenge gestellt hat, mich im Simpsons-Style zu porträtieren. Als ich das Ergebnis gesehen habe, war ich begeistert und habe ihn gebeten, es mir zu verkaufen.
COMICOSKOP: Das klingt wie eine erfolgreiche sozialliberale Kooperation - ein JuLi hilft einer Sozialdemokratin... Die Simpsons sind ja eine scheinbar ganz normale Familie, eine grotesk gezeichnete Satire um eine dysfunktionale US-Familie in einer fiktiven Kleinstadt namens Springfield. Homer, Mitarbeiter eines Atomkraftwerks, und Hausfrau Marge haben drei Kinder: den frechen Flegel Bart, die schlaue Lisa und Baby Maggie. Würden Sie zustimmen, dass die Simpsons dem neoliberalen Amerika der 1980er und 1990er den Spiegel vorhält, die neoliberale Gesellschaft durch den Kakao zieht? Kennen Sie auch Groenings Vorgänger-Serie "Life is Hell"....?
SASKIA ESKEN: Die Simpsons haben mich mit ihrer subtilen, geradezu subversiven Form der Gesellschaftskritik schon immer fasziniert. Es ist so viel leichter, mit Comics Geschichten zu erzählen, Banalitäten bloßzustellen und die Verhältnisse zu kritisieren, als wenn man in der Politik tätig ist.
COMICOSKOP: Mögen Sie eigentlich auch die gezeichneten Cartoons von Loriot, der ja in den 1950ern sogar einen Comic namens Reinhold das Nashorn für den STERN zeichnete?
SASKIA ESKEN: Loriot hat mich mit seinem Gesamtwerk, mit den gezeichneten und den gespielten Geschichten, mit all diesen zeitlosen, schnörkellosen und mal sehr feinsinnigen, mal geradezu groben Skizzen alles Menschlichen sehr geprägt. Er fehlt.
COMICOSKOP: Lesen Sie denn als politischer Mensch auch politische Comics?
SASKIA ESKEN: Aber ja! In meinen politischen Jugendjahren haben die Comix von Gerhard Seyfried oder F.K. Waechter, später auch von Marie Marcks oder Ralf König für viel Vergnügen gesorgt und ich war auch begeisterte Leserin der Titanic. MAUS von Art Spiegelman war der erste "ernste" Comic, die erste Graphic Novel, die mir begegnet ist; als Informatikerin hat mich "Logicomix" des griechischen Autoren-Duos Apostolos Dixiadis und Christos H. Papadimitriou sehr beeindruckt. Die letzte Graphic Novel, die ich gelesen habe, war "Glauben Sie an die Wahrheit" von Doan Bui und Leslie Plée - ein aufklärerisches Werk über den Charakter, die Entstehung und die Macht von Fake News.
COMICOSKOP: Sieh einer an, wir sind tief beeindruckt, Sie entpuppen sich ja als eine profunde Comic-Kennerin, wer hätte das gedacht, wir sind positiv überrascht... Deutschlands wichtigster Comic-Preis, der Erlanger Max-und-Moritz-Preis fürs Lebenswerk, ging in diesem Jahr an den französischen Zeichner Joann Sfar („Die Katze des Rabbiners“), der mit seinen Werken klar gegen Judenhass Position bezieht. Wie finden Sie das?
SASKIA ESKEN: Das ist eine tolle Auszeichnung und sie zeigt, dass die Comic-Kultur sich mit den drängenden Fragen unserer Zeit auseinandersetzt.
COMICOSKOP: 1988 war die Max-und-Moritz-Preisträgerin Franziska Becker, die 2024 ihren 75.Geburtstag feiert, noch ein Unikum, ziemlich allein auf weiter Flur... jetzt gibt es eine regelrechte Welle an Qualitätscomics - gezeichnet von Frauen, allen voran Barbara Yelin, Isabel Kreitz oder Anke Feuchtenberger, Ulli Lust, Anna Haifisch und Birgit Weyhe, aber auch Olivia Vieweg… wie sehen Sie diese Entwicklung der deutschen Comic-Szene?
SASKIA ESKEN: Frauen sind und waren schon immer zu allem fähig. Jetzt endlich bestehen wir darauf, mit unserem Können auch gesehen, respektiert und gefördert zu werden und vermarkten uns notfalls selbst. Frauen erobern die wirtschaftlichen, die politischen, die wissenschaftlichen, die technischen Berufe und Führungsetagen ... warum sollten wir nicht auch herausragend schreiben, zeichnen und Erfolge in Kabarett und Comedy feiern können?
COMICOSKOP: Es gibt Pläne, in Erlangen, der Comic-Hauptstadt der Republik, nach dem Vorbild des Centre National de la Bande Dessinée et de l'Image (C.N.B.D.I.) im französischen Angoulême, einst von Präsident Mitterand und seinem Kulturminister Jack Lang initiiert, ein Deutsches Comic-Museum zu etablieren. Wie stehen Sie dazu – und würden Sie diese Idee denn unterstützen?
SASKIA ESKEN: Ich werde es jedenfalls nicht versäumen, mich bei meinem nächsten Besuch in Erlangen nach diesen Plänen zu erkundigen...
COMICOSKOP: Das freut uns, Erlangens Oberbürgermeister Florian Janik (SPD) kann sicher jede Form der aktiven Unterstützung, auch und gerade von der Bundesebene, gebrauchen, um diese ambitionierte Herkulesaufgabe spätestens bis 2034, zum 50-jährigen des Erlanger Comic-Salons, in trockene Tücher zu bringen... Liebe Frau Esken, herzlichen Dank für das schöne Gespräch.