Der Katalane Victor Mora stammte aus der schöne Gaudi-Metropole Barcelona, wo er am 6. Juni 1931 das Licht der
Welt erblickte.
In den Wirren des Spanischen Bürgerkriegs floh die Familie nach Frankreich ins Exil. Erst als Mora elf Jahre alt war, kehrten die Moras in die katalanische Heimat zurück.
Bereits von1949 an begann er seine Comic-Laufbahn mit Serien wie “Dr. Niebla” (gezeichnet von Francisco Hidalgo)
für El Campéon (1949-1953). Von 1949 bis 1950 wagte Mora auch den ziemlich einmaligen Versuch, einen Comic nicht nur zu texten, sondern auch selbst zu zeichnen: „Capitan Kerr“, die
in der Zeitschrift Historietas erschien. Mora war durch Jean-Michel Charlier und Jijé geprägt, aber auch durch Hal Foster, Alex Raymond, Milton Caniff…
Vor 60 Jahren, 1956, schuf er die im 12. Jahrhundert spielende Abenteuer-Ritter- und Geschichtscomic-Serie El Capitán Trueno (gemeinsam mit Zeichner Ambrós, eigentlich Miguel Ambrosio Zaragoza) – unter dem Künstlernamen Victor Alcazar. Diese Serie geriet zum wohl beliebtesten spanischen Comic-Klassiker überhaupt, wurde auch verfilmt und gilt als spanische Antwort auf Hal Fosters „Prinz Eisenherz“: In ihren Bestzeiten 1956
bis 1968 erreichte die Serie eine Auflage von 375.000 Exemplaren pro Woche. Im Mittelpunkt der Handlung steht der Hauptmann Donner (spanisch Trueno), oft begleitet durch seine energische Wikingerprinzessin Sigrid… Die Figur des
„Capitan Trueno“ ist dem historisch verbürgten Grafen Hug IV aus Castelló d’Empúries entlehnt. Die Spanische Post edierte 1995 gar eine El Trueno-Briefmarke.
Während des Franco-Regimes geriet die Serie immer wieder mit der spanische Staats-Zensur in Clinch. Wie populär die Serie in Spanien ist, spiegelt sich wider in der Tatsache, dass der
Mora-Comic sogar Gegenstand bekannter Pop Songs wurde: So etwa in einem Lied von Asfalto und durch den spanischen Pop-Sänger Miguel Bosé , der dem Comic mit seiner Hymne "El Hijo del Capitan Trueno" ein musikalisches Denkmal setzte. Eine ganze Legion an Zeichnern war nach Ambrós bei El Trueno am Werk: Julio Briñol, Adolfo Buylla und Félix Carrión, Luis Casamitjana, José María Casanovas und Comos, aber auch Francisco Díaz, Juan Escandell, Antoni Gil Bao, José Grau
und Franc Fuentes Man, Tomás Marco, Juan Martínez Osete und Ángel Pardo, Claudio Tinoco, Vicente Torregrosa und Juan José Úbeda. Später zeichneten Jesus Blasco, Luis Bermejo, Jesus Redondo und J.M. Burns den wiederbelebten Dauerbrenner El Trueno. Bis ins hohe Alter hinein stritt Mora im Übrigen mit Blick auf seine Erfindung „El Trueno“ um Tantiemen und Rechte-Beteiligung.
1958 kreierte Mora die Serie “El Jabato” mit Zeichner Francisco
Darnis, die es auf 381 Episoden brachte.
In den 1960ern entstand auch die von Mora getextete SF-Serie 'Delta 99', aus der Feder von Carlos Giménez, Adolfo Usero und Josep Mascaró.
Mit Zeichner Carlos Giménez schuf von 1969 bis 1975 Mora eine der beste europäischen Science Fiction-Comics der 1970er Jahre: Dani Futuro erschien auch in Deutschland in Ur-Version des Magazins „Zack“, in Frankreich debütierte die Serie bereits 1971 in der legendären Comic-Zeitschrift „Tintin“.
Es ist die Geschichte des wiederaufgetauten Jungen Dani Futuro: 1983 durch den Sturz in eine Gletscherspalte eingefroren, taut er 2140 wieder auf, um fortan mit Freundin Iris und Roboter Jules allerlei Abenteuer auf dem Planeten Nevermor zu erleben… die Serie bewegte sich traumwandlerisch, den
Flower-power-Zeitgeist der 1970er aufnehmend, irgendwo zwischen Winsor McCays „Little Nemo“, „Scarlett Dream“ und „Valerian & Veronique“ – und ist dank der gelungenen Szenarios eines Victor Mora und gekonnter Grafik eines Carlos
Gimenez bis heute ein Lesevergnügen.
Mit einem Großen der spanischen Comic-Zeichner-Gilde setzte
Mora ebenfalls zahlreiche Serien in die Tat um: Victor de la Fuente. Von 1967 an arbeiteten die Beiden bei Westerncomics wie Sunday (1968–1970) und die Flieger-Abenteuer-
und Kriegsserie „Les anges d'acier“ (1984–1989) zusammen. Das Dream Team de la Fuente/Mora hinterließ auch Spuren bei der
Larousse-Reihe Histoire de France en bandes dessinées. Mit ihm schuf er auch den Polit-Comic-Thriller „La Sibérienne“. Mit de la Fuente entstand fürs Magazin „Cimoc“ auch der Comic „La Guerra Civil Espanola“ über den Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939 – Moras Lebensthema.
Der katalanische Tausendsassa der grafischen Literatur Mora arbeitete auch mit Annie Goetzinger (Erotikcomic
„Felina“, deutsch erschienen in Raymond Martins Volksverlag), mit dem Zeichner Jaime Brocal Remohi („Arcane“) Luis
Garcia Les Chroniques de l’Innommé und José Maria Cardona (Gigantik für die Koralle-Magazine Zack, Super-As Wham) zusammen – und setzte Maßstäbe in zahlreichen frankobelgischen Journalen wie Tintin, Pilote oder Pif, aber auch Charlie Mensuel und L’Echo des Savanes. Der Comic „Les Chroniques de l’Innommé“ (spanisch: “Crónicas del Sin Nombre')
erschien im französischen Comic –Magazin “Pilote” von 1973 bis 1980 – und in den USA sogar bei Warren. Dieser Comic avancierte alsbald zu einem Schlüsselwerk der neuen Erwachsenencomics in Spanien.
Für Charlie Mensuel entstand 1982 „Les Indoxydables“ (Die Rostfreien, deutsch im Splitter Verlag,
Zeichnungen: Parras).
Mit dem großen spanischen Zeichner Alfonso Font schuf
Mora “Les Compagnons d'Atlantis' für Super-As, aber auch die Comic-Serien 'Sylvestre' und 'Tequila Bang' fürs spanische Comic-Journal „La Calle“.
1963 ging Mora erneut ins französische Exil – hatte er doch unter den Franco-Faschisten nichts zu lachen: Man bezichtigte ihn der „Freimaurerei“ und des „Kommunismus“, warf ihn gar ins
Gefängnis.
1987 war Victor Mora auch Chefredakteur des spanischen Comic-Magazins TBO der Ediciones B.
Victor Mora war als Übersetzer aktiv, so sorgte er etwa für die Übertragung der Serie “Asterix” von Goscinny/Uderzo ins Spanische.
Mora betätigte sich aber auch als Schriftsteller - auf Deutsch
erschien sein in Frankreich entstandener Exil-Roman, die
Franco-Spanien-Abrechnung Die Platanen von Barcelona (Les platanes de Barcelone). Dieser Roman liest sich wie
die Biografie der frühen Jahre des katalanischen Schriftstellers und Comiczeichners Victor Mora. Lluis Marti, der zentralen Figur der Geschichte, lässt er seine eigene Kindheit und Jugend erleben. Wie Mora selbst, flüchtet dieser Junge mit seinen Eltern nach Francos Sieg ins französische Exil, weil sein Vater, der der Republik als Polizist diente, um Leib und Leben fürchten
muss. Nach dem Tod des Vaters kehrt er mit seiner Mutter in den Schatten des Diktators nach Barcelona zurück: "Als die beiden in Barcelona eintrafen, waren die Schreie der Sterbenden, der von den Francofaschisten Gemarterten verstummt, lähmende Stille lag über den Straßen und Plätzen."
Kein Zweifel: Mit dem Tod Victor Moras verliert die Comic-Welt einer der bedeutendsten Comic-Texter und -Geschichtenerzähler Europas im 20. Jahrhundert. Moras mächtiges Lebenswerk geriet zum Meilenstein des grafischen Erzählens.
Martin Frenzel
Martin Frenzel, Jg. 1964, Comicforscher & COMICOSKOP-Gründer, -Herausgeber und -Chefredakteur las Victor Moras Dani-Futuro-Geschichten mit Begeisterung im guten, alten "ZACK" der 1970er Jahre. Auch Carlos Gimenéz und Victor de la Fuente wuchsen ihm im jener Zeit ans Herz. 1989 schrieb er den ersten deutschsprachigen Artikel über den nordwestspanischen Shooting Star Miguelanxo Prado ("Der Tägliche Wahn") in der Berliner "TAZ". 1991/92 entdeckte Martin Frenzel den wunderbaren Internationalen Comic-Salon zu Barcelona ("von der Atmosphäre her der vermutlich schönste Europas") - und schrieb darüber im "Comic-Info". 1991 erschien ebenfalls im Comic-Info ein umfassendes Miguelanxo Prado-Dossier aus Martin Frenzels Feder - das erste im deutschen Sprachbereich, das wesentlich dazu beitrug, den Geheimtipp Prado hierzulande bekannt zu machen. Seit Anfang der 1990er ist er dank Prado & Co ein begeisterter Anhänger der Neuen Spanischen Comic-Szene.