Seit 32 Jahren gibt es ihn nun schon, den Internationalen Comic-Salon in der fränkischen Hugenotten-, Universitäts- und Kulturstadt Erlangen: Nach wie vor gilt dieses Festival als das mit Abstand wichtigste Comic-Ereignis des Jahres im deutschsprachigen Raum.
Aber dieser Status währt nicht ewig, wenn man keine strategischen Weichenstellungen vornimmt. Erlangen ist -um mit Enki Bilal zu reden - keine Messe der Unsterblichen. Merke: Die Festivalkonkurrenz schläft nicht. Egal, ob Berlin, München oder Hamburg, es gibt genügend Hinweise dafür, dass
Martin Frenzel, COMICOSKOP-Gründer, -Herausgeber & -Chefredakteur
etliche Mitspieler perspektisch am angestammten der bundesdeutschen Festival-Nummer Eins im Fränkischen rütteln könnten (und werden).
Berliner Pläne, ein Deutsches Comic-Museum in der Hauptstadt zu etablieren, sind, objektiv gesehen, eine Kampfansage an Erlangen, sind der Versuch, die Karten der Comic-Rangordnung in deutschen Landen neu zu mischen.
Auch München zieht immer mit Erlangen gleich, hat sich mächtig gemausert.
An den Versuch in Hamburg, Erlangens Platz im deutschen Comic-Olymp zu erheischen, erinnern wir uns noch gut.
Doch wie könnte eine langfristige, klug angelegte Strategie der notwendigen kulturellen Standortsicherung für Erlangen, die gesamte Metropolregion Erlangen-Nürnberg-Fürth aussehen?
Da lohnt ein Blick über den nationalen Tellerrand: Angoulême, Europas definitive Nummer Eins unter den europäischen Comic-Festivals, erlebte - ähnlich wie Erlangen jetzt - was es bedeutet, wenn plötzlich eine andere Stadt den Festival-Fehdehandschuh wirft.
Zweimal forderte die Alpenmetropole Grenoble die Aquitanien-Zitadellenstadt an der Charente heraus. Hinter dem Projekt Grenoble, das der Autor dieser Zeilen selbst hautnah erlebte, standen bekannte Comic-Größen wie der französische Startexter Greg ("Andy Morgan", "Comanche", "Achille Talon", dt. "Albert Enzian").
Davon redet heute in Angoulême niemand mehr: Der Konkurrenz in Grenoble ging - Gottseidank, wenn man es aus Sicht des Festivals zu Angoulême sieht - die Puste aus.
Was wesentlich dazu beitrag, war eine strategische Weichenstellung mit Weitblick: Die Kulturverantwortlichen schlugen Pflöcke ein, die nur schwer wieder herausreißen zu sein dürften. Es begann mit der Eröffnung des C.N.B.D.I., des Centre National de la Bande de Dessinée et de l'Image (des Nationalen Zentrums für Comic-Kultur und Illustration/Bild) in Angoulême.
Einer vom französischen Star-Architekten Roland Castro im Auftrag des strategisch denkenden Kulturministers Jack Lang umgebauten ehemaligen Bierbrauerei - gelegen am zitadellenartig sich hochschlängelnden Berghang der Stadt an der Charente, in Südwestfrankreich, nicht weit von Bordeaux und nahe der Atlantikküste. Inzwischen hat sich das C.N.B.D.I. sogar zur Comic-Stadtlandschaft (der sog. Cité) gemausert - mit einem ganzen komplex rund ums ganze Jahr geöffneter Comic-Museen und Multimedia-, Forschungs- und Ausbildungsinstitutionen. Jack Langs Credo war und ist vorbildlich: Dezentralisierte Kulturpolitik von unten tut not - weg vom Pariser Kulturzentralismus, Lob der "Provinz", Stärkung der kulturellen Förderung auch und gerade in den Regionen. Lang, der auch Bürgermeister der Comic-Stadt Blois an der Loire ist, hatte sich etwas dabei gedacht: Es ging von Beginn an darum, die Pariser Allgewalt und Über-Dominanz einzudämmen. Motto: Auch in den Regionen gibt es fantastische Kulturangebote.Das C.NB.D.I. heißt jetzt Vaisseau de Moebius... das Ex-C.N.B.D.I. verbindet eine Holzbrücke über die Fluten der Charente mit dem groß angelegten, geräumigen Komplex des Cité-Comicmuseums vis-à-vis auf der gegenüberliegenden Seite. Am Brückenkopf steht, beide Seiten symbolisch miteinander verbindend, Hugo Pratts freiheitsliebender Comic-Held Corto Maltese in Gestalt einer formschönen Statue...
Erlangen wird nur dann auf Dauer die Nummer Eins bleiben (und damit langfristig das eigene Überleben sichern), wenn seine Kulturpolitiker ähnlichen Weitblick beweisen: Erlangen braucht - nach Vorbild Angoulême - ein deutsches Musem für Comic-Kultur.
Aus dem nur zweijährigen Turnus des Comic-Museums auf Zeit (durch die hervorragende Comic-Biennale des Erlanger Salons) würde schlagartig eine dauerhafte, unverückbare Grund feste Comic-Institution. Ein deutsches Comic-Museum für Erlangen wäre (noch) ein Unikum. Wenn, ja, wenn die Erlanger rasch aus ihrem jahrelangen Dornröschenschlaf erwacht.
In einem solchen Museum könnte eine feste Dauerausstellung zur Deutschen Comic-Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert - von Ahnvater Wilhelm Busch und der deutschen Bildtradition des "Simplicissimus" über e.o.plauens "Vater und Sohn" bis zur Generation Reinhard Kleist, Isabel Kreitz, Ulli Lust und Barbara Yelin, Flix, Mawil und Birgit Weyhe - ihren Platz finden. Daneben sollte Raum sein für deutsche und auch internationale Wechsel-und spezielle Themenausstellungen. Werkausstellungen / Nahaufnahmen einzelner deutscher Comic-Künstlerinnen und Comic-Künstler inklusive...
Und es könnte ein Archiv, eine multimediale Comic-Bibliothek, ja, sogar eine Erlanger Comic-Akademie daran angedockt werden. In Kooperation mit der Erlanger Universität könnte ein Lehrstuhl für deutsche Comicforschung dort seinen Platz finden.
Sponsoren könnte diesen Plan finanzieren helfen - von der Datev bis zu Siemens, von Bundes-, Landes- bis zu EU-Mitteln. Das Erika-Fuchs-Haus in Schwarzenbach hat es vorgemacht. Die Erlanger sollte nicht warten, bis Berlin sein Comic-Museum wahrmacht. Dann würde aus der Jahrhundertchance ganz schnell ein Jahrhundertfiasko. Von Mark Twain stammt der kluge Satz:"Eine Idee gilt solange als verrückt, bis sie sich durchgesetzt hat."
Ein solches Deutsches Comic-Museum gibt es in dieser Breite noch nirgendwo. Weder das Hannoveraner Wilhelm Busch-Museum noch das Caricatura-Museum für Komische Kunst in Frankfurt am Main, geschweige denn das Erika Fuchs-Haus in Schwarzenbach an der Saale sind von der Konzeption her Einrichtungen, die diese umfassende Rolle übernehmen könnten.
Doch Berlin steht in den Startlöchern, schart schon kräftig mit den Hufen... AUFWACHEN, ERLANGEN, aufwachen, ehe es ZU SPÄT ist!
In diesem Sinne sollte das strategische Zukunftsprojekt Deutsches Comic-Museum für Erlangen nicht länger auf die lange Bank geschoben werden.
Erlangen hat eine Chance, aber das setzt voraus, sie zeitnah im Wege eines kurz-, mittel- und langfristig angelegten Stufenplans in die Tat umzusetzen.
Die Gründung eines lokalen und bundesweit vernetzten Fördervereins Deutsches Comic-Museum für Erlangen e.V. mit prominenten Fürsprechern aus der bundesdeutschen Comic-Szene (und darüber hinaus) und lokalen Honoratioren der Erlanger Stadtgesellschaft könnte dabei helfen.
MERKE: Von Angoulême lernen, heißt für Erlangen am Ende des Tages siegen lernen.
Noch ist ein schöner, tollkühn klingender Traum: Aber wie wäre die Vorstellung, dass der Erlanger Oberbürgermeister Dr. Florian Janik 2022 zum 20. Comic-Salon zugleich das erste Deutsche Comic-Museum eröffnete? (Janik wäre dann übrigens 42 Jahre alt.)
ERLANGEN braucht ein Deutsches Comic-Museum, das Deutsche Comic-Museum braucht Erlangen: Es wäre eine kultur- und standortpolitische Win-Win-Situation für BEIDE Seiten. Mehr noch: Eine Zukunftsinvestition in den Comic-Standort Erlangen - mit Augenmaß, Weitblick und Sinn für strategisches Denken. Ein solches Projekt sollte Chefsache sein: Oberbürgermeister Dr. Florian Janik, bitte übernehmen Sie! Die Zukunft hat schon begonnen...
Martin Frenzel
PS: Angoulême hat seinen Corto Maltese, warum nicht eine Doppel-Statue mit Erich Ohsers / e.o.plauens "Vater und Sohn" direkt vorm Eingang des Deutsches Comic-Museums in Erlangen?