Die Kalaschnikoff-Kugeln des 7. Januar 2015 haben Frankreich mitten ins Herz getroffen.
Der Terroranschlag tötete zwei der berühmtesten französischen Star-Comic-Zeichner - Cabu und Georges Wolinski. Generationen von Französinnen und Franzosen sind mit den beiden Giganten der frankobelgischen Bande Dessinée aufgewachsen. Cabu, der hier in Deutschland kaum bekannt ist, hat in Frankreich eine ähnlichen Stellenwert wie bei uns Loriot und Dieter Hildebrandt auf einmal. Beide - Cabu und
Wolinski - waren erstklassige
Die Titelseite der französischen Tageszeitung Libération, Januar 2015 (c) Libération
politische Comic-Satiriker von Rang: Will man begreifen, wer da am Mittwoch, 7. Januar 2015 im 11. Pariser Arrondisement ermordet wurde, möge sich klarmachen, dass gerade ein Cabu eine Art satirisches Gewissen der Nation war. Er nahm einen Rang ein, wie ehedem in Westdeutschland der Schriftsteller Heinrich Böll, als moralisches Gewissen der Nation. Cabu nahm in seinen Comics Spießertum, Rassismus, Engstirnigkeit und Verabsolutierung von Religion aufs Korn. Er hat mit seinen Comic-Klassikern "Grande Dedouche" und "Mon Boeuf" nicht nur Comic-Geschichte geschrieben, sondern er war der in Frankreich hoch angesehene Till Eulenspiegel der Grande Nation. Von der Bedeutung für Frankreich noch wichtiger als der bei uns zumindest sporadisch publizierte Wolinski.
Beim Republikanischen Trauermarsch in Paris vom 11. Januar 2015, der anderthalb Millionen Menschen auf die Beine brachte, standen Plakate zu lesen mit der Aufschrift: "Cabu au panthéon" (dt. Cabu ins Pantheon).
Cabu hätte dieses Ansinnen, so radikal-anarcho-libertär er war, künftig neben Napoleon Bonaparte und de Gaulle seine letzte Ruhe zu finden, brüsk abgelehnt. Aber die von der Lebensgefährtin des ebenfalls ermordeten Charlie Hebdo-Chefredakteurs erhobene Forderung zeigt nur eins: Welchen Stellenwert dieser Cabu in Frankreich genießt. Georges Wolinski hingegen war der Doyen, der Nestor der sexuellen Revolution im Comic - und als er selbst Chefredakteur von "Charlie Mensuel" war, ein großer Förderer der Neunten Kunst.
Stell Dir vor, in Frankreich werden berühmte Comic-Zeichner ermordet - und keiner in den bundesweiten deutschen Fernseh- und Zeitungsredaktionen merkt's: Auch Tage nach dem Mordanschlag, nachdem mit erheblicher Verspätung - das COMICOSKOP war das erste deutschsprachige Medium, das auf diesen Aspekt der ermordeten Comic-Künstler hinwies - zumindest Teile des deutschen Feuilletons die falsche Berichterstattung korrigierten (FAZ, Berliner Zeitung, Tagesspiegel), wird weiter munter insbesondere auf der Mattscheibe in den sogenannten Leitmedien vor einem Millionenpublikum von ermordeten "Journalisten" fabuliert. Zuletzt tat dies Ulrich Deppendorf in der ARD, als er nach dem Pariser Trauermarsch von den "großartigen Journalisten von Charlie Hebdo" sprach. Cabu, Wolinski - großartige Journalisten? Unfug! Großartige Comic-Satiriker waren Sie, Comic-Künstler par excellence, Meister des grafischen Erzählens...
Die Medien-Berichterstattung in Deutschland über den Mord und die Macher läßt tief blicken: Offenbar es doch einen kulturell noch immer GROSSEN GRABEN (um Asterix zu zitieren) zwischen der europäischen Hochburg des grafischen Erzählens Frankreich/Belgien einerseits und dem germanischen Tal der Ahnungslosen jenseits des Rheins. Dabei hätte diese schludrig-schlampige und letzten Endes irreführende Berichterstattung nicht sein müssen. Der Blick ins Internet kann da wahre Wunder helfen.
Es gilt zu verstehen, dass Cabu in Frankreich längst - und dies schon zu Lebzeiten - im Pantheon des kollektiven Gedächtnisses Frankreichs weilte - er muss da nicht mehr hin, er war (in einem virtuellen Sinne) schon lange da. Das Gleiche gilt auch für den nicht minder grandiosen Comic-Künstler Georges Wolinski, der nicht 2015, wie die "Süddeutsche" irrig auf Seite 3 (!) schrieb, seinen 80. hätte begehen sollen, sondern bereits letztes Jahr, 2014 80. Geburtstag feierte (nachzulesen z.B. seit Anfang Januar im großen 2014er Jahresrückblick der Comic-Jubiläen auf COMICOSKOP).
Man stelle sich vor: ARD und ZDF hätte nicht unentwegt von getöteten "Journalisten" gesprochen, die da brutal ermordet wurden, sondern von begnadeten Comic-Zeichnern - noch dazu politisch-satirischen, mit einem erwachsenen (!) Leserinnen- und Leserpublikum! Das hätte eine Kulturrevolution bedeutet... Ups, Comic ist ja mehr als "Fix und Foxi"!
Die Art und Weise der deutschen Berichterstattung über die Ereignisse in Frankreich lässt tief blicken: Sie offenbart erschreckende Unkenntnis über die Bedeutung der Comic-Kultur für unsere französischen Nachbarn und sie läßt erkennen, wie gering der Stellenwert von Comic-Künstlern - an Frankreich gemessen - demgegenüber in Deutschland noch immer ist.
Daniel Cohn-Bendit hat Recht: Charlie Hebdo darf nicht sterben! Das Magazin muss nicht nur um seiner selbst willen weiter erscheinen, sondern um unserer Demokratie, der Presse- und Meinungsfreiheit willen. Und nicht zuletzt: Für das Grundrecht, andere durch den Kakao zu ziehen, ohne dafür totgeschlagen oder niedergemacht zu werden. Es ist tief in der französische Mentalität verankert: Sich über sich selber lustig zu machen, die Kunst, über sich selber zu lachen (und eben nicht nur, wie hierzulande, üblich schadenfroh über Andere). Der radikalliberale, radikaldemokratische Satire-Humor von Charlie Hebdo, Le Canard Echainé oder Siné Mensuel, der Ur-Enkel Honoré Daumiers, Charles Philipons und Caran d'Aches richtete sich traditionell gegen ALLE Religionen - ohne Ausnahme. Dieses radikaldemokratische Moment, dieser Anarcho-Ansatz des "Keine Macht für niemand!" (auch für keine Religionsfanatiker) - übrigens der entscheidende Unterschied zum Fall der rechtskonservativen, schon immer notorisch islamophoben dänischen Jyllands-Posten, deren Mohammed-Karikaturen nur gegen EINE Religion zielten - ist am 7. Januar 2015 mitten ins Herz getroffen worden.Es ist schon tragisch, dass der ermordete Chefredakteur Stéphane Charbonnier („Charb“) nun posthum mit einem Buch gegen Islamophobie erscheint.
Der Mordanschlag des 7. Januars 2015 berührte das laizistische Selbstverständnis der Französinnen und Franzosen: Staat und Religion müssen in einer demokratischen Gesellschaft getrennte Sphäre sein. Traf ein Land, indem politische Comic-Satire wesentlicher Teil der vierten Gewalt im Montesquieuschen Sinne der Gewaltenteilung darstellt. Charlie Hebdo & Co erfüllen Washington Post-Funktion. So ist kein Zufall, dass Christophe Blains brillante Polit-Comicsatire "Quai d'Orsay" eine ähnliche Wirkung in Frankreich hatte wie die Berichterstattung jener US-Zeitung über die Nixon-Watergate-Affäre.
Politische Comic-Satire in Frankreich erfüllt traditionell seit Honoré Daumiers Zeiten die Aufgabe des Emile Zola'schen J'accuse" (Ich klage an!), der unabdingbaren Kontrolle der Mächtigen - und zwar ganz egal, welcher parteipolitischen (oder religiös-politischen) Couleur.
Die linksliberale Tageszeitung "Libération" sprach dieser Tage von "humour du risque", vom Risiko des Humors. Man könnte auch sagen: Comic-Satiren seien in diesen Zeiten lebensgefährlich.
Aber, um es klar zu sagen: Auch in Zeiten der Risikogesellschaft (Ulrich Beck) muss das Recht auf Satire unter allen Umständen verteidigt werden. Es geht im Kern um den Fortbestand der liberalen Demokratie. Die gilt es gegen Fundamentalisten zu schützen - gegen Radikalislamisten genauso wie gegen Pegida-Rechtspopulisten. Deshalb: Charlie Hebdo muss weitererscheinen, Charlie Hebdo darf nicht sterben. Es geht eigentlich um das berühmte Toleranz-Credo Voltaires: "Ich bin nicht einverstanden mit dem, was Sie sagen, aber ich würde bis zum Äußersten dafür kämpfen, daß sie es sagen dürfen."
Deswegen muss Charlie Hebdo weiterleben. Das sind wir Cabu, Georges Wolinski und all den anderen Mordopfern schuldig.
(c) Charlie Hebdo