Unser Mitglied der COMICOSKOP-Autorenredaktion, der Kölner
Comicfachmann Tillmann Courth (*1963) ist ein echter Comic-Snob. Und nicht zuletzt ein Kind der Generation "ZACK". Die Comiclektüre seiner Jugend prägte sich durch TIM UND STRUPPI, ASTERIX, LUCKY LUKE, das deutsche MAD sowie das Anthologiemagazin
ZACK der 1970er! Er verabscheut schlechte Funnies und alle Superheldencomics. Mit 14 paukt er Englisch, um Maurice Horns „The World Encyclopedia of Comics“ verstehen zu können. Mit 15 gründet er einen lokalen Carl-Barks-Fanclub. Mit 16 beschafft er sich aus dem Ausland Klassiker wie den SPIRIT, LITTLE NEMO, KRAZY KAT und EC Comics.
Tillmann sagt: „95 Prozent aller Comics sind ausgemachter Mist oder prätentiöse Grütze.“ Außerdem legt er höchsten Wert auf den literarisch-dramaturgischen Aspekt von Comics – das Skript! Die Schönheit oder der Schauwert von Zeichnungen allein ist für ihn nichts als heiße Luft. Er kann zeitgenössische Produkte nur schwer ertragen, weil er in allem Kopien sieht. Deshalb schaut er lieber zurück. Neugierig blättert er sich erneut durch die Hefte seiner Jugend und fällt streng subjektiv ein aktuelles Urteil. Ab sofort wird Tillmann Courth in seiner neuen COMICOSKOP-Kolume "Der Comic-Snob" regelmäßig wider den Comic-Mainstream und Bildgeschichten-Zeitgeist anschreiben... denn: Der COMICOSKOP-Snob sagt, was Sache ist und redet nicht um den heißen Brei herum..!
Okay, ich hab es getan. Mir die neue Gesamtausgabe von Egmont gekauft. BRUNO BRAZIL hatte ich aus meinen ZACK!-Lesertagen in guter Erinnerung, außerdem mochte ich das herrliche 70er Jahre-Artwork des Zeichners William Vance. Im Großen und Ganzen habe ich diese Auslagen auch nicht bereut. BR
UNO BRAZIL kann man heute noch lesen, es ist ein Klassiker seiner Zeit. Die Geschichten sind realistisch genug, um interessant zu bleiben – und lassen in diesem Realismus auch einige Stammfiguren über die Klinge springen! Das war seinerzeit ein Schock für die
Cover: (c) Egmont Ehapa / Dargaud / Vance
Leserschaft und hat wütende (aber vergebliche) Proteststürme nach sich gezogen. Diese Verweigerung eines „feelgood“-Comics macht BRUNO BRAZIL bis heute speziell.
Die Bücher von Autorengott Greg (schrieb auch ANDY MORGAN, LUC ORIENT und COMANCHE) könnten zuweilen straffer sein und wirken in den Aktionssequenzen oft redundant und beliebig. Ich verzeihe das, weil es sich bei den paramilitärischen Einsätzen des „Kommando Kaiman“ meist um eben nichts weiter als Schießereien geht.
Fazit: BRUNO BRAZIL ist ein Nostalgie-Phänomen. Mich transportieren diese Seiten stilistisch zurück in eine Zeit, in der es noch keine Computergrafiken und Hollywood-Blockbuster gab. Ob heutige Erstleser diesen Stil überhaupt goutieren können… ich habe keine Ahnung.
Randnotiz: Die Aussprache des Zeichnernamens William Vance bleibt ein Rätsel. Man könnte ihn Englisch intonieren („Vänss“) oder Französisch („Wons“). Ich habe den Verdacht, er gehört Niederländisch („Van Zeh“) ausgesprochen. Denn der gute Mann heißt mit bürgerlichem Namen William Van Cutsem und stammt aus dem belgischen Anderlecht.
Parallel zu BRUNO BRAZIL gestaltete Vance mehrere Alben der thematisch ähnlich gelagerten Serie BOB MORANE. Die hat mich aber nie gepackt, da schau ich auch heute noch gerne weg. Vance erblüht nur richtig in BRUNO BRAZIL.
Als Fan der Realwestern BLUEBERRY und COMANCHE konnte ich in meiner Jugend die Konkurrenten BUDDY LONGWAY und JONATHAN CARTLAND nicht leiden. Woran lag’s? Auf dem Comic-Salon fielen mir sechs CARTLAND-Bände fast für gratis vor die Füße, da hab ich meinen inneren Schweinehund überwunden – und nachgelesen. Grafisch ist am Artwork von Michel Blanc-Dumont nichts auszusetzen, ganz im Gegenteil: Es ist prächtig.
Allerdings verdächtige ich ihn, den Stil
(c) Dargaud / Blanc-Dumont/Harlé
seines Kollegen Giraud zu imitieren, der 1974 (zu Beginn von JONATHAN CARTLAND) die besten seiner BLUEBERRY-Alben vorlegt. Blanc-Dumont geht durchaus realistisch und ruppig zu Werke: Nicht gegeizt wird mit Blut und Grausamkeiten. Was in einen Westerncomic gehört, keine Frage, dennoch wirkt die Gewalt in den JONATHAN CARTLAND-Alben schockierender als in anderen Serien.
Mit dem Skript der Texterin Laurence Harlé habe ich weiterhin meine Probleme. JONATHAN CARTLAND kommt mir dramaturgisch zerhackt vor, die Abenteuer entwickeln wenig „Fluss“, zudem fehlt es an Personal, mit dem sich der Leser identifizieren möchte. Alles um den Protagonisten wird weggeschossen, und Cartland selber ist ein fatalistischer, humorloser Einzelgänger, der sein Leben nicht auf die Kette kriegt.
Das Besondere an JONATHAN CARTLAND ist seine Einbeziehung der indianischen Lebenswelten. Das ist der Westerncomic mit dem Indianer-Touch. Band 1 heißt programmatisch „Indianerfreund“.
Autorin Harlé rückt immer wieder „American Natives“ ins Bild, und oft wirkt es für mich so, als nutze er dies, um zu zeigen wie BÖSE der weiße Mann mit den Ureinwohners des Kontinents umspringt. Das hat den Ruch der „political correctness“, und das nervt mich an einem Westerncomic.
Fazit: JONATHAN CARTLAND gehört schon in den Kanon der Westerncomics, aber warm werde ich weder mit der Titelfigur noch mit der ganzen Reihe. So dumm es klingen mag, aber das ist hier der Punkt: JONATHAN CARTLAND ist über weite Strecken deprimierend. Dieser Westen macht keinen Spaß.
Hier nur eine Randnotiz: WASTL ist einer der vergessenen Comics unserer Jugend, und das nicht ganz zu Unrecht. Ich sah einige WASTL-Hefte von Bastei (die übrigens absurd teuer gehandelt werden) auf der Börse liegen und erinnerte mich dunkel: Herrje, Wastl! Die Produkte vom Vandersteen-Fließband. Die hat man nie gelesen, vielleicht mal reingeschaut und als Kuriosum wieder wegsortiert.
WASTL jedenfalls ist dieses sonderbare Semifunny-Abenteuerklimbim um den Muskelprotz mit der
Haartolle und den stets geschlossenen Augen. Das ist so’ne „Naja, okay“-Lektüre, wenn sonst
(c) Bastei Verlag / Studio
Vandersteen
grad nichts zur Hand ist. WASTL-Schöpfer Willy Vandersteen betrieb ein ganzes Comic-Studio und produzierte weitere Serien wie SUSKE + WISKE und den Lassie-Verschnitt BESSY. Gott, Bastei-Heftchen eben!
Aber die Erkenntnis, die mich traf, und die ich hier im COMICOSKOP laut herausposaunen möchte, lautet: WASTL ist ein prominenter Vertreter der „Ligne claire“! Ja, nix, Hergé, Jacobs, Chaland – VANDERSTEEN (und seine Zeichner).
Betrachtet man die Vandersteen-Studios unter diesem Aspekt, so darf man sich auf einen ungeheuren Fundus an zu entdeckender „Ligne claire“-Art freuen! Ich habe das Gefühl, dass man Vandersteen hier gerne unter den Teppich kehrt (oder irre ich mich?). Bitte um Mitteilungen.
In meiner Jugend habe ich alles von LUCKY LUKE gelesen, was ich nur in die Finger bekommen konnte. Ein ganzer Packen von 70er Jahre Alben fliegt noch heute in meinem „Archiv“ herum. Aber seither habe ich nie wieder hineingelesen. Das änderte sich, als mir im Ausverkauf die Bände der 2012er Ehapa „Lucky Luke Edition“ in die Hände fielen.
Zwar schmerzt mich das verkleinerte Format, aber die Aufmachung in fünf Doppelalben ist so hübsch, sauber und liebevoll gestaltet, dass ich nicht
widerstehen konnte. Natürlich handelt es sich ausschließlich um zehn ausgewählte
(c) Egmont Ehapa Media / Morris / Lucky Productions
Werke von Goscinny & Morris (ursprünglich veröffentlicht zwischen 1958 und 1974) – als Comicsnob hätte ich auch nichts anderes angerührt…
Ich hatte ein wenig Angst, Lucky Luke wiederzubegegnen, denn ich dachte: Oh, Vorsicht, schöner Comic deiner Jugend, der kommt dir heute bestimmt fade, abgestanden und peinlich vor. Mitnichten! LUCKY LUKE ist nach wie vor absolut zauberhaft! Allein das erste Dalton-Abenteuer („Vetternwirtschaft“) präsentiert eine wundervolle Mischung aus Humor und Action. Und das 1958, als in den USA die große Stagnation und Verblödung herrscht (ja, das ist polemisch gemeint). Und auch die weiteren Geschichten wie z.B. „Western Circus“ oder „Jesse James“ machen erstaunlich viel Spaß.
Goscinnys Skripte sind locker, aber zielführend, und auch das Artwork von Morris sehe ich heute viel differenzierter. Was für ein hochorigineller, brillanter Strich! Das hat vor oder nach ihm keiner mehr hingezaubert. Die Visagen, die Körperposen, die ganz eigene Dynamik der Morris’schen Bewegungen und physikalischen Abläufe – einfach verblüffend und wundervoll!
Da werde ich wohl noch mal ein paar Alben aus dem Archiv hervorkramen und weiterschmökern. Das macht den Comicsnob glücklich…
Sowas (DC-Einzelheftchen) ist ansonsten nicht meine Lektüre, aber ein engagierter Blog machte mich auf diese Serie aufmerksam (zu meinem Entsetzen existiert diese Webseite nicht mehr, schade, hätte ich sonst liebend gerne verlinkt).
In der Tat können diese Geschichten vom Team John Ostrander (Skript) und Tom Mandrake (Zeichnungen) faszinieren. Vor allem die ersten 12 Hefte (die eine abgeschlossene Miniserie ergeben) sind eine Wucht.
62 Ausgaben sind es dann insgesamt geworden. Vom Rest liegen mir nur
(c) DC Comics
Stichproben vor. Die sind zum Teil ebenfalls beachtlich, können sich aber auch in Americana-Mystery-Quark verlieren.
Der Racheengel SPECTRE ringt mit seinem irdischen Geist Corrigan um den Sinn seiner Mission. Die tief religiöse Serie weicht allen simplen Antworten aus und bindet eine geschickt inszenierte Clique von in sich zerrissenen Nebenfiguren ein: den Cop-Kollegen, die Sozialarbeiterin, diverse Dämonen, den spirituellen Berater, Gangster, Kriegsverbrecher – und den Erzengel Michael.
Ich erkenne Einflüsse der parallel erscheinenden Serien PREACHER und HELLBLAZER. Der 92er SPECTRE ist ein würdiges Mitglied in diesem „Trio infernale“ der „suspense comics“ der 90er Jahre.
Erschütternd finde ich, dass Ostrander & Mandrake völlig in Vergessenheit geraten sind. Ostrander schrieb dann noch MARTIAN MANHUNTER und tonnenweise STAR WARS-Comics. So grausam ist das Comicbusiness. Mandrake war Ostranders Partner beim MANHUNTER, dann kam lange nichts, vor ein paar Jahren noch die kurzlebige Serie SUPERMAN AND BATMAN VS. VAMPIRES AND WEREWOLVES – kein Scheiß! Würg.
Diese Serie von Hermann kenn ich ja noch als DAVID WALKER. Unter diesem Namen kam der erste Band („Die Nacht der Adler“) 1980 als ZACK-Box Nr. 39 auf den Markt (4,20 Mark). Die Auftaktgeschichte mit dem tuntig geschminkten Diktator, der von seinen Zuchtvögeln am Ende zerhackt wird, ist immer noch lesenswert und scheint mir weiterhin die beste der Reihe zu sein.
Gut, ich hab nur fünf Bände gelesen. Bin halt kein Sammler, sondern Gelegenheitsleser. Als ich Student wurde, habe ich auf Jahre mit Comiclektüre aufgehört – und damit Hermanns
(c) Hermann / Planeta d'Agostini
Endzeitepos um David Walker/ Jeremiah und seinen Kumpel Kurdy Malloy komplett verpasst. Kürzlich holte ich mir vier Alben „vom Ramsch“, weil ich ein definitiver Hermann-Fan bin.
Mich kann man ja nachts wecken und fragen „Beste frankobelgische Zeichner aller Zeiten?“ – und ich werde wie aus der Pistole geschossen „Franquin, Giraud, Hermann“ murmeln. Hermann ist für mich ein Grafikgott, sein JEREMIAH-Stil (seit den 80er Jahren) ist eigentlich noch kunstvoller als seine 70er Jahre-Arbeiten an ANDY MORGAN und COMANCHE. Dennoch werde ich mit JEREMIAH nicht so richtig warm.
Das liegt natürlich am fehlenden Autor! ANDY MORGAN und COMANCHE entstammen dem Hirn des unvergleichlichen Greg, bei JEREMIAH wagte sich Hermann solo an die Ausfertigung einer Comicserie. Das ist fast immer ein Fehler. Ich weiß nicht wirklich, worum es in dieser Apokalypse geht. Irgendwelche Leute reiten irgendwo hin, um anderen Leuten ihre kleine Agenda kaputt zu machen. Das ist vollkommen beliebig, bietet verblüffend wenig Spannung – und das Schlimmste: Es kratzt uns nicht.
JEREMIAH plätschert vorüber, ohne groß mein Interesse für irgendwas in diesem Comic (Charaktere, Handlung, Szenerien) wecken zu können. Auch die geschilderte Gewalttätigkeit (der Hermann nie abhold gewesen ist) scheint mir eigenartig zurückgenommen. Hier könnte man doch so schön auf die Pauke hauen. Diese Serie wirkt „gebremst“. Das gibt zwar jede Menge Realismus-Punkte (so langweilig ist die Endzeit, Freunde), aber wer will sowas in einem Comic sehen?!
Die Rede ist hier von Wally Woods Strip-Serie für die Armee-Zeitschrift OVERSEAS WEEKLY, entstanden in den Jahren 1970-73.
Ich hab mir die günstige Hardcover-Querformat-Neuauflage von
(c) Fantagraphics Books 2014
Fantagraphics gegönnt – und bin damit absolut zufrieden. Auf über 260 Seiten entfaltet Wood ein Panorama politisch unkorrekten 70er Jahre-Wahnsinns.
Manche Leser moppern über das Querformat (es hat wohl
frühere Hochformat-Drucke gegeben), was ich nicht verstehen kann.
CANNON ist Häppchenfutter, alle paar Dutzend Seiten geht die Handlung in ein neues Abenteuer über. Halt, Korrektur: Im hinteren Drittel des Bandes zerschneiden sie wirklich Seiten in Hälfte, das ist natürlich sehr unelegant…
Worum geht’s? Rasch beschrieben: John Cannon ist ein
US-amerikanischer Superagent, eine Tötungsmaschine, der sich im Lauf der Jahre mit kommunistischen Infiltratoren, neofaschistischen Diktatoren und paranoiden Hippie-Terroristen herumschlagen muss (kleine Auswahl).
Die Handlung darf man aber bitteschön zu keinem Zeitpunkt ernst nehmen, denn sie ist nur Folie für Woods Darstellung von Waffen, Kriegstechnologie und willigen Weibern!
Ja, Wood packt auf wirklich jede (!) Seite Pin-Up und
Soft-Porno, gepaart mit machistischer Gewalt und Szenerien aus B-Movies.
CANNON ist offensichtlich Unterhaltung „voll auf die Zwölf“, also absolut „drüber“ (over the top) – und insofern nichts für Gutmenschen, Frauenrechtler und Dritte-Welt-Aktivisten.
Trotz dieser hypertrophen Action scheint mir CANNON ein
sehr persönliches Werk zu sein. Ich werde den Eindruck nicht los, dass Wood hier intensive Zwiesprache mit seinen privaten Dämonen hält… denn John Cannon ringt mit Loyalitäten, Verrat, Häutungen seiner Persona, Freundschaften, Opferbereitschaft, Drogen usw.
Ich empfehle CANNON als morgendliche Kaffeelektüre (20
Seiten sind eine Tagesdosis). Ein großer, staunenswerter Spaß! Zählen Sie die nackten Busen der Woodschen Vollweiber!
Zählen Sie die Kugeln, die sich der Protagonist von Einsatz zu Einsatz einfängt! Die abstürzenden Flugzeuge! Die Explosionen! Hammer!
Was für Zeiten, als man so’ne kranke Scheiße noch machen durfte! Ich mag kranke Scheiße, wenn sie gut gemacht ist – und mit einem
Funken Humor präsentiert wird.
Wallace (Wally) Wood:
CANNON.
Fantagraphics Books 2014
288 Seiten
22,95 Euro
Eigentlich ein Verlegenheitskauf, aber da mich dieser kompakt gestaltete Band seiner Horrorelemente wegen ansprach, hab ich zugegriffen – und nichts bereut!
Richard Corben war mir bislang immer fremd geblieben. Als Jugendlicher in den 1980er Jahren hatte ich mal reingeschnuppert“ (um comichistorisch auf dem Laufenden zu sein), war jedoch wenig begeistert (plumpe Figuren, hässliche Gesichter, unstimmige Proportionen).
Dass Corben womöglich ganz bewusst Hässlichkeit zelebriert (und darin anderen Underground-Giganten wie Robert Crumb oder S. Clay Wilson ähnlich operiert), dieser Verdacht kommt mir erst heute. Kurz: Ich war überrascht, wie sehr mir Corben plötzlich gefällt.
Vielleicht ist es aber auch gerade diese schöne Sammlung seiner Kurzgeschichten aus den Warren-Magazinen CREEPY und EERIE, die ihn hier in seiner virilsten Phase (1970-1982) zeigt.
Corben erschließt sich mir nun als Meister der Kamera (reden wir mal noch gar nicht von seinen Kolorierungen). Welche Bilder uns der Künstler in welcher Komposition und in welchem Bildausschnitt vorsetzt, das gestaltet Corben auf eine höchst individuelle Weise, die mich staunen lässt.
Das wirkt sehr „filmisch“, ja, andererseits ist es so prall Comic, dass dieser Vergleich sofort wieder verblasst. Eine Corben-Seite glänzt durch grafische Magie.
Kommt jetzt noch Farbe hinzu, entsteht ein Unikat, wie es von sonst niemandem illustriert werden könnte. So radikal bunt und farbmalerisch ist Film nie gewesen. Auch das inhaltliche Spektrum ist atemberaubend. Wir finden Späße, die aus Zeiten des
Precode-Horror stammen könnten („Friedhelm the Magnificent“, „Lykanklutz“, „Terror Tomb“), brutale Gewaltorgien („Change… Into
Something Comfortable“, „An Angel Shy of Hell“, „The Butcher“), zu Herzen gehende Rührstücke („Bless Us, Father…“, „The Hero Within“, „Child“), herrlichen Quatsch („The Mummy’s Victory“, „Wizard Wagstaff“) und natürlich Corben-Klassiker wie „The Raven“ (nach E. A. Poe), „In Deep“, „Bowser“ und „You’re a Big Girl now“.
Manche der Stories sind wie damals in Schwarz-Weiß gehalten, die farbigen erstrahlen in tollen Reproduktionen (bei Corben ja essentiell!).
Fazit: Ich hatte einen Riesenspaß mit dem englischen Original für ca. 25 Euro. Die deutsche Ausgabe (bei Splitter) ist sogar ein bisschen größer im Format, kostet dafür aber das Doppelte!
Mein Gott, kann Alan Moore nicht mal nen SCHLECHTEN
Comic schreiben?! Na gut, sein FROM HELL war derart spröde (aber auch nicht
schlecht), dass ich auf lange Jahre aufgehört hatte mit Alan Moore.
Umso elektrisierter war ich, als ich nun seine „League“
in der Vertigo-Omnibus-Edition nachzuholen begann. Auf 415 Softcoverseiten
versammelt dieser Band die beiden ersten Abenteuer
(c) Vertigo
– plus zahlreicher Galerien mit Titelbildern, Bonusspäßen, einer Allan Quatermain-Textgeschichte sowie einem 50-seitigen „Traveller’s Almanac“ für Hardcore-Fans.
Dieser Comic ist absolut hinreißend!
Alan Moore in Bestform. Und die Zeichnungen von Kevin O’Neill (den ich schon seit MARSHAL LAW verehre) sind einfach göttlich – und wieder mal kongenial gelungen. Was für ein herrliches Abenteuer, und das verlegt ins Großbritannien des Jahres 1898: 20 Jahre vor Einführung des dortigen Frauenwahlrechts ist Wilhelmina Murray die
Anführerin einer zunächst desolat wirkenden Truppe von Männern mit besonderen Fähigkeiten.
Moores und O’Neills Meisterleistung besteht darin, die Aktion völlig unaufgeregt im Stil des „Fin de Siècle“ darzustellen (man bewegt
sich in Kutschen fort!) und dennoch nervenaufreibende Spannung zu schüren. Die Zeichnungen O’Neills bedienen sich fast ausschließlich einer distanzierten Perspektive, das ganze Oeuvre ist angelehnt an englische „story papers“ aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So kunstvoll wie köstlich. Mit Sex, Gewalt und Phantastik wird dabei nicht
gespart.
Dieser Omnibus-Band vereint zwei Geschichten, die gemeinsam die erste Ära der „League“ beschreiben: Ein Komplott Moriartys gegen London und den Angriff marsianischer Invasoren. Ein mutiges, kompromissloses Doppel-Abenteuer, in dem zwei der fünf Mitglieder der „League“ über die Klinge springen und der
Verein vorläufig wieder aufgelöst wird!
Ich war restlos begeistert. Große Comic-Kunst, in meinen Augen. Dieses Werk werde ich garantiert ein zweites und ein drittes Mal
lesen…
(tic)
Das erste Produkt aus dem Verlag Schreiber & Leser ist bis heute ein Klassiker. Gut gedruckt, großformatig aufgemacht und
liebevoll gelettert präsentierte der (damals 35-jährige) Italiener Milo Manara dem deutschen Publikum den Auftakt seines Comic-Zyklus um Giuseppe Bergmann. Manara feiert 2015 seinen 70. Geburtstag!
Ich persönlich halte Manara für einen Edel-Pornografen,
dessen Werke ich ignoriere.
(c) Verlag Schreiber & Leser / Milo Manara
Eine Ausnahme sollte man jedoch bei „Das große Abenteuer“ machen. Es ist (dem Zeitgeist geschuldet) sein „Auteur“-artiger Versuch, anspruchsvolle Kunst zu gestalten.
Das Skript stammt angeblich von Hugo Pratt und Federico Fellini.
Es finden sich definitiv eine Reihe von Anspielungen auf Figuren aus dem Pratt-Kosmos, und einen „fellinesken Touch“ kann man dem Ganzen ebenfalls unterstellen…
„Das große Abenteuer“ ist nicht frei von Sexismen und
Schlüpfrigkeiten, doch bilden sie hier nicht den zentralen Dreh- und
Angelpunkt. Das ist gottlob die Hauptfigur, der gelangweilte Wohlstandsmensch Giuseppe Bergmann, der „ein Abenteuer“ erleben will – auf Teufel komm raus, möchte man augenzwinkernd sagen.
Denn eine stumme Teufelsgestalt taucht immer wieder im
Buch auf. Ist sie der wahre Drahtzieher hinter Bergmanns Reisen den
geheimnisvollen Orinoco hinab? Ein „démon de midi“ gar, der den triebverwirrten Helden vor sich herjagt?
Oder war am Ende alles nur ein Traum? „Das große Abenteuer“ kommt immer wieder ins Stocken und ist nicht greifbar.
Es ist eine Meta-Meditation um den Sinn des Lebens und den Stellenwert des Individuums. Zum Glück nimmt sich dieses Werk nicht ernst, bleibt verspielt und ist offen für ironische Brechungen.
Was mich als „art spotter“ ja völlig irritiert, ist, wie ähnlich sich Manara und Moebius sehen. Wer kopiert da wen?! Die zeitgleich
in Deutschland erschienene „Luftdichte Garage“ von Moebius hat den exakt selben Look und könnte ein grafischer Zwilling sein! Sehen wir Moebius im „großen Abenteuer“ sogar als Gastfigur?
Ein wildmähniger, bebrillter Radikalo ist zeitweise Bergmanns Reisegefährte und überschüttet ihn mit Vorhaltungen ob seiner
Indifferenz und seines Egoismus.
Wie dem auch sei: Es gibt viel zu schauen und zu rätseln in Manaras hinreißend bebilderten Abenteuer. Absonderlichkeiten reihen
sich an Action-Szenen, gefolgt von psychedelischen Passagen; selbst für Slapstickeinlagen findet sich ein Plätzchen…
Natürlich ist „Das große Abenteuer“ von 1980 wieder mal so’n Kandidat für die ERSTE GRAPHIC NOVEL. Schon vom Verlag als „Comic Roman“
veröffentlicht (allerdings nicht auf dem Cover, sondern im Innenteil so
bezeichnet), erfüllt Manaras Werk die gängigen Kriterien (110 Seiten stark, durchgängiger Protagonist, eine Handlung).
Gott, was geht mir der Begriff „graphic novel“ auf den
Geist! Vieles, was früher einfach „Album“ hieß, ist heute gleich „graphic
novel“… Ich arbeite bereits an einem COMICOSKOP-Gesinnungsaufsatz zum Thema – und werde die WIRKLICH ERSTE „graphic novel“ präsentieren. Die niemand kennt. Und ich rede hier nicht von den „Illustrierten Klassikern“. Hah! Große Töne, weit gespuckt! Sie werden Augen machen, hier auf www.comicoskop.com… (tic)
Ein Kuriosum im Schaffen gleich zweier Comicheroen ist
die Serie BOUNCER (erschienen 2001-2013 in 9 Bänden). François Boucq, der genialische Illustrator von „Die Frau
des Magiers“, "Teufelsmaul" oder „Die Pioniere des menschlichen Abenteuers“ tat sich zusammen mit dem chilenischen Regisseur und Autor Alejandro Jodorowsky, der in den 1980er Jahren mit Moebius die Reihe um John Difool und den Incal schuf.
Beide kollaborierten schon in den späten 1990er Jahren an „Mondgesicht“ – später haben sie sich an diesem
Western versucht, oder darf ich schon sagen: vergriffen? Man fragt sich, weshalb alle beide ihr angestammtes Territorium, die Fantastik, verlassen haben. Einfach nur, weil sie niemand gestoppt hat?! Dass wir uns nicht falsch verstehen: BOUNCER ist keinesfalls ein Rohrkrepierer. Diese Alben sehen schmuck aus, und sie bieten eine Menge kernige Action. Aber der hier schreibende COMICOSKOP-Redakteur wäre nicht der Comic-Snob, wenn er nicht tüchtig was zu meckern hätte!
Handlungstechnisch geht es um Rache und Vergeltung. Die Geschichte dreier Brüder, die zu Todfeinden werden, wird in den beiden ersten Bänden erzählt (und ist in sich abgeschlossen). Band 3 bis 5 machen spannen einen neuen Bogen um den
überlebenden Bruder (den einarmigen „Bouncer“, den Saalsheriff im „Infierno Saloon“).
Ein herrischer Großgrundbesitzer terrorisiert das Städtchen, sämtliche Honoratioren stecken mit ihm unter einer Decke. Diese werden von den Sünden der Vergangenheit eingeholt – in Form von White Elk, dem Überlebenden eines Massakers und Indianer-Genozids. Der Bouncer pendelt zwischen den Fronten,
gebeutelt von Loyalität kontra Liebe.
Jodorowsky skriptet solide, wenn auch nicht immer
glaubwürdig (Stichwort: Verwandtschaftsverhältnisse).
BOUNCER ist keine Minute langweilig - auch dank exzessiver Gewalt, die die Höhepunkte der Serie markiert.
Wenn Sie dachten, COMANCHE sei brutal, werden Sie in BOUNCER eines Schlimmeren belehrt: Wüste Schießereien und grässliche Verstümmelungen sind hier an der Tagesordnung.
Gestorben wird naturgemäß dabei jede Menge, und auch
wenn nicht gleich ALLE Charaktere über die Wupper gehen, so lässt einen deren Schicksal relativ kalt. Am Interessantesten gerät die Randfigur „Blabbermouth“ – und der ist nur ein simpler Nachrichtenbote mit deus-ex-machina-Funktion!
Also da stimmt was nicht mit Jodorowskys Personal, das fast ausnahmslos auch Blut an den Händen hat. Zu krass, zu
tough, zu tötungswillig? Dieser Alle-gehen-drauf-Nihilismus erinnert mich übrigens sehr an eine andere Westernserie (die mir auch nicht sympathisch ist), nämlich JONATHAN CARTLAND.
Der hier schreibende COMICOSKOP-Reporter findet, ein Boucq
ist im Westerngenre verschenkt. Er verleiht ihm keine neuen Impulse. Wo seine Kunst uns staunen macht, das ist die verschrobene Fantastik der Horst-Katzmeier-Abenteuer
(alias „Der Nachbar“) oder die skurrilen Welten von MONDGESICHT und TEUFELSMAUL. Meine Lieblingssequenz aus BOUNCER ist nicht zufällig ein zweiseitiger Opiumtraum aus Band 3.
Boucq taugt nicht für den realistischen, bodenständigen Western. Boucqs Metier ist die Schwerelosigkeit, die beklemmende Grenze zum Traumhaften.
Natürlich kann er Western zeichnen! Seine Landschaften stehen denen von Giraud nicht nach, seine brutale Action könnte aus der Feder Hermanns fließen. BOUNCER ist ein grafischer Leckerbissen. Aber Boucq und Jodorowsky kreieren in diesem Genre nichts Neues.
Der COMICOSKOP-Schreiber dieser Zeilen ist erklärter Fan der klassischen (frankobelgischen!) Western BLUEBERRY von Giraud/Charlier und COMANCHE von Greg/Hermann. Diesen ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
Versucht wird es dennoch immer wieder: Nach der Blueberry-Blaupause Jijés JERRY SPRING vor BLUEBERRY und COMANCHE kamen Western-Serien wie Deribs BUDDY LONGWAY, JONATHAN CARTLAND, DURANGO, MAC COY, MANOS KELLY und (der jüngste Versuch) BOUNCER.
Der hier urteilende COMICOSKOP-Rezensent rechnet nicht damit, dass im historisch-realistischen Westerncomic noch Marken gesetzt werden können. TIC
Heute lebt Comicoskop-Redakteur Tillmann Courth als Hausfrau und Mutter in Köln und heimwerkelt neben dem COMICOSKOP (www.comicoskop.com oder www.comicoskop.de) auch an u. a. seiner Spezial-Webseite Fifties Horror (www.fifties-horror.de), die ausschließlich Pre-Code-Gruselcomics der frühen 1950er Jahre gelten lässt!