Was haben die Comicautoren Garth Ennis (PREACHER),
Brian K. Vaughan (SAGA) und Ed Brubaker (CATWOMAN) gemeinsam? Sie alle singen das Lob eines Kollegen: Jason Aaron!
Dieser freche Amerikaner aus Alabama fege wie ein Wirbelsturm durch die Comicszene, räume Preise ab und verpasse dem Medium eine erzählerische Tiefe und Qualität, wie man sie seit den Jahren der ‚british invasion‘ nicht mehr erlebt habe.
Klingt unerhört, ist aber wahr.
Jason Aaron also. Jason wer?! Der 43-jährige Aaron arbeitet erst seit zehn Jahren im Comicbusiness, ist dafür aber erstaunlich
produktiv. Heftchenleser des Superheldengenres sind ihm womöglich begegnet, hat Aaron doch zahlreiche Comics für die X-MEN, WOLVERINE, HULK, PUNISHER MAX, ORIGINAL SIN und GHOST RIDER verfasst.
Momentan schreibt Aaron THOR, STAR WARS sowie eine
Neufassung von DR. STRANGE. Aber auch SOUTHERN BASTARDS und THE GODDAMNED. Und damit sind wir bei Comics, die den hier schreibenden COMICOSKOP-Redakteur interessieren. Und die in Deutschland bislang NICHT veröffentlicht wurden.
Also SOUTHERN BASTARDS (die ersten 14 Nummern sind
bereits in drei Tradepaperbacks versammelt) und vor allem Aarons Riesenwurf SCALPED (60 Ausgaben in fünf Deluxe-Hardcoverbänden, der fünfte erscheint im August 2016). Zu erwähnen ist weiterhin die Miniserie MEN OF WRATH von 2014. Diese drei sind Krimis schwarz wie die Nacht, böse Träume aus der amerikanischen Provinz, kurz: Crime noir vom Feinsten. Alle originell, wuchtig, unverblümt, bombastisch, brutal, schonungslos und spannend.
Fangen wir mal mit der kürzesten Serie an: MEN OF WRATH. Fünf Hefte, die ein Wiedersehen von Vater und Sohn schildern. Nicht mehr und nicht weniger. Der Sohn ist ein kleiner Gangster, der nicht den Mumm hat, ein großer Gangster zu werden. Der Vater dagegen ist der abgekochteste Hitman des amerikanischen Südens – und bekommt den Auftrag, den
eigenen Nachwuchs zu eliminieren! Was sich daraus entspinnt, ist ein packendes Geflecht gegenseitiger Mordversuche, aber auch zeitweiliger Allianzen.
Auf der Strecke bleiben jede Menge „menschliche Kollateralschäden“; die Rohheit dieses Comics kann man konstruiert nennen – aber MEN OF WRATH steht damit in der Erzähltradition düsterer Crime/Fantasy-Fiction wie SIN CITY und PREACHER.
Kommen wir zu Aarons noch laufender Serie SOUTHERN BASTARDS, deren Grundstein ebenfalls ein Vater-Sohn-Konflikt ist. Der knorrige Earl Tubb kehrt in sein tristes Heimatkaff in Alabama zurück, um den Nachlass eines Onkels zu regeln.
Earl gerät direkt zwischen die schmutzigen Fronten der lokalen Hillbilly-Mafia. Die Kleinstadt ist im eisernen Griff des Baseball-Trainers Euless Boss, der mit seinen Schlägern die
Macht ausübt und das Gesetz darstellt.
Earls Vater war der legendäre Sheriff Big Burt, der in diesem Sauhaufen von Südstaaten-Sumpf vor 40 Jahren mit einem
Knüppel für Recht und Ordnung sorgte. Wie es das Schicksal will, sieht sich Earl plötzlich in die Aufräumer-Rolle seines Vaters gedrängt – es kommt zur tödlichen Konfrontation mit Boss Boss: Zwei alte Männer prügeln sich die Scheiße aus dem Leib. Pardon, aber so endet Teil Eins von SOUTHERN BASTARDS.
Teil Zwei fokussiert sich überraschenderweise auf Earls
Gegner, den zwielichtigen Euless Boss! Wir erfahren die Geschichte seines Lebens, den nervenzerfetzenden Kampf um
Anerkennung des Jungen Euless (den sie „useless“ schimpfen) und die schreckliche Wahrheit hinter dem Tod seines Vaters. Am Ende ist Euless ein gemachter Mann, die Stadt gehört ihm (denn in der Provinz ist der Erfolgstrainer ein Held), doch Unheil
zieht auf. Und zwar in Gestalt der Tochter von Earl, die sich nach dem Tod ihres Vaters in die Heimat aufmacht.
Dieser Showdown wird in Teil Drei behandelt, den ich
noch nicht gelesen habe. Aber es schwant einem nichts Gutes, denn Roberta ist eine ausgebildete „marine“, die soeben ihren Einsatz in Afghanistan beendet hat. Der COMICOSKOP-Reporter mehr als gespannt…
Das Epos SCALPED schließlich zieht seine Energie ebenfalls aus dem Elend der dysfunktionalen Familie. Der Clou daran ist jedoch das Setting und das Personal. SCALPED schildert das Leben im (fiktiven) Prairie Rose-Reservat in South Dakota („wohin der stolze Stamm der Sioux zum Sterben kam“, wie es gleich im ersten Satz heißt). Im tristen „Badlands Cafe“ prügelt sich ein Neuankömmling mit der lokalen Hausmacht. Dashiell („Dash“) Bad Horse heißt der Neue, die Hauptfigur, der in Wahrheit ein Heimkehrer ist. Der harte Bursche landet als „Enforcer“ bei der Stammespolizei, ist aber ein Undercover-FBI-Agent (was niemand wissen darf!).
Dashs Zerrissenheit zwischen Heimat und Auftrag (zu welchem er mehr oder weniger erpresst wird), zwischen indianischem Erbe und modernem Machismo wird ihn im Lauf der Serie
durch die Hölle und zurück jagen.
Das „Ur-Trauma“ auf dem Grund von SCALPED ist jedoch
ein 30 altes Verbrechen aus dem Jahre 1975: Die Ermordung zweier FBI-Agenten durch eine Gruppe von Indianerrechts-Aktivisten. Obwohl jemand dafür verurteilt
wurde, läuft der wahre Täter noch frei herum. FBI-Mann Nitz, Kollege der Toten, ruht nicht eher, als bis der Mann
verhaftet oder getötet ist, den er für den Bösewicht hält: Red Crow, der Präsident des Reservats.
Der ehemalige Aktivist ist inzwischen ein mafiöser Boss, der mit viel krimineller Energie seinen Lebenstraum verwirklicht: die
Eröffnung eines geldbringenden Kasinos. Ihn im Weg steht Gina Bad Horse, die einzig noch aktive Aktivistin (und zugleich
Dashs Mutter). Red Crows Tochter, Carol, ist die Dorfschlampe, die mit jedem schläft, nur um ihren Vater zu ärgern. Und natürlich sind Dash und Carol in einer hassliebigen „amour fou“
verbandelt…
Offene Rechnungen, verschmähte Liebe und Machthunger
sind die Triebfedern eines verschachtelten Plots, der aber stets offen für Überraschungen, Wendungen und Wandlungen ist. Fast alle Charaktere wachsen einem ans Herz, auch wenn sie
entsetzliche Dinge anstellen. Und man darf verraten, dass einige von ihnen nicht überleben werden.
Die Hauptfigur, Dash, übrigens kommt oft heftelang kaum
vor, weil Autor Aaron die Handlung über Nebenfiguren ausweitet und den Fokus auf neue Charaktere legt: den indianischen Wachtmeister Falls Down („Nicht alle Indianer haben coole
Tiernamen“), den eremitisch lebenden und verrückt gewordenen Aktivisten Catcher (der eine unberechenbare Bedrohung für alle darstellt), den idealistischen FBI-Agenten Newsome (der seinen cholerischen Chef bemuttern muss), den psychopathischen Schläger Diesel (der gerne ein echter „Indianer“ sein möchte),
den Killer Mr. Brass (vom finanzierenden Syndikat geschickt), den jugendlichen Dino Poor Bear (der seine Normalo-Existenz für ein Leben in der Drogenmafia eintauschen könnte), den Gangster Wesley Willeford (der das Kasino ausrauben will), den eiskalten Shunka (rechte Hand von Red Crow und heimlich schwul) sowie den rustikalen Sheriff Wooster Karnow (das gefährliche Redneck-Landei vom Nachbarbezirk).
All diese Personen (und noch mehr) begegnen uns immer
wieder auf der Reise durch SCALPED, geraten aneinander, erleben Abenteuer, kommen nur um Haaresbreite mit dem Leben davon – oder auch mal nicht. Also ich bin süchtig nach diesen Bänden geworden. Es ist ein faszinierender Kosmos, den Aaron da für uns erobert. Ich kann kaum glauben, dass er das alles nur ERFUNDEN hat (er ist definitiv kein Abkömmling amerikanischer Ureinwohner). Seine Figuren sind die lebendigsten, die ich je in einem Comic getroffen habe.
Seine Handlungen-in-der-Handlung sind so genial gebaut
und gestrickt, dass man nicht mehr aus dem Staunen rauskommt: In der Mitte von SCALPED zum Beispiel hat sich FBI-Fahnder Nitz derartig in seinen Rachewahn verrannt, dass er die Ermittlungen endgültig an die Wand fährt und gefeuert
wird. Im Reservat atmet man auf, doch kurz danach gelingt Nitz ein Zufallserfolg, der ihn wieder in Amt und Würden bringt! Alles geht weiter, nur noch härter und verbissener. Heimlicher
Star von SCALPED ist sowieso der zwielichtige „Häuptling“ Red Crow, eine Figur wie aus den „Sopranos“, die durch atemberaubende Komplikationen und Herausforderungen getrieben wird.
Bei SCALPED liegt die Illustration in den Händen des
gefeierten BATMAN ETERNAL-Zeichners R.M. Guéra. Man darf wohl sagen, dass Guéra Frank Millers Stil aus der DARK KNIGHT-Phase internalisiert hat. Also dunkle, schmutzige, teils karikatureske Bilder, die jedoch die herbe Gewalt der Serie
verträglich machen. Schnell ist man Fan dieses zeitlos schönen Stils, auch wenn der Künstler dazu neigt, seine Layouts
zu voll zu packen, grafisch zaubern zu wollen. Das hindert mitunter den Lesefluss und ist nicht immer der Handlungsführung dienlich. Aber schick und prall sieht es halt aus…
In SOUTHERN BASTARDS ist es der großartige Jason
Latour, dessen harter und kantiger Strich sich kongenial zur Handlung gesellt.
Noch dazu ist diese Comicserie komplett in Sepia-Braun-Rot koloriert – ein Hingucker!
Am Konventionellsten gestaltet Ron Garney die Seiten
von MEN OF WRATH. Aber auch das ist ein hervorragender Standard, der an Guéras Werk in SCALPED erinnert. TIC
Unser COMICOSKOP-Redakteur Tillmann Courth bekommt
nicht immer mit, was in der deutschen Szene läuft – weil er alles auf Englisch liest. Seine Comicdealer versorgen ihn mit Import-Tradepaperbacks, die sind a) billiger als die deutschen Fassungen und b) wählt Courth immer das englische
Original, wenn er rankommen kann. Er hat als Schüler mit Comics Englisch gelernt und misstraut Übersetzungen.