Der hier schreibende COMICOSKOP-Reporter hat zwei Comicmantras. Das erste lautet: „Comickultur ist Pin-up-Kultur.“ Die grafische Darstellung von Frauen ist zu allen Zeiten sexistisch gewesen – und dauert bis heute an.
Männer stört das nicht. Sie sind ja auch die Produzenten. Die Versuche, von weiblicher Seite dagegen zu halten (wer erinnert
sich noch an BITCHY BITCH von Roberta Gregory?), sind oft erfrischend, bleiben aber Nischenprodukte.
Gezeichnete Frauenkörper werden immer fantastischer,
und so ist es vielleicht zu erklären, dass Comicliebhaber in eine Zeit zurückschauen, in der Frauen noch mit Klasse, Stil und Eleganz illustriert wurden (anstatt hypertrophen Pornopüppchen zu ähneln). Das weibliche Comicpersonal des Golden Age ist rettungslos einem voyeuristischem Pin-Up-Stil ausgeliefert und verhaftet, aber wir haben dafür den Begriff „Good Girl Art“ erfunden!
Was damals am Kiosk als anrüchig, schlüpfrig und
reißerisch galt, ist heute güld‘ne Nostalgie und verdient Neuauflagen. PHANTOM LADY ist wieder da. Und in ihrem Fahrwasser schon die ersten Dschungelköniginnen wie SHEENA und RULAH.
Das heute nicht mehr existente Genre der Dschungelcomics wurde Anfang der 1940er Jahre aus dem einen und einzigen Grund lanciert: Frauen im Bikini darstellen zu können. Denn sowas trägt man ja im Urwald.
Außerdem gab es den PLAYBOY noch nicht und keine
Unterwäschekataloge. Hergestellt wurden diese Hefte fast ausschließlich in der großen Comicfabrik der Iger Studios, in der sich Dutzende Zeichner diesen Stil draufschaffen mussten. Diesen Pin-Up-Look behielten die Künstler auch für ihren
späteren Lebensweg und andere Genres bei. Prominentes Beispiel ist Jack Kamen, dessen Horrorgeschichten bei EC stets von eleganten Damen handeln.
Als der bsv-Verlag sich 2013 in Hannover wiederbelebte
und ein erstes deutsches PHANTOM LADY-Heft (von inzwischen sechs) herausbrachte, hat man noch amüsiert den Kopf geschüttelt. Mittlerweile scheinen deutsche Editionen von Good Girl Art ein Trend zu werden: SHEENA ist an den Start gegangen, und vor kurzem erst erschien ein Hardcover-Sammelband „Perlen der Comicgeschichte – good girl art comics“.
Darin auch MYSTA, SKY GIRL sowie SOUTH SEA GIRL, gezeichnet von Matt Baker.
Und wie es der der in Unterwäsche dastehende Zufall
will, ist auch die vor einem halben Jahr erschienene „Jahrespublikation der INCOS e.V. 2015“ diesem Künstler und diesem Thema gewidmet: „Matt Baker – Good Girl
Art“ heißt der 128 Seiten starke Hardcoverband, der ausgesuchte spätere Werke von Baker versammelt. Eine bunte Mischung von 12 Geschichten (Western, Crime, Science Fiction, meist aber Romance), die Baker in den frühen
1950er Jahren für den Verlag St. John produzierte.
Eingebettet in ein Vorwort sowie einen Matt Baker-Index
hat sich das Auswahlgremium der INCOS gegen die ‚sleazigen‘ frühen Eskapaden aus dem Iger Studio entschieden, sondern präsentiert den gereiften Meister, der auf Pin-Up verzichtet (ein Herzleiden, ausgerechnet, berief den Ärmsten bereits mit 38 Jahren aus diesem Leben ab).
„Good girl art“ wird hier umdefiniert zu „zeitlos eleganter Comicillustration“.
Auf den ersten Blick springt die staunenswerte Qualität
des Bands ins Auge (produziert von Hans-Jürgen Scheffler): Sattes Schwarz glänzt auf farbenfrohen, aber unaufdringlich kolorierten Seiten. Klares Weiß und ein authentischer Lettering-Font dominieren die Randspalten und Texte. Die Übersetzungen
sind meist äußerst gelungen und ihrer Zeit angepasst, nur hier und da stolpert man belustigt über eine schräge Blase wie „Du dumme Nuss!“ oder „Ich muss ihm meinen Willen aufzwängen“ (das aber nur im Western- und Science Fiction-Beitrag).
Die Romanzen von Baker sind die Highlights ihres Genres und Mediums. Der Charme dieser waghalsig dicht erzählten Geschichten mit herrlichen Verdeutschungen wie „Außer Dienst
und außer Rand und Band“ oder „Meine geheime Affäre machte mich zur Ausgestoßenen“ erschließt sich schnell und trägt einem mit Schmunzeln von Seite zu Seite.
Diana beherbergt ihren abgebrannten Exliebhaber Johnny und gibt ihn vor ihrem Mann Allen als ihren Vetter aus. Der kleinkriminell veranlagte Johnny verführt Diana zu Pferdewetten und Knutschereien. Der verständnisvolle, doch ahnungslose Allen will Johnny sogar mit der reichen Phyllis verkuppeln. Als diese Anbahnung jedoch platzt, beginnt Johnny Diana zu erpressen. Die packt ihre Koffer und will fortlaufen, denn auf keinen Fall kann sie ihrem Mann nach all den Lügen
vor die Augen treten – da übernimmt Allen die Regie, heißt Diana zu bleiben und jagt Johnny vom Hof. Das ist Rosamunde
Pilcher in zehn Minuten.
Ein herrliches Vergnügen, zudem Matt Baker grafische
Umsetzungen findet, die keine Langeweile aufkommen lassen (wie der zeitgleich beim Standard-Verlag arbeitende Alex Toth, dessen Liebescomics ebenfalls meisterlich inszeniert, jedoch nicht so organisch wirken). Bakers „Kamera“ operiert fließend ohne merkliche Brüche oder Sprünge und fängt derart natürliche Posen ein, dass man vergisst einen Comic zu lesen.
Dieser Band hat mir ein „Aha“-Erlebnis verschafft: Bakers Kunst liegt nicht nur in den wohlgeformten Körpern und Gesichtern, es
sind die Posen und Körperhaltungen! Alle großen Zeichner stellen zuerst ihren Stil voran: die Action bei Kirby, die Energie bei Kurtzman, die Inks bei Davis, die Details bei Wood, der Schwung bei Eisner, der klare Strich bei Foster… bei
Baker sieht es aus wie das richtige Leben.
Ein interessanter, verdienstvoller Band der INCOS also,
zumal die vor vier Jahren bei TwoMorrows verlegte Baker-Biografie „The Art of Glamour“ enttäuschte. Das amerikanische Werk strotzte zwar vor Fakten und Infos, war jedoch schlechter reproduziert und bot nur schmale sechs Geschichten
zur Lektüre. Mit einigem Stolz berichtet Carsten Kretlow (der INCOS-Motor hinter dieser Jahrespublikation), er habe in einem US-Internetforum die Klage aufgeschnappt: „Hey, wieso haben wir sowas nicht?“
Also, offene Türen rennt derzeit ein, wer weitere Wiederentdeckungen aus dem Good Girl-Sektor offeriert. Da ist noch Einiges begraben, was damals als totaler Trash galt.
Natürlich ist das auch heute noch totaler Trash, aber nostalgischer Trash – und den lieben wir.
Damit kommen wir zum Schluss und dem zweiten
Comicmantra des hier schreiben den COMICOSKOP-Reporters. Es lautet: „Nie waren Comics kreativer, wilder und verrückter als in den Jahren VOR dem Comics Code von 1955.“ Leserinnen und Leser, schaut in diese Hefte! Ihr werdet es nicht bereuen. TIC
Mit Erstaunen beobachtet COMICOSKOP-Redakteur Tillmann Courth die ungebrochene nostalgische Lust auf sogenannte US-Good-Girl-Art der 1940er Jahre (exemplarisch ist dafür die PHANTOM LADY des Fox-Verlags). Noch erstaunlicher ist, dass der in Hannover wiederbelebte bsv-Verlag großer Verkaufserfolge mit DEUTSCHER Übersetzung feiert.