Geschichte und Graphic Novel sind stark miteinander verwoben, schon seit den ersten Auftritten dieses Comic-Genres in den USA der 1970er Jahre: Die berühmte Holocaust-„Metapher“ (oder gar „Parodie“?!) „Maus“ von Art Spiegelman („im Stil der Underground-Comics“) z.B. erschien bereits ab Anfang der 1980er Jahre
Cover: (c) Carlsen Verlag, Hamburg
im Magazin RAW, „Here“ von Richard McGuire (gerade neu auf Deutsch erschienen, von mir hier auf COMICOSKOP rezensiert) 1989 ebendort. Und seit 2004 erscheint auch Jason Lutes' vielbeachtete Saga „Berlin“ bei Carlsen auf Deutsch, das das Aufziehen des Nazi-Regimes am Erleben agierender Personen darstellt, mitten in Berlin.
Dies ist der zweite Band der 1998 begonnenen Trilogie (Juni 1929-August 1930, nach „Berlin – steinerne Stadt“, September 1928-1.Mai 1929) des 1967 in New Jersey geborenen US-Amerikaners, zu dem der dritte auf Deutsch voraussichtlich Mitte 2016 erscheinen wird (bis zur Machtübertragung an Hitler und die Nazis 1933): Die Hauptfiguren Marthe Müller (Zeichnerin) und Kurt Severing (Journalist) sind inzwischen (oder zumindest zwischenzeitlich) ein Paar.
Die Zugereiste hat sich zwar in Berlin eingelebt, ohne sich wirklich heimisch zu fühlen. Dennoch lehnt sie die Rückkehr in elterliche Gefilde ab, worum ihre Mutter sie tränenreich bittet: Der Vater hat in der Finanzkrise 1929 alles verloren – deshalb gibt es auch kein Geld mehr für Marthe. Obwohl, sie hätte eh keine Zuwendungen mehr erhalten, da sie ihr Kunst-Studium aufgegeben hat …
Was alles hat sie inzwischen erlebt: Gegensätze von Bürgertum und Arbeiterschaft, Antisemitismus, Straßenkämpfe kommunistischer Gruppen mit der Staatsgewalt – und dann mit immer stärker werdenden braunen Brigaden der SA.
Leichte Lebensart mit ihren Mitstudierenden, Wiedertreffen mit dem „Zug-Begleiter“ Kurt bei einer Party, Job-Versuch nach Aufgabe des Studiums: „Eindringlich, detailliert und historisch fundiert erzählt Lutes von den Ereignissen am Vorabend (der NS-Diktatur). Die Kämpfe zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten werden heftiger, und die Stadt gleicht einem Pulverfass. Das Nachtleben Berlins bietet viele Möglichkeiten, die bittere Realität wenigstens zeitweise zu vergessen. Die amerikanische Jazzband Cocoa Kids wird für eine Weile einer der hellsten Sterne an Berlins Nachthimmel, doch die farbigen Musiker haben keinen leichten Stand...“.
Marthe verlässt Kurt, um mit Anne zusammenzuziehen, nachdem sie deren Begehren nachgegeben
hat, ist mit ihm in Interview-Projekten jedoch weiter unterwegs, die sie zeichnerisch begleitet, etwa fürs Aufarbeiten der tödlichen Schüsse bei der 1929er Berliner Blut-Mai-Demonstration linker
Gruppen, abgegeben von der Polizei. Die Schicksale diverser Menschen dort kehren im Laufe der Kapitel immer wieder, wie auch jene der Kollegen von Severing, inkl. seinem Chefredakteur –
Claus von Ossietzky, der laufend im Visier staatlicher Überwacher steht …die legendäre "Weltbühne" lässt grüßen!
Sehr pointierend der Federstrich von Jason Lutes (ganz im Stil von Hergé und Vittorio Giardino), exzellent sein Spiel mit Panel-Formaten und –Anzahl sowie intensiverer (Schwarz-)“Färbung“, so etwa mit Blick auf die geschilderte Party-Atmosphäre, die Marthes Erleben (mit Frivolität, Alkohol und Drogen) widerspiegelt. Differenzierend wird auch Schrift eingesetzt, sei es die Art (kursiv) oder die Platzierung (Gedanken in Kästen, durchaus auch mehrere innerhalb eines Panels).
Fazit: Künstlerisch wie inhaltlich höchst wertvoll! Da gilt es, Band 3 entgegen zu fiebern… - Auch die deutsche Gesellschaft für Comicforschung hat ihre 2015er thematische ComFor-Herbsttagung unter eben dieses Thema gestellt: Geschichte in Comics – Geschichte der Comics.
(c) Richard McGuire & Dumont Verlag Köln
Wow, das ist mal eine Graphic Novel: L'Art pour´l art!!
Den Rahmen bildet gleich bleibend ein bestimmter Raum-Ausschnitt, der sich im zeitlichen Verlauf ändert: Sei es die Einrichtung, seien es die dort hausenden Menschen. Und darüber hinaus auch seine Existenz als Teil eines Hauses, das vor gut einem Jahrhundert erbaut worden ist, wie die Lektüre (Betrachtung …) entdecken lässt.
In der Zeit davor war´s ein Stück Wald, von Indianern genutzt,dann auch von den Neu-Einwohnern. Noch davor … bis in die Entstehungszeit der Erde nimmt McGuire uns mit, und dann auch in die nahe Zukunft,
(c) Cover: Dumont Verlag Köln
d.h. einige 1000 Jahre immerhin dorthin. Manche Sequenzen nimmt er später wieder auf, teils „fließen“ sie ineinander, mit darüber gelegten „Panels im Panel“, der Basis-Eindruck immer als Doppelseite belassen, mit identischer Perspektive.
Manche Panels stehen für sich, andere bilden über mehrere (Doppel-)Seitenhinweg einen Strip: „So zeigt er, dass es den Lauf der Dinge wenig interessiert, ob an einer bestimmten Stelle ein Saurier oder ein Mensch, ein Baum oder ein Haus steht."
In der nur sechs Seiten umfassenden schwarz-weißen Comic-Erzählung HERE , die 1989 im legendären, von Art Spiegelman gegründeten »RAW«-Magazin veröffentlicht wurde, brach Richard McGuire mit bis dahin ungekannter Innovationskraft die Einheit von Zeit, Ort und Handlung auf, schachtelte die Bilder ineinander und ließ die sequenzielle Abfolge der Handlung auf höchst produktive Weise kollabieren.
Das Leben eines Menschen konnte so auf wenige, Gänsehaut erzeugende Bilder zusammenschnurren.
Etwas Vergleichbares hatte es vorher (und hat es auch danach) nicht gegeben.
Zum 25-jährigen Jubiläum des Erscheinens arbeitet McGuire seinen kultisch verehrten Comic nun in eine farbige, wunderbar ausgestattete Graphic Novel um.
"Die Neugeburt eines Klassikers HIER und jetzt.“ So der Verlagstext, womit die Geschichte dieser Geschichte aus der „Vor-Graphic-Novel“-Zeit gleich konzis zusammen gefasst ist. So sind aus den ursprünglich sechs Seiten deren volle 300 geworden, wie ich der Bibliografie entnehme: Anstelle Seitenzahlen gibt es im Buch nämlich „nur“ die jeweiligen Jahreszahlen, singulär oben links in der Ecke, oder auch mehrfach, je nach Layout.
Das erwähnte „Kollabieren“ gestaltet sich pulsierend, d.h. es gibt auch die Variante, dass gleichartige Szenen (jemand sucht einen Gegenstand z.B.) aus verschiedenen Zeiten in ein „Panel“zusammen fließen – um sich dann teils wieder zu entzerren. Dazu gehört, dass (fast) am Anfang im Jahr 1957 eine entsprechend gekleidete Frau sich fragt (in einer der raren Sprechblasen gefasst): „Hm … was wollte ich noch gleich hier?“.
Was sie erneut darf, kurz vor Ende, durch mehrere Panels hindurch, um schließlich zuletzt zum Buch zu greifen: „… jetzt fällt es mir ein.“
Schön mehrdeutig, als Geschichte in der Geschichte … Und bevor Sie sich Gleiches fragen, greifen Sie, liebe COMICOSKOP-Leserinnen und Leser, gleich zum Buch, zu diesem! … HPR
(c) Richard McGuire & Dumont Verlag Köln
HIER. Richard McGuire,
DuMont Verlag, Köln 2015
ISBN 978-3-8321-9762-9,
ASIN 3832197621
Richard McGuire / Foto:(c) Dumont Verlag Köln
Hier haben sich der Sohn des bestens bekannten Wiener Kabarettisten Helmut Qualtinger und ein weiterer renommierter Karikaturist zusammen getan, aufgrund der Texte des „alten“ Qualtinger und seines Partners Carl Merz ins Bildliche zu übersetzen.
D.h. was Sie evt. teils schon ? original bzw. ? im Fernsehen in Bewegtbild erlebt
haben mögen, finden Sie hier in flächigem Schwarzweiß, Farbe eingesprengselt, viel Text „drunter und drüber“, selten in klassischer Sprechblase, häufig mehrere Gedanken innerhalb eines
(ganzseitigen) Panelvereint,
Cover: (c) Amalthea Verlag
Qualtinger-Karl viel auftretend, wie es ihm als Geschichten-„Erzähler“ ja zukam und auch hier zukommt. Kennen Sie ihn denn überhaupt? Wenn nicht, wird es Zeit: " 'Der Herr Karl wollte einem bestimmten Typus auf die Zehen treten und ein ganzesVolk schreit 'Au'", beschrieb Hans Weigel den Sturm der Entrüstung, den die ORF-Ausstrahlung mit Helmut Qualtinger 1961 auslöste.
Inzwischen ist "Der Herr Karl", gespielt von unzähligen namhaften Schauspielern, längst zum Klassiker geworden. Der kleinbürgerliche Opportunist erzählt seine Lebensgeschichte als Monolog: vom Ende des Ersten Weltkrieges, über Ständestaat und Nationalsozialismus bis in die 1950er-Jahre und zum Ende der Besatzungszeit.
Die »Schreckensfigur« wurde nun von Helmut Qualtingers Sohn Christian als Comicbuch grafisch umgesetzt, in Bilder voller schaurig schöner Unmittelbarkeit.“
Ein exzellentes Beispiel für Comicasten, wie sich Verbales und Nonverbales (aus Bewegtbild) ins scheinbar Zweidimensionale durchaus erlebbar übertragen lässt … Viel Vergnügen damit – und: Zeit zum Nachdenken darüber, das wünsche ich allen COMICOSKOP-Leserinnen und -Lesern! HPR
Klar, dass in jenem Jahr 2014, in dem Finnland Gast der
Frankfurter Buchmesse war, vermehrt finnische Literatur als deutsche Übersetzung erschienen ist, darunter auch: Comics. Panini ist dem auch gefolgt und hat eine exzellente Graphic Novel heraus gebracht, geschrieben und gezeichnet von „Ur-Finnen“, von denen in der Heimat schon diverse Strips und Geschichten erschienen sind. Fantastisch an dieser ist, wie dem Leser das starke Wirken von Musik nahe gebracht wird, in einem eigentlich ja aufs Visuelle fixierten Medium – was mit eben diesen beiden zu tun hat:
Cover: (c) Panini
„Perkeros ist eine mitreißende Geschichte von der Wucht eines Doubleblass-Solos, gewürzt mit einer satten Prise Okkultismus und Geheimnissen aus den Ursprüngen des Rock, entstanden aus dem Zusammenklang zweier Musikerseelen mit einem Faible für die Kombination von Akustisch-Visuellem.“ (U4) – yeah! Immerhin kennen die beiden einander von
Kindesbeinen an, aus der ersten Schulklasse. (Was mich an frühe Comic-Projekte eines Mitschülers von mir und meiner Wenigkeit erinnert, die leider verschollen sind: Immerhin spielen wir beide heute noch Skat, mit einem dritten Schulfreund zusammen …) Und „natürlich“ kommen Drogen ins Spiel und diverse Beziehungs-Geschichten, wie sollte es anders sein?! Dass ein Band-Mitglied ein Grizzly-Bär ist, der schon mal schlecht gelaunt daher kommen kann, mit allen
möglichen und unmöglichen Folgen, das passt zu dieser teils recht düsteren Geschichte um Konkurrenzkampf in der Band und das Bestehen „am Markt“ ... 182 Seiten voller wechselhafter Panels in sehr unterschiedlichem Layout, einfach situationsabhängig … HPR
Dieser 320 Seiten starke Prachtband wird vom Verlag IDW vertrieben und ist der dritte einer Reihe von Ausstellungskatalogen (die beiden vorherigen waren „Wallace Wood: Woodworks“ und „Big John Buscema“).
Ich mach’s kurz: Ich bin begeistert. Russ Heath ist ein Veteran aus den 50er Jahren, der inzwischen wiederentdeckt ist. Das Buch ist wunderschön zusammengestellt und liebevoll editiert von Frédéric Manzano (Édition Déesse, Paris).
(c) Russ Heath und IDW / Edition Déesse Paris
Chronologisch durchläuft FLESH & STEEL die Stationen von Heaths Leben: Seine Horror-, Western- und Kriegscomics für Marvel-Vorläufer Atlas, seine „Sea Devils“ für DC, sein Hauptwerk mit „Haunted Tank“ und „Sgt. Rock“ (ebenfalls DC), sein Jahr in Hugh Hefners Chicagoer „Playboy Mansion“ (wahre Geschichte!), seine umwerfenden Beiträge für die Warren-Magazine, sein „Lone Ranger“-Zeitungsstrip und seine Animationssketche für die TV-Serie „G.I. Joe“.
(c) Russ Heath & DC Comics
Auf zehn kleingedruckten Seiten im Anhang findet sich eine exzellente „Comicographie“ des Heath’schen Schaffens von 1949 bis 2013. Wie schon WOODWORKS zuvor setzt FLESH & STEEL neue Standards für die Präsentation solcher Künstlermonographien. Kristallklare und farbfrische Abbildungen werden ergänzt durch üppige, oft ganzseitige Strecken von „original art“ in Schwarz-Weiß.
Russ Heath (c) Foto Comic Con
Darunter die komplett abgedruckten Klassiker „Secret of the Fort Which Did Not Return“ (aus G.I.COMBAT Nr. 86 von 1961), „The Gold-Plated General“ (aus G.I.COMBAT Nr. 148 von 1971), „The Quiet War“ (aus
OUR ARMY AT WAR Nr. 212 von 1969), „The Vision“ (aus OUR ARMY AT WAR Nr. 247 von 1972), „The Firing Squad“ (aus OUR ARMY AT WAR Nr. 248 von 1972), „Shadow of the Axe!“ (aus CREEPY Nr. 79 von 1976), „Process of Elimination“ (aus CREEPY Nr. 83 von 1976), „Yellow Heat“ (aus VAMPIRELLA Nr. 58 von 1977), „Night of the Yeti“ (aus VAMPIRELLA Nr. 77 von 1979) sowie „Zooner or Later“ (aus VAMPIRELLA
Nr. 78 von 1979).
Die allein lohnen schon den Kauf des immerhin 50 Dollar teuren Werks. Meine Meinung. Ich bin aber auch ein schwärmerischer Narr, wenn es um „original art“ geht. Druck und Farbgebung haben ja meistens die Vision der Künstler ruiniert. Deshalb geht mir das Herz auf, wenn ich einen Meisterillustrator wie Russ Heath in dieser herrlichen Werkschau bestaunen
darf.
TIC
Roy Thomas, Josh Baker (Hg.). Hardcover, 712 Seiten, mit Ausklapper und 1,20 m langer Zeitleiste als Einleger, dazu die übersetzten Begleittexte als Beiheft, mit 136 Seiten selbst ein Buch ... 150 €
Cover: (c) Marvel / TASCHEN
So voluminös diese Bibliografie auch schon klingen mag, es gehört eine Menge mehr dazu, diesem Sumo von TASCHEN gerecht zu werden: 29 x 39,5 cm, alles in allem 7 kg, die vier Bereiche optisch und haptisch jeweils durch eine Doppelseite mit Metallic-Drucken eingeleitet, natürlich mit Leseband – und vor allem mit Beleg-Abdrucken auch aus früher Zeit. Adressiert sind somit Sammler, die ihre Stücke in ein Gesamtbild reihen wollen – und Fans, sei es von Marvel insgesamt, sei es bestimmter Charaktere, Zeiten oder Serien.
„Marvel Comics (eigentlich Marvel Enterprises) ist ein US-amerikanischer Comicverlag mit Sitz in New York City. Er zählt zu den weltweit größten Verlagen dieses Genres. Zu den bekannten Titeln zählen Spider-Man, Die Fantastischen Vier (The Fantastic Four), Die Rächer (The Avengers), Hulk, Daredevil, Captain America, Iron Man, Thor, Punisher, Blade, Ghost Rider, wie auch die erfolgreichste amerikanische Comic-Serie der 1990er Jahre: Die X-Men. Viele der Comics wurden in den letzten Jahren verfilmt, weitere Verfilmungen sind derzeit in Produktion und werden in den nächsten Jahren in die Kinos kommen. Nach einer Ankündigung am 31. August 2009 übernahm Disney Marvel Entertainment für 4 Mrd. Dollar.“ So lapidar klingt das bei Wikipedia – und wie viel mehr kann einer dazu sagen, der selbst jahrelang die Geschicke von Marvel mitbestimmt hat. Roy Thomas ist „der“ Insider: Von 1965-80 arbeitete er als Redakteur bei Marvel (1972-74 als Chefredakteur) und war Autor für diverse Reihen, darunter „Avengers“ und „The Incredible Hulk“ sowie „Star Wars“. Er ist Herausgeber des Comic-Fachblatts Alter Ego und mit zwei Tarzan-Comics im Internet präsent.
Josh Baker hat für TASCHEN diesen Sumo-Band besorgt wie vorher bereits jenen zu CD-Comics, die mit ihren 75 Jahren ein wenig Vorlauf hatten. Mögen dort auch einige Innovationen des Comic-Markts gelungen sein, darunter Superman, so ist es letztlich Marvel als Verlag, der nach mehrfachen Turnarounds auch immer neue Crossovers schafft, bis hin zu massiven Einflüssen aufs Filmgeschäft in den vergangenen Jahren. Darauf nahm sogar der „Filmdienst“ aus dem Hause KANN in seiner Ausgabe 08/2014 Bezug: „The Marvel Way – In der Welt der Superhelden“, S. 10 – 15.
Abbildung (c) Marvel / TASCHEN: MARVEL TALES Vol. 1, No. 6. Cover; art, J.W. Scott; December
1939
Abbildung: (c) TASCHEN / Marvel © MARVEL/Courtesy TASCHEN Bildunterschrift: THE INCREDIBLE HULK No. 1. Cover detail; pencils, Jack Kirby; inks, attributed Jack Kirby. September 1962.
Dies sind die vier „Zeitalter“, in die Thomas & Baker die Marvel-Chronologie unterteilt haben:
I.Feuer vs. Wasser – ein Kampf bis zum Ende! (Goodmans Goldenes Zeitalter 1939-1950, Finsternis und fernes Licht 1950-1961)
II.Das Marvel-Zeitalter der Comics (Und nichts war mehr wie zuvor! 1961-1964, Noch mehr Marvel-Meisterwerke 1964-1970)
III.Kosmische Welten (Das Marvel-Zeitalter – Phase zwei 1970-1975, Weg mit den Samthandschuhen! 1975-1985)
IV.Das moderne Zeitalter (Zukunft ist Gegenwart 1985-2014)
Die Biografien der handelnden Personen (Verleger, Herausgeber, Chefredakteure, Autoren, Zeichner …) sind anschließend und abschließend zusammen gestellt, alle als gezeichnete Porträts, dem Medium entsprechend.
Leser findet das Auf und Ab von Verlag, Mitarbeitenden und Charakteren, mit Wieder-Auferstehen teils nach langen Jahren. Während zuzeiten des Zweiten Weltkriegs sowie des Korea-Kriegs thematisch passende Figuren und Geschichten ein Hoch erlebten, ob „zuhause“ oder bei den Soldaten „an der Front“, kippte die Stimmung beim Vietnam-Krieg, literaturgeschichtlich durchaus relevant. Markteinflüsse durch Vertriebe, teils als Tochter eines Verlags, Papier-Verfügbarkeit und Comic-Codex werden offenbar. Natürlich durchzieht vor allem das Schicksal der Superhelden in ihren durchaus schon mal sehr kurzfristigen Veränderungen die Marvel-Geschichte. Veränderte Druckverfahren wirken auf die Tätigkeiten von Zeichnern und Tuschern, Rollen der Beiträger (als Redakteur, Autor …) wandeln sich mehr oder weniger rapide. Auch gab es eine Hoch-Zeit mit besonders aufwändigen Metallic-Drucken, die plötzlich Investoren zu Sammler werden ließ – oder besser zu Hortern bestimmter Ausgaben. Wenn diese Zeit auch längst vorbei ist, so gönnt TASCHEN diesem Band doch entsprechende Aufwände Trenn-Kartons zwischen den vier Hauptkapiteln … Ein optisch-haptisches Vergnügen der besonderen Art!
Die Analyse könnte fast wissenschaftlichen Ansprüchen statt halten, ist jedoch erfreulicher Weise – typisch amerikanisch! – sehr auf Storytelling ausgelegt: Thomas plaudert sozusagen aus dem Nähkästchen, mit 1/5 der Gesamtzeit ja wirklich als Insider. Das ist unterhaltsam wie informativ – und natürlich durch aufwändig recherchierte Belege illustriert – der Dank auf der Impressums-Seite geht denn auch an viele Sammler, die Material zur Verfügung gestellt haben. Viele Cover, diverse Entwürfe auch von Innenseiten, komplette Seiten und Teilgeschichten, ein wahres Vergnügen, ein „Comicoskop“ des Marvel-Universums! Wer sich diesen Band gönnt, hat viele Möglichkeiten: In einem Zug durchlesen, original Englisch oder mit der deutschen Übersetzung daneben gelegt. Immer wieder Häppchen genießend, durchaus auch wiederholt die selben. „75 Years of Marvel“ als Handbuch und Nachschlagewerk – oder gar als Quelle für tatsächlich wissenschaftliche Recherche, sonst kaum derart komprimiert an einer Stelle machbar.
© MARVEL/Courtesy TASCHEN Bildunterschrift: TALES OF SUSPENSE No. 94. Interior, “If This Be MODOK!”; script, Stan Lee; pencils, Jack Kirby; inks, Joe Sinnott; October 1967.
Abbildung: (c) TASCHEN / Marvel
© MARVEL/Courtesy TASCHEN Bildunterschrift: THE AVENGERS No. 58. Interior, “Even an Android Can Cry!”; script, Roy
Thomas; pencils, John Buscema; inks, George Klein; November 1968. John Buscema’s splash page recalled the typographic fancies of Will Eisner’s Spirit.
Weitere Details siehe http://www.taschen.com/pages/de/catalogue/popculture/all
/01133/
facts.75_jahre_marvel_von_den_anfaengen_bis_ins_3_jahrtausend.htm.
Oder wie der Verlag selbst auf seiner Website „hämmert“: „Acht Jahrzehnte Marvel – vom Vierfarben-Start-up des Gründungsjahres 1939 über die seligen Heydays der Pop-Kultur in den 1960ern zum Blockbustergaranten des 3. Jahrtausends. Die Geschichte eines Comic-Verlages, der sich immer wieder neu erfunden hat.“
PS: Wie sich die Zeiten ändert und geändert haben, mag auch dies zeigen: In einer halbseitigen Rezension zum Thriller „Passagier 23“ von Sebastian Fitzeck, wochenlang auf der Spiegel-Bestseller-Liste, erinnert der Autor in einer längeren Passage an den Comics-Code der USA – und regt an, einen solchen für Text-Thriller ins Auge zu fassen …
PPS: Die „Sammler-Ecke“ vermeldet das Ende von Super-Abos, u.a. Marvels „IronMan/Hulk“, im Newsletter vom 28.12.2014: Immer wieder auf und ab … Und immerhin findet Interessent dort weitere 27 Angebote von Marvel Deutschland. Auf hummelcomic.de wiederum liefert das Stichwort 249 Treffer, darunter auch den TASCHEN-Sumo, klar. Und auch Zweitausendeins liefert in seinem Merkheft 287 (Januar 2015) den Sumo zum Originalpreis statt in einer seiner sonst üblichen Sonderausgaben, siehe das Umfeld (S. 19) … HPR
TASCHEN
Roy Thomas, Josh Baker (Hg.). Hardcover, 712 Seiten, mit Ausklapper und 1,20 m langer Zeitleiste als Einleger, dazu die übersetzten Begleittexte als Beiheft, mit 136 Seiten selbst ein Buch ... 150 €
© MARVEL/Courtesy TASCHEN Bildunterschrift: MYSTIC No. 3. Cover detail; pencils, Mike Sekowsky and Carl Burgos; inks, unknown; July 1951. In the early 1950s A classic jaws-of-death cover.
Comicoskop-Redakteur Hanspeter Reiter besprach den neuen 75 Marvel-Werkband des Kölner Taschen Verlags.